|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Siebenbürgen im Flug: Das deutsche
Siedlungsgebiet: Seine Kirchenburgen, Dörfer, Städte und
Landschaften
|
Auf das Bild klicken,
um Buch zu bestellen
|
|
|
|
Die Siebenbürger Sachsen |
Dass die Enteignungen aus dem Jahr
1945, eine kollektive Bestrafung mit ethnischem Vorzeichen,
die Entwurzelung eines großen Teils der deutschen Gemeinschaft
zur Folge hatte und letztendlich auch deren massive Auswanderung
in Gang setzte, kann man verstehen. Nach der Aufnahme der
diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Bukarest 1967
stieg die Zahl deutscher Aussiedler aus Rumänien deshalb
rasant an. 1978 traf Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Rumäniens
Ceausescu eine Vereinbarung, wonach Rumänien sich verpflichtete,
gegen Zahlung eines Pauschalbetrags pro Aussiedler jährlich
zwischen 12000 und 16000 Deutschen die Ausreise in die Bundesrepublik
Deutsch-land zu gestatten. |
Bei der Volkszählung 1977 wurden
noch rund 163.000 Deutsche in Siebenbürgen gezählt.
In den 1980er Jahren verschlechterte sich die Lage der deutschen
Minderheit in Rumänien noch mehr, nicht nur infolge
der Wirtschaftskrise sondern auch wegen des Nationalismus
der Mehrheitsbevölkerung als Staatsideologie. Der Gebrauch
der Muttersprache in der Öffentlichkeit wurde
eingeschränkt und viele der begrenzten Liberalisierungsmaßnahmen
der sechziger Jahre im kulturellen und schulischen Bereich wurden
zurückgenommen. |
1989 zählte man in Siebenbürgen
immerhin noch 115.000 Deutsche. Wie kam es dann, dass jene Siebenbürger
Sachsen, die während des Ceausescu-Regimes die Ausreise
geplant hatten, nach dessen Zusammenbruch 1989 ihre Entscheidung
nicht überdachten, und es dazu kommen konnte, dass es heute
nur noch 14.000 Siebenbürger Sachsen in Rumänien gibt? |
Hier hätte die Bundesregierung,
meiner Meinung nach, viel mehr für die Stabilisierung der
deutschen Bevölkerung in Rumänien tun müssen:
mit umfangreichen Förderprogrammen im Bereich
der Landwirtschaft und mit der Unterstützung von Klein-
und Mittelbetrieben, über ein weitverzweigtes
Netz materieller Hilfeleistungen, und über eine massive
Hilfe bei der Neugestaltung des gesellschaftlichen, kulturellen
und wirtschaftlichen Lebens. Nur so hätte der Bestand der
deutschen Minderheit gesichert werden können. |
800 Jahre lang hatten sich die Siebenbürger
Sachsen gegen Verheerungen, Zerstörungen und
Katastrophen widersetzt. Jedes Mal waren sie wieder aufgestanden,
hatten wieder aufgebaut, hatte ihr Lebenswillen gesiegt. Jetzt
war innerhalb weniger Jahrzehnte alles vorbei. Es könnte
hier noch eine Insel der deutschen Kultur existieren, eine Bereicherung
für dieses Land, wie es gut integrierte, fleißige,
nicht ausgegrenzte Minderheiten immer sein können. Es hätte
ein rumänisches "Südtirol" werden können. |
Viscri - ein magischer Ort |
Zurück an der Hauptstraße
gönne ich mir im Gemischtwarenladen einen Kaffe und setze
meinen enormen Rumänisch-Wortschatz ein, um mich nach einer
Schlafstelle zu erkundigen: "A dormi?",
frage ich, während ich mir Mühe gebe, zu verbergen,
dass ich den Kaffee ungenießbar finde (der bittere Kaffeesatz
bleibt mir auf der Zunge kleben). Es wird mir der kleine Kunsthandwerkladen
zwei Häuser weiter empfohlen, wo man auch ein Zimmer mieten
könne. So komme ich rasch in den Genuss eines spartanischen
Nachtquartiers, eines weißgekalkten, eisigkalten Raums
mit drei Betten und einem Schrank. Gut, dass Frau Panait, die
junge Inhaberin, im Badezimmer direkt gegenüber dem Zimmer
das Feuer im Ofen kräftig anschürt. |
|
Während ich auf das Abendessen
warte, gehe ich noch eine paar Schritte durch den Ort, wo sich
bald die nächste Begegnung ergibt. Der 64jährige Adolf
Dootz gehört zu den vierundzwanzig deutschen Einwohnern
(von ursprünglich 400), die noch in Viscri geblieben
sind. Es sind freilich größtenteils ältere Menschen,
die sich heute das Dorf mit 90 Rumänen und der inzwischen
auf 450 Personen angewachsenen Gemeinschaft der Zigeuner teilen. |
Er bereue es heute, nicht auch nach
Deutschland gegangen zu sein. Es sei ein sehr schweres Leben
hier, wiederholt er mehrmals. Sehr viele der Häuser im
Dorf seien leer, erklärt er. In anderen seien Rumänen
eingezogen. "Sie hassen uns", sagt er. "Sie richten
mit ihren Schafen großen Schaden an unseren Feldern und
unsere Wiesen an". Und niemand tue etwas dagegen. Einige
Häuser seien von ehemaligen Bewohnern zurückgekauft
worden, die aber höchstens ein paar Wochen im Jahr herkämen.
Er bewache einige dieser Häuser für die Eigentümer
und kümmere sich um deren Instandhaltung. |
Dann erzählt er mir von der
Mihai-Eminescu-Stiftung aus London, die sich für
umfangreiche Restaurierungen in einst sächsischen
Gemeinden einsetzt und deren Schirmherr der britische Thronfolger
Prinz Charles ist. Mehr als 30 Häuser seien in Viscri bereits
renoviert worden, an anderen werde noch gearbeitet. Freilich,
viel mehr als Mauern und Fassaden sei nicht renoviert worden,
innen sei alles wie früher geblieben: ohne Wasseranschluss
und mit Plumpsklo im Hof. Ob sich da mit dem Beitritt zur EU
etwas ändern würde, frage ich. Die Antwort kommt wie
geschossen: "Nicht in hundert Jahren! Die Rumänen
ändern sich nie". |
|
Immerhin besuchen wegen der Einzigartigkeit
des Ensembles bereits einige Tausend Touristen im Jahr das Dorf.
So zum Beispiel die zwei italienischen Paare, die fast zeitgleich
mit mir in Viscri angekommen sind. Von Neapel waren sie nach
Budapest geflogen, von dort fuhren sie per Mietauto nach
Rumänien weiter. Nun sind sie hier, aber die anfängliche
Begeisterung für die Schönheit und Abgeschiedenheit
dieses Ortes ist ihnen verloren gegangen. Denn ihr Auto stand
noch keine halbe Stunde vor ihrer Unterkunft, da entdeckten
sie eine riesige Öllache auf dem Boden, die auf eine leck
geschlagene Ölwanne schließen ließ. Ein mächtiger
Schlag bei der Fahrt auf der "ungeteerten" Straße
muss der Auslöser gewesen sein. |
Punkt ½ 8 klopft Frau Panait
wie vereinbart an meine Tür. Das Essen ist fertig. Ich
begebe mich in den kleinen Raum nebenan, der Café, Frühstück-
und Speisezimmer, sowie den Ausstellungsraum des Vereins "Viscri
incepe" (Weißkirch startet) in sich vereint.
Hier können Touristen heimische Strickwaren, Webwaren und
Keramik, sowie Kuchen, Apfelsaft und Sauerteigbrot erwerben.
Der Gewinn des Café-Ladens fließt in die Krankenstation,
die von der Initiative Rumänien e.V. Dresden unterstützt
wird. |
Kurz nachdem ich auf einen wackeligen
Hocker Platz genommen habe, erscheint die kleine Rumänin
mit einer dampfenden Suppenschüssel - einer Familienportion
dicker Gemüsesuppe. Dazu ein Korb voller Brot. Da ich mutmaße,
dass es das Hauptgericht ist, halte ich mich daran, schaffe
aber beim besten Willen nur zwei Teller. Welche Überraschung,
als kurz darauf der zweite Gang serviert wird: Kartoffelpüree
für vier Personen mit knusprig gebratenen rotbraunen
Würsten. Dazu eine riesige Schüssel Tomaten-Paprika-Salat.
Von der Zuversicht getragen, dass ein ausgedehnter Abendspaziergang
den Ausgleich schaffen werde, mache ich mich an das üppige
Mal. |
Als ich etwas später über
die Türschwelle trete, um meinem löblichen Vorsatz
Folge zu leisten, werde ich schlagartig von der pechschwarzen
Nacht verschluckt. Nicht ein Lichtstrahl kommt aus einem der
Fenster des Dorfes. Keine Straßenbeleuchtung hilft bei
der Orientierung. Ich kann kaum noch meine eigenen Füße
sehen. Wäre der Mond nicht bereits in seinem zweiten Viertel,
käme ein Spaziergang ohne Taschenlampe überhaupt nicht
in Frage. |
Aber gerade in dieser urzeitlichen
Dunkelheit liegt für mich der Reiz. Ich lasse in meinem
Zimmer das Licht brennen, damit ich später noch die Chance
habe, das Haus wiederzufinden. Dann gehe ich ein paar
vorsichtige Schritte bergauf. Peu a peu gewöhne ich mich
an die Dunkelheit. Ob die dunklen Schatten auf dem Boden Erdbüschel
oder Pferdeäpfel-Häufchen sind, werde ich allerdings
erst bei meiner Rückkehr feststellen können. Es ist
gespenstisch und romantisch zugleich. Verloren in einer Zeit,
von der ich dachte, dass es sie nicht mehr gibt. Drei Schatten
gehen in flottem Tempo an mir vorbei. Bald verlieren sich
ihre Stimmen in der Tiefe der Nacht. |
|
|
|
|
|