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Siebenbürgen. Sagenhaftes Land im Karpatenbogen
von Klaus Koch
und Martin Haidinger
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Bilder vom Reich Gottes
Ikonen und Fresken rumänischer Klöster
von Valeriu Anania
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Montag, 16. Oktober |
Abends im Restaurant Select in Făgarăş |
14 gedeckte Tische jeweils mit blütenweißen Tischtüchern
und dekorativ gefalteten Servietten in zwei Gläsern in
der Tischmitte; im Fernsehen - kaum Vorstellbar ein rumänisches
Lokal ohne eingeschaltetem TV-Gerät - läuft Werbung;
während der Inhaber sich mit einem Freund unterhält,
sitze ich als einziger Gast am anderen Ende des Saales und
warte auf meine ciorbă de văcuţă, ohne den
Schimmer einer Ahnung zu haben, um was es sich handelt. Hauptsache,
es ist keine Kuttelsuppe, eines der Nationalgerichte Rumäniens,
die ciorbă de burtă. Bei dem Wort Kutteln
komme ich ins Schmunzeln, denn mir fällt eine Episode
meiner Kindheit ein, als mir die Großmutter eines Freundes
eine vermeintlich leckere Semmel mit Kutteln - das reinste
Gummi! - zur Jause reichte. Ich musste auf den Balkon schleichen
und klammheimlich den ungeliebten Semmelbelag in den Nachbargarten
werfen.
Bei der ciorbă de văcuţă stellt sich bald
heraus, das es eine Gemüsesuppe mit Rindfleischstücken
ist. Mititei (je 35 g zu 1 Leu das Stück), die
ich bereits kenne, mache ich zu meinem Hauptgericht. Bei salata
de roşii cu ceapa würde ich nie erraten, dass
es sich um Tomatensalat handelt, obwohl darin das Wort roşu
steckt (rot) und ceapa an das italienische Wort
für Zwiebel, cipolla erinnert. Clătitecu dulceata
(Palatschinke mit Marmelade) wird meine Nachspeise,
das Wort hat mir meine Schwester beigebracht, die ebenso wie
ich ein Essen gerne mit einer Süßspeise abschließt.
Es ist höchste Zeit, dass ich mich wieder (über
die Gruß- und Dankesformeln hinaus) mit dem Lernen der
Sprache befasse, "Guten Tag, Fräulein, wie geht
es Ihnen, sprechen Sie Englisch?" kann ich zwar schon
fast im Schlaf herunterbeten, was aber, wenn die Antwort
der domnisoara "Nu inţelleg" ("Ich
verstehe nicht") lautet? Dann bin ich aufgeschmissen.
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Von Bergen und Ärgernissen |
Im Rückblick auf den heutigen
Tag kann ich wirklich nur den Kopf schütteln und auf meine
Humorreserven zurückgreifen. Zu sehr klafften das Erhoffte
und die erlebte Wirklichkeit auseinander. Einerseits hatte mich
bei der morgendlichen Abfahrt schlagartig das bekannte,
prickelnde Gefühl gepackt, endlich wieder "on the
road" zu sein, frei und bereit für neue Entdeckungen,
andrerseits begann diese Freiheit mit einem kilometerlangen
Stau in Richtung Ploieşti. Zum einen hatte die graue
Wolkenschicht begonnen aufzureißen und ein wunderbares,
klares Licht hatte die dem Höhepunkt der Herbstverfärbung
zusteuernden Hügel- und Berglandschaft überflutet,
zum anderen fing es kurz vor dem auch als rumänischem Cortina
d'Ampezzo bekanntem Ferienort Sinaia wieder an, zu regnen, und
ich konnte die stolzen Berggipfel nur kurz erahnen, weil sie
im Nu wieder hinter den Wolken verschwunden waren. |
In Anbetracht der wunderbaren alten
Fachwerkhäusern, die Sinaia schmücken, waren
mir bereits die wenigen klobigen, erst vor kurzem errichteten
Hotel- oder Gemeindebauten ein Dorn im Auge. Eine
rege Bautätigkeit hatte den Ort ergriffen. Ich sah halbfertige
Häuser, aufgegrabene Straßen, Bagger und Planierraupen,
die ihren Ruß in die vom Nieselregen befeuchtete Luft
spuckten: alles Anzeichen eines Aufbruchs in eine Zeit, die
ich ablehnte. Ist auch hier die letzte Romantik auf dem Wege,
dem Massentourismus geopfert zu werden? |
Eine instinktive Antipathie für
diesen Ort stellte sich bei mir ein. Und ich mochte auch die
Leute nicht, ob es Autofahrer waren, die auf ihre Vorfahrt pochten,
zufällige Passanten, die ich um Auskunft fragte
und mir ohne ein Lächeln begegneten, oder die grimmig reinschauende
Angestellte des Tourismusbüros. |
Auch von Sinaia hatte ich
eines von Vaters Fotos dabei. Es stellt das berühmte Schloss
Peleş dar, das
inzwischen auch, wie viele andere, zur Devisen bringenden Dracula-Pilgerstätte
deklariert wurde. Aber es sei - mit welchem Sadismus machte
mich die oben erwähnte Angestellte darauf aufmerksam
- heute und morgen für Besucher gesperrt. Und übrigens
- jetzt setzte sie zum Todesstoß an - würde
es morgen und übermorgen noch weiterregnen. Muffig, unfreundlich
und gelangweilt und gegen das eigene Interesse handelnd,
von solchen verbitterten Exemplaren, die den Anschluss an die
Errungenschaften des ihnen vermeintlich
zustehenden Fortschritts verpasst haben, gibt
es nicht wenige in Rumänien. |
Mir reichte das. Rasch setzte ich mich wieder ins Auto und
fuhr weiter. Das Schloss konnte mir gestohlen bleiben. Andrerseits,
wenn ich daran denke ..., all die schönen Villen am Berghang,
die Herbstfarben, die vornehme Atmosphäre dieses Ortes,
der unter anderen Umständen faszinierend sein muss. Aber
es half nichts. Regen ist Regen, ist Regen.
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Dass ich in Braşov wieder
Unmengen kostbarer Zeit verlor, bis ich auf der Landstraße
in Richtung Sibiu war, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.
Während ich fuhr, sehnte ich mich ständig nach weiten
Landschaften, nach der Einsamkeit der Berge, nach dem fast Nichts
eines kleinen Bergdorfs. Bis dahin würde ich aber noch
viel Dieselruß einatmen müssen und mehr als einmal
fluchen. Auf der Suche nach dem Unmöglichen fehlt mir oft
die Gelassenheit. Mein anvisiertes Ziel beschränkte sich
inzwischen ganz bescheiden auf das Städtchen Făgarăş. |
Făgarăş (Fogarasch) |
Aber kaum hatte ich das Auto vor
der kleinen Pension Vanessa geparkt und mein Gepäck
im Zimmer abgelegt, schon war mein ganzer Unmut verschwunden
- abgelegt wie ein Nasser Regenmantel nach dem Gewitter. Ich
liebe kleine Orte im Nirgendwo. Wenn es Nacht ist, der Sommer
vorbei, Kälte ins Hemd schleicht, dunkle Vogelsilhouetten
aufflattern und kaum noch ein Mensch auf der Straße
zu sehen ist; wenn man ein paar alte Häuserfassaden in
der Dunkelheit gerade noch erahnen kann, und wenn, wie hier,
die Autos entlang der Hauptstraße vorbeirasen
aber am Hauptplatz davon kaum was zu hören ist - ja,
dann fühle ich mich in einem Zustand der Gnade. |
Die junge Frau an der Rezeption
war äußerst freundlich, machte aber einen ziemlich
unsicheren Eindruck auf mich. Was, in Anbetracht der Tatsache,
dass sie erst vor drei Tagen ihre Stelle angetreten hatte, kaum
verwunderlich war. Dann nämlich, erklärte sie mir,
sei die Pension erstmals eröffnet worden. Ich sei der dritte
Gast. |
Es stellte sich heraus, dass der
junge Chef ein in Deutschland aufgewachsener Italiener aus Brindisi
war. Da ich ein in Italien aufgewachsener Österreicher
bin, war der Draht zwischen uns beiden sofort hergestellt. Auf
Italienisch - aber mit sporadischen Schlenkern ins Deutsche
- erzählte er mir, wie er zu diesem Hotel kam. Er sei früher
in der Gastronomie tätig gewesen und habe die Saison meistens
in Venedig und an der Adria verbracht, während er sich
im Winter in Frankfurt aufgehalten habe, wo seine Eltern wohnten. |
Der Zufall habe es gewollt, dass
ihn eines Tages die rumänische Frau eines Freundes darum
gebeten habe, ihr sein Auto zu verkaufen, für ihren Sohn,
der in Rumänien lebte. Und weil die liebe Frau nicht des
Autofahrens kundig gewesen sei, habe sie Antonio, so heißt
der junge Mann, gebeten, das Gefährt für sie nach
Făgarăş, einem kleinen Städtchen
unweit von Braşov, zu fahren. Dort habe er in einem
Café seine zukünftige Frau kennen gelernt. Er sei
geblieben, sie hätten geheiratet und gemeinsam ein Restaurant
geführt, und vor kurzem eben diese pensiunea eröffnet. |
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Dienstag, 17.10 |
Rumänien heute |
Ich fühle mich als einziger
Gast bestens umsorgt. Antonio und seine hübsche Frau Sorina
setzen sich zu mir an den Tisch und wir plaudern und plaudern,
ohne auf die Uhr zu schauen, über dieses Land, das der
Italiener inzwischen als seine zweite Heimat betrachtet.
Făgarăş, berichtet er, sei eine Stadt mit 20.000 Einwohnern,
eine Zahl, die im August auf 50.000 anschwelle, weil dann alle
im Ausland lebenden Făgarăşer hier Urlaub machten.
Wieder werde ich mit der Behauptung konfrontiert, dass es den
meisten Menschen zu Ceauşescus Zeiten besser gegangen
sei. Denn damals hätten alle zumindest das Lebensnotwendige
gehabt. Was dem Diktator den Kragen gekostet habe, sei aber
erstaunlicherweise auch eine seiner größten
Leistungen gewesen. Denn Ceauşescu habe im Laufe der Jahre
alle Auslandsschulden getilgt, Rumänien sei schuldenfrei
gewesen. Auf Kosten, allerdings, der Versorgung der Bevölkerung
mit wichtigen Gütern. Heute lebe ein Großteil der
Bevölkerung, besonders auf dem Lande, in noch tieferer
Armut. Es habe sich eine Schicht von Neureichen gebildet, meistens
jene, die in der Ceauşescu-Zeit wichtige Posten und richtige
Verbindungen hatten. Eine breite Mittelschicht fehle im Lande
immer noch. |
Burg Făgarăş |
Der Morgen ist eisig. Ein feuchtkalter
Nebel hängt über der Stadt und zieht durch jeden Schlitz
in meiner Kleidung, kriecht mir in die Glieder und zwingt mich
zu einem stets forschen Gang. Der Nebel löst sich nur langsam
auf und macht den Blick auf die einzige Sehenswürdigkeit
des Ortes, die Burg, nur sehr zögernd frei. Die Burg von
Făgarăş soll der Ort sein, von dem,
gemäß der Sage, der legendäre Fürst Negru
Voda (wörtl. "der schwarze Herzog") auszog,
um jenseits der Südkarpaten das Fürstentums der Walachei
zu gründen. |
Kloster Brancoveanu |
Als ich weiterfahre, ist es beinahe
Mittag. Ich peile ein Kloster an, das mir von Roberto dringend
empfohlen wurde. Er selbst sei zwar niemals dort gewesen, aber
ein Freund habe dort einmal übernachtet. Es soll sehr schön
sein, wie auch die Berglandschaft, in die es eingebettet ist.
Rasch versetzen mich seine Worte und meine Fantasie in die Stille
der Nacht, die nur frühmorgens von leiser Kirchenmusik
gebrochen wird. Den am nächsten gelegenenr Ort, Sâmbata
de Sus, erreiche ich in weniger als einer halben Stunde.
In kurzer Entfernung davon befindet sich das orthodoxe Kloster
Brancoveanu, angeblich das größte ökumenische
Zentrum aus Südosteuropa. Es ist eine historische Sehenswürdigkeit.
Das Kloster, Ende des siebzehnten Jahrhunderts gebaut, wurde
1785 zerstört und niedergerissen. Erst 1926 wurde es wieder
aufgebaut, im Stil des XVII. Jahrhunderts ausgemalt und 1946
neu geweiht. Etwa 50 Mönche leben, beten und arbeiten heute
hier und bieten den Reisenden Raum für Meditation und geistliche
Stärkung. |
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Ich spreche einen Mönch an,
der mit sehr großer Liebenswürdigkeit auf mich eingeht
und mir minutenlang und mit großer Geduld die Geschichte
des Klosters erzählt. Verstehen - er spricht nur Rumänisch
- kann ich kaum etwas, immerhin taucht aber ab und zu in meinem
Kopf eine Ahnung auf, von dem, worüber er möglicherweise
spricht. Als er beispielsweise hört, dass ich Österreicher
bin, erzählt er mir etwas von der Allianz der Österreicher
mit den Rumänen gegen die Türken. |
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Bei der Weiterfahrt nehme ich einen Mönch
im Auto mit, der nach Sibiu muss. Das Gespräch
ist der Sprachbarriere wegen natürlich wieder nicht sehr
ergiebig, ich wiederhole nur litaneiartig die identischen,
auf alles, was mir einfällt bezogenen Lobesworte: Die Landschaft,
das Kloster, Rumänien, alles ist demnach "foarte frumoasa"
(sehr schön). Weil ich aber noch einen Abstecher in die
Berge vorhabe, muss ich den Pater schon nach wenigen Kilometern
wieder absetzen. Als er bei Abzweigung bei Arpasu de Jos
aussteigt, fühle ich mich nicht wenig erleichtert
und nehme mir zum wiederholten Male fest vor, fleißig
Rumänisch zu pauken. So setze ich mein Kopfhörer auf
und übe. |
Der Abstecher in die Berge wird nur sehr kurz.
Von einer fantastischen Herbststimmung und einem klaren, blauen
Himmel beflügelt fahre ich direkt nach Süden auf die
Bergkette zu, hinauf und hinauf, die steilen Serpentinen
immer aufwärts, bis es fast nicht mehr geht, bis die Straße,
in anderen Worten, zur Eisplatte wird, und ich in einer etwas
düsteren, weil bereits schattigen und kahlen Winterlandschaft
angekommen bin. Also kehre ich um, sehe dabei, wie niedrig die
Sonne bereits am Himmel steht, und ahne sofort, dass mich das
gewohnte Schicksal ereilen wird. |
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