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Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
Braşov (Kronstadt)
 
     
   
Braşov (Kronstadt)
Dröhnende Bässe von links, Schlagermusik von Rechts. Ein Café im Freien neben dem anderen in dieser Fußgängerzone, die sich in nichts von jenen einer beliebiger Stadt im Westen unterscheidet, inklusive ihrer historischen Fassaden, denen man den Bauch aufgeschlitzt hat, um daraus hässliche Fenster des Kommerzes zu machen. Junge Men­schen in Jeans und imitiertem Amerika-Look, aufgemotzte bildhübsche Mädchen mit Lederstiefeln, deren Absätze so hoch sind wie die Karpaten, eingezwängt in hautengen Jeans mit jeder Menge appliziertem goldglitzernden Firlefanz, erotische Püppchen mit verlockendem freien Bauch, busenbetonenden engen T-Shirts und vollberingten Ohren. Vergeblich sucht man in ihren Gesichtern den Hol-mich-raus-von-hier-Blick, dem man auf den Dörfern so oft begegnet.
Aber - Moment mal! Täusche ich mich nicht? Denn wenn ich an Sibiu zurückdenke, fällt mir eine kleine Episode wieder ein, die mir zu denken gibt. Als ich dort nämlich in einem Telefonladen meine Prepaidkarte aufladen lassen wollte und zu diesem Zweck mein Handy der jungen Angestellten reichte, veränderte sich ihr bis dahin durchaus freund­licher Gesichtsausdruck schlagartig, als ihr die italienische Menuführung des Gerätes auffiel. Mit strahlenden Augen fragte sie mich, ob ich denn aus Italien käme. Ach, wie gerne würde sie in diesem Land, ihrem Traumland, leben! Also doch Hol-mich-hier-raus? Ihr Lächeln war so strahlend, dass Verliebtheit es nicht hätte intensiver machen kön­nen. Ihre an sich schon schönen, großen Augen funkelten, als ob bei ihr eine innere Leuchte angegangen wäre. Wann wurde ich zum letzten Mal so angestrahlt? Von einer wildfremden Frau dazu? Bei allem Wissen um den wirkliche Grund dieses Strahlens kam ich nicht drum herum, mich zu freuen. Aber es war nicht nur die Freude an ihrem Lächeln, worum es mir ging. Es war mehr. Aus welchem Grund auch immer: Man wird in diesem Land ab und zu wahrgenommen. In den großen Städten des Westens existiert man für die Tausenden von Fremden, die schattengleich an einem vorbeihuschen, über­haupt nicht. Es ist dort, als habe man die Gabe der Unsichtbarkeit!
Ich verbringe den Tag zwischen Café und müdem Herumschlendern in den Straßen der Altstadt. Ich bin besichtigungsmüde. Die kurze Fahrt mit der Seilbahn, die mich zu einer schönen Aussicht auf die Stadt führen könnte, reizt mich überhaupt nicht, lieber sitze ich irgendwo regungslos und still und gebe mich den merkwürdigsten Gedankenflügen hin. Am Abend verführt mich schließlich die fast ausschließlich mit deutschen Gerichten beschriebene Speisekarte des Restaurants Altstadt dazu, ein Sniţel (ausgesprochen "Schnit­zel") zu bestellen.
Mittwoch, 4. Oktober
Ein moderner Rumäne
Ich frühstücke mit Cătălin, einem Freund meines Neffen, im feinsten Restaurant am Platz. Der junge Rumäne scheint den Anschluss an den Westen nicht verpasst zu haben, er wirkt smart und punktet mit modernen, fast stromlinienförmigen Umgangsformen. In perfektem Oxford-Englisch doziert er über die Geschichte Rumäniens, angefangen bei der Theorie - sie ist nicht die einzige -, dass die heutige Bevölkerung und die Sprache Rumäniens auf die Fusion der dakischen und romanischen Bevölkerung in der römischen Provinz Dacia zurückgehe.
Erstaunt bekomme ich mit, dass es rumänische Sprachinseln in Nordgriechenland, Al­ba­nien, Mazedonien und Südbulgarien gibt, und was mich am meisten überrascht, dass es im früher zu Italien gehörenden Istrien die (heute fast ausgestorbene) Volksgruppe der Istrorumänen gibt, deren Sprache eng mit Rumänisch verwandt ist.
Als ich äußere, wie wenig ich mich trotz meiner umfangreichen Kenntnisse romanischer Sprachen in Rumänien verständigen kann, erklärt er mir, dass Rumänisch in dieser Sprachfamilie eine Sonderstellung einnehme. Nur ungefähr 60 % des Wortschatzes sei lateinischen Ursprungs. Durch die geographische Isolation von der übrigen romanischen Welt und die Kontakte mit vielen anderen Sprachen im Verlauf der Geschichte Rumä­niens habe sich die rumänische Sprache sehr eigenständig entwickelt. Am stärksten sei der slawische Einfluss gewesen, sowohl beim Wortschatz (20 %) als bei der Phonetik. Darüber hinaus hätten die ungarische, die türkische und die neugriechische Sprache Spuren hinterlassen. Im 19. Jahrhundert sei man in Rumänien ausgesprochen frankophil gewesen, was die zahlreichen französischen Lehnwörter erkläre.
 
     
   
 
 
 
 
 
     
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