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Braşov (Kronstadt) |
Dröhnende Bässe von links,
Schlagermusik von Rechts. Ein Café im Freien neben dem
anderen in dieser Fußgängerzone, die sich in nichts
von jenen einer beliebiger Stadt im Westen unterscheidet, inklusive
ihrer historischen Fassaden, denen man den Bauch aufgeschlitzt
hat, um daraus hässliche Fenster des Kommerzes zu machen.
Junge Menschen in Jeans und imitiertem Amerika-Look, aufgemotzte
bildhübsche Mädchen mit Lederstiefeln, deren Absätze
so hoch sind wie die Karpaten, eingezwängt in hautengen
Jeans mit jeder Menge appliziertem goldglitzernden Firlefanz,
erotische Püppchen mit verlockendem freien Bauch, busenbetonenden
engen T-Shirts und vollberingten Ohren. Vergeblich sucht man
in ihren Gesichtern den Hol-mich-raus-von-hier-Blick, dem man
auf den Dörfern so oft begegnet. |
Aber - Moment mal! Täusche
ich mich nicht? Denn wenn ich an Sibiu zurückdenke,
fällt mir eine kleine Episode wieder ein, die mir zu denken
gibt. Als ich dort nämlich in einem Telefonladen meine
Prepaidkarte aufladen lassen wollte und zu diesem Zweck mein
Handy der jungen Angestellten reichte, veränderte sich
ihr bis dahin durchaus freundlicher Gesichtsausdruck schlagartig,
als ihr die italienische Menuführung des Gerätes auffiel.
Mit strahlenden Augen fragte sie mich, ob ich denn aus Italien
käme. Ach, wie gerne würde sie in diesem Land, ihrem
Traumland, leben! Also doch Hol-mich-hier-raus? Ihr Lächeln
war so strahlend, dass Verliebtheit es nicht hätte intensiver
machen können. Ihre an sich schon schönen, großen
Augen funkelten, als ob bei ihr eine innere Leuchte angegangen
wäre. Wann wurde ich zum letzten Mal so angestrahlt? Von
einer wildfremden Frau dazu? Bei allem Wissen um den wirkliche
Grund dieses Strahlens kam ich nicht drum herum, mich zu freuen.
Aber es war nicht nur die Freude an ihrem Lächeln, worum
es mir ging. Es war mehr. Aus welchem Grund auch immer: Man
wird in diesem Land ab und zu wahrgenommen. In den großen
Städten des Westens existiert man für die Tausenden
von Fremden, die schattengleich an einem vorbeihuschen, überhaupt
nicht. Es ist dort, als habe man die Gabe der Unsichtbarkeit! |
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Ich verbringe den Tag zwischen Café
und müdem Herumschlendern in den Straßen der Altstadt.
Ich bin besichtigungsmüde. Die kurze Fahrt mit der Seilbahn,
die mich zu einer schönen Aussicht auf die Stadt führen
könnte, reizt mich überhaupt nicht, lieber sitze ich
irgendwo regungslos und still und gebe mich den merkwürdigsten
Gedankenflügen hin. Am Abend verführt mich schließlich
die fast ausschließlich mit deutschen Gerichten beschriebene
Speisekarte des Restaurants Altstadt dazu, ein Sniţel
(ausgesprochen "Schnitzel") zu bestellen. |
Mittwoch, 4. Oktober |
Ein moderner Rumäne |
Ich frühstücke mit Cătălin,
einem Freund meines Neffen, im feinsten Restaurant am Platz.
Der junge Rumäne scheint den Anschluss an den Westen nicht
verpasst zu haben, er wirkt smart und punktet mit modernen,
fast stromlinienförmigen Umgangsformen. In perfektem Oxford-Englisch
doziert er über die Geschichte Rumäniens, angefangen
bei der Theorie - sie ist nicht die einzige -, dass die heutige
Bevölkerung und die Sprache Rumäniens auf die Fusion
der dakischen und romanischen Bevölkerung in der römischen
Provinz Dacia zurückgehe. |
Erstaunt bekomme ich mit, dass es
rumänische Sprachinseln in Nordgriechenland, Albanien,
Mazedonien und Südbulgarien gibt, und was mich am meisten
überrascht, dass es im früher zu Italien gehörenden
Istrien die (heute fast ausgestorbene) Volksgruppe der Istrorumänen
gibt, deren Sprache eng mit Rumänisch verwandt ist.
Als ich äußere, wie wenig ich mich trotz meiner umfangreichen
Kenntnisse romanischer Sprachen in Rumänien verständigen
kann, erklärt er mir, dass Rumänisch in dieser Sprachfamilie
eine Sonderstellung einnehme. Nur ungefähr 60 % des Wortschatzes
sei lateinischen Ursprungs. Durch die geographische Isolation
von der übrigen romanischen Welt und die Kontakte mit vielen
anderen Sprachen im Verlauf der Geschichte Rumäniens
habe sich die rumänische Sprache sehr eigenständig
entwickelt. Am stärksten sei der slawische Einfluss gewesen,
sowohl beim Wortschatz (20 %) als bei der Phonetik. Darüber
hinaus hätten die ungarische, die türkische und die
neugriechische Sprache Spuren hinterlassen. Im 19. Jahrhundert
sei man in Rumänien ausgesprochen frankophil gewesen, was
die zahlreichen französischen Lehnwörter erkläre. |
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