|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Marco Polo Reiseführer Plattensee
|
Auf das Bild klicken,
um Buch zu bestellen
|
|
|
|
Montag, 23. Oktober |
Am Plattensee |
Herbststimmung bei einer für
diese Jahreszeit ungewöhnlichen Wärme. Die Blätter
im Park hängen noch an den Ästen, braungrün bis
gelb. Die Ahorne glänzen wie Gold. Ab und zu wird der Laub
am Boden vom einer Brise hochgewirbelt, dann tanzt er in der
Luft. Am Seeufer legen ein paar eingemummelte Fischer ihre Ruten
aus. Der laue, aber recht kräftige Wind kräuselt die
Oberfläche des Sees und erzeugt kleine Wellen, die rhythmisch
gegen das Pier klatschen. Das Schilf am Ufer zittert, die Segelboote
schaukeln, die Takelagen schlagen mit klackendem, regelmäßigem
Geräusch gegen die Masten. |
|
Hier in Balatonalmàdi
übernachtete ich am Anfang meiner Reise, und hier schließe
ich meine Reise jetzt ab. Mir ist melancholisch zu Mute. Es
ist so ordentlich hier, so sauber, so bürgerlich, so familiär.
Ich erlebe eine Art Entspannung, wie ich sie schon lange nicht
mehr erlebt habe. Rumänien war anders. Hier bin ich wieder
Tourist, dort fühlte ich mich als Reisender. Wie schön,
dass ich so etwas behaupten kann. Es verging kein Tag ohne menschliche
Begegnungen, und es waren meistens mehr als zwei Worte an einer
Hotelrezeption. Es ist fast so, als ob ich zum ersten Mal auf
meinen Reisen den Menschen in die Seele geschaut hätte.
Was für ein Gegensatz zwischen dieser Idylle und den abwechslungsreichen
und tiefer gehenden Erlebnissen in Rumänien. Es ist mir,
als käme ich wieder zum Nachdenken, nachdem ich fast ununterbrochen
nur gefühlt habe. |
|
Es wird dunkler und die orangefarbenen
Lichter der Laternen strahlen Wärme aus und nehmen dem
abendlich-dunklen Park das Unheimliche. Ich freue mich bereits
darauf, wieder im selben Restaurant zu essen und im Hotel Viktoria
zu übernachten, als ob ich hier bereits zu Hause wäre.
Wieder werde ich mit dem höflichen Restauranteigner bei
einem Glas Rotwein zwei Worte wechseln. So schnell stellt sich
Vertrautheit ein. |
Was für ein sinnliches Erlebnis,
nach dem Abendessen die warme Luft am Seeufer genießen
zu können, während die Hafenlichter vom anderen Ufer
und ihre Schwestern, die Sterne, mir zuzwinkern. Das Wasser
plätschert und gluckert, und am Pier schleicht sich der
Wind durch den Hemdkragen in meinen Nacken und lässt mich
leise schaudern. Noch immer sitzt ein Fischer am Ufer und meditiert
über die Unendlichkeit. |
Ich versuche mir vorzustellen, wie
Balatonalmàdi im Sommer aussieht, wenn die Menschenmengen
aus Deutschland und Österreich dem Ort einen Großteil
seines Charmes stehlen, dieses Charmes, der sich mir in der
lauwarmen Nacht dieser Spätsaison so eindringlich
zeigt. Worin unterscheidet sich zum Beispiel der dichte, laute,
blendende Autoverkehr am Abend von einem einzelnen, in der bis
dahin stillen Nacht vorbeifahrenden Auto? Die
weißen Lichter des letzteren erhellen nur kurz, wie ein
vorbeifliegender Komet, die blau-schwarze Landstraße,
verwandeln sich dann für Sekunden in die feuerrote Spur
der Rückleuchten - und dann ist gleich wieder Nacht. |
Ich bin fasziniert von diesem Ort,
so wie ich ihn jetzt und hier erlebe, an diesem lauen Oktoberabend.
Da fährt einmal eine Lokalbahn vorbei, fast eine Trambahn,
was für ein Eindruck von Intimität! Ein Tuten, ein
Rattern, gelbbeleuchtete Fenster, leere Abteile, zwei einsame
Gäste. Gesehen und vorbei. |
Was ist mit diesem staubig-säuerlichen
Geruch im Park? Bereits so tief in meiner Erinnerung
verwurzelt und doch so undefinierbar? Ich hebe trockene Platanenblätter
vom Boden auf, zerreibe sie zwischen den Fingern, aber
erkenne den Geruch nicht, noch ist es der von den Ahorn- oder
Birkenblättern, noch jener des modrigen Seeufers, und genauso
wenig macht eine Mischung von diesen Gerüchen den aus,
den ich gerade so intensiv gespürt habe. Ich kenne und
liebe ihn aber, so wie jenen von nassem Staub nach den ersten
Tropfen eines Sommergewitters, oder den Duft der Feigenbäume,
den ich mit geschlossenen Augen schon aus der Ferne erkenne,
oder jenen von frisch geschnittenem Holz oder
wilder Knoblauchgewächse im Wald, von Rauch von brennendem
Stroh oder Heu. 1001 Gerüche, die wir nicht immer zuordnen
können aber doch genau erkennen. Und alle, wirklich alle
zaubern auch Bilder hervor von Orten, Zeiten oder Gegebenheiten,
über die wir fast unser gesamtes Leben definieren könnten. |
|
|
|
|
|
|