© | Reisebericht | Übersichtskarte | Links | Rumänien-Bücher | Home     
 
Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
In den Südkarpaten
 
   
 
Rumänien
 
Rumänien entdecken
 
Auf das Bild klicken,
um Buch zu bestellen
   
 
EU - Rumänien
 
Beitritsbarometer
Rumänien
 
Auf das Bild klicken,
um Buch zu bestellen
     
   
Poiana Braşov
Oberhalb von Braşov, am Fuße eines 1802 Meter hohen Berges und umgeben von einer grünen, sanften Mittelgebirgslandschaft, liegt Poiana Braşov, einer der bekanntesten Erholungs- und Wintersportorte der rumänischen Karpaten. Wenn der Ort auch nicht ohne Reiz ist, seine künstlich-rustikale Architektur durchaus anregender ist als manches neumodisches Luxushotel in den Alpen, und die Verlockung, ein paar Tage hier zu blei­ben und zu entspannen, groß ist, setzt bei mir doch die Überlegung durch, dass ich nicht in Rumänien bin, um zahlungskräftigen Neureichen beim Spaziergehen zuzu­seh­en.
Bran
Von der Straße aus sieht die Törzburg, die berühmteste feudale Burg Siebenbürgens, beeindruckend aus, so erhaben, wie sie hoch oben auf einem Felssporn ragt. Die Burg Bran, so wird sie heute fast ausschließlich genannt, ist als "Draculas Burg" zum ein­träch­tigsten Devisenbringer Rumäniens geworden. Tatsächlich liegt aber keinerlei Beweis vor, dass sich Fürst Vlad "der Pfähler" hier jemals aufgehalten habe.
Der Touristenrummel und mein immer stärker werdendes Bedürfnis, endlich in die hö­heren Lagen der Karpaten zu gelangen, lässt mich von einem Besuch absehen, ich be­gnüge mich daher nur mit einigen Alibifotos der imposanten Burg und verschiebe die Besich­ti­gung auf einen möglichen späteren Zeitpunkt. Die Anziehungskraft der Karpaten ist größer als das Bedürfnis, dieses touristische "Muss" zu erfüllen.
Mein Instinkt sagt mir zudem, dass diese fortgeschrittene Nachmittagsstunde die aller­beste ist, um die noch vor mir liegende Gebirgslandschaft zu erleben, denn das Licht wird von Minute zu Minute wärmer und verleiht Bergen, Wiesen und Wäldern einen sanften goldenen Glanz. Bei jeder Straßenkurve kommen mir immer großartigere Herbst­bilder entgegen. Mit jedem gewonnenen Höhenmeter werden die Luft klarer und die Farben kräftiger. Meine Begeisterung nimmt rapide zu.
Eine Pension in den Karpaten
Und als ob meine Zeitplanung optimal gewesen wäre, erreiche ich genau am Höhepunkt dieses Lichtspiels den kleinen Weiler Fundata. Er gefällt mir auf Anhieb derart gut, dass ich kurzerhand den Entschluss fasse, eine Unterkunft zu suchen. Pensiun? Nein, gebe es nicht, versichert man mir, als ich eine Gruppe Männer am Straßenrand danach frage. Zu schade! Ich will mich dennoch nicht geschlagen geben und gehe eine Runde durch den Ort. Und siehe da, es dauert nicht lange und ich werde fündig. Zeitgleich mit einem rumänischen Touristenpaar komme ich bei der Pension an, und es trifft sich außer­or­dent­lich gut, dass wenigstens die Frau ein ausgezeichnetes Englisch spricht und mir die Worte von Frau Bangala, der Inhaberin, übersetzen kann. Übernachtung und Essen ko­sten nur 80 Lei, das Ambiente ist rustikal und anheimelnd, alles stimmt! Ich sage unver­züglich zu.
Als ich es mir, keine zehn Minuten später, gerade in meinem schnuckeligen kleinen Zimmer bequem mache, klopft die junge Frau an die Tür und fragt mich, ob ich denn auf einen geführten Spaziergang in den Wald mitgehen möchte. Ausgemacht! In fünf Minuten bin ich fertig.
Die Glückseligkeit beginnt mit dem Anziehen der Wanderschuhe, denn kaum habe ich sie angezogen, schon spüre ich etwas auffällig Weiches unter den Sohlen: Ich bin in einen Kuhdreck getreten. Frau Mihăilă schmunzelt. Es bringe Glück, erklärt sie. Mădălin, der etwa 13jährige Junge der Gastgeber, führt uns drei Gäste. Zuerst zeigt er uns ganz stolz den Stall: ein paar Kühe, einen riesiger Eber, eine Sau, etliche Ferkel, etliche weitere Schweine, allesamt keine Bulimie-Opfer. Im vergangenen Winter soll ein Bär ein Ferkel direkt im Stall gerissen haben.
Danach führt er uns die steile, mit Herbstzeitlosen übersäte Wiese hinter dem Haus empor. Zwei kleine Hunde trotten hinter uns her. Die Herbstluft ist stechend klar. Das Licht, ich habe es erwähnt, begeistert mich! Wie diese Stimmung auf mein Gemüt wirkt, brauche ich also kaum zu beschreiben. Der Bub führt uns etwa eine halbe Stunde durch den wunderbar herbstlich verfärbten Wald, bis wir schließlich, mittlerweile schweiß­ge­badet, das angepeilte Ziel erreich, einen kleinen Felsvorsprung mit einer atem­be­rau­ben­den Fernsicht. Das Panorama, das man von hier genießen kann, hätte Kaspar David Frie­drich als Modell stehen können.
Die Eheleute Daniela und Gigi Bangala sind nicht von Armut geschlagen. Sie besitzen 24 Kühe, die bereits genannten Schweine und darüber hinaus die stolze Zahl von 2700 Schafen, die im Sommer von insgesamt zwölf Schäfern über die Weidegründe der Kar­paten getrieben werden. Zwanzig Schäferhunde stehen den Schäfern zur Seite, zur Bewachung der Herden. Es sei nicht selten, erzählt Mădălin, dass ein Wolfsrudel - es soll in den Karpaten noch 3000 Wölfe geben - eine Herde angreife. Meist lenkt bei solch einer Attacke einer der Wölfe die Hunde ab, während die anderen von hinten kommen und sich unbemerkt die Schafe holen, während die Hunde noch dem ersten Wolf hinterher rennen. Oder sie überfallen einzelne, von der Herde abgekommene Tiere. Gute Schäferhunde seien in der Lage, sehr rasch die Wölfe zu lokalisieren und blieben stets in der Nähe ihrer Herde.
Die Schäfer sind nicht bewaffnet, mit Stöcken und Lärm und mit der Hilfe der Hunde müssen sie versuchen, die Wölfe zu verjagen. Erst wenn sich die Attacken häufen, darf ein Jäger einige der Tiere abschießen.
Während wir im Wald umherstreifen, hören wir aus der Ferne wildes Hundegebell. Es sei eine Wildschweintreibjagd im Gange, erklärt der Junge. Wildschweine, übersetzt mir Frau Mihăilă, könnten, besonders wenn sie Kleine haben, sehr gefährlich und aggressiv werden. Selbst wenn man auf einen Baum flüchte, sei man von ihnen nicht sicher, sie würden dagegen anrennen und immer wieder so heftig gegen den Stamm stoßen, dass man riskiere, hinuntergeschleudert zu werden. Wildschweine werden hier in den Karpaten mit Vorlieb in der Nacht und mit Hilfe von Scheinwerfern gejagt.
Tischgesellschaft
8 Uhr: Kaum habe ich mich zum Abendessen hingesetzt, schon kommt Mădălin mit einer Flasche Palinka (einem hochprozentigen Schnaps) hereinspaziert, grinst von einem Ohr zum anderen, und will mir kräftig einschenken. Oh je, das wird keine magenschonende Angelegenheit, ist mein erster Gedanke! Kurz darauf gesellen sich meine neuen rumä­ni­schen Freunde zu mir. Der Tisch ist wunderschön gedeckt. Ein großer Portionsteller mit Kartoffeln, auf denen eine dicke Scheibe gebackenen Schinken thront, das saftig aus­se­hende dunkelrosa Fleisch ordentlich mit Fett durchwachsen und die knusprige, braune Haut vollgespickt mit Knoblauchzehen, lassen den Schluss zu, dass der Schnaps doch das Richtige sein könnte. Eine Schüssel eingelegter roter Paprika und ein Korb dicker Weißbrotscheiben vervollständigen die kulinarische Szene. Neben den Tellern stehen jeweils zwei Gläser, eines für die Pepsi Cola - herausfordernd steht eine Zweiliterflasche als Hommage an den "American Way of Life" auf dem Tisch - , das andere für die Palinka.
Nach dem Sohn kommt bald auch die Bäuerin und füllt unsere soeben leergetrunkene Gläser wieder reichlich mit dem Schnaps. Von da an kümmert sich Frau Bangalas Toch­ter, ein liebes, etwa zehnjähriges Mädchen, um uns. Um mich vom zuckersüßen Getränk fernzuhalten, bestelle ich Wasser, bekomme aber kurz darauf eine Karaffe Milch, noch ganz lauwarm vom Melken.
Während des Essens verwickeln die Mihăilă und ich uns in eine angeregte Konversation über das Leben, den Westen, die EU, Rumänien und die Welt. Erstaunlich was sie für aufgeklärte Standpunkte vertreten. Ihre Neugierde für mich und mein Interesse an Ihnen lassen den Fluss des Gesprächs kontinuierlich, entspannt und empathisch bis spät am Abend fließen.
Das junge Paar führt im Kurort Breaza, in den Karpaten südlich von Sinaia, einen Ge­mischt­warenladen, der sie sehr in Anspruch nimmt. Einen zweitägigen Aufenthalt in den Bergen könnten sie, so Frau Mihăilă, gerade noch verantworten, dann müssten sie aber wieder zurück ins Geschäft. Obwohl beide - in Bukarest, wo sie sich kennen gelernt haben - studiert haben, also durchaus keine Hinterwäldler sind, waren sie noch niemals im Ausland. Das konnten sie sich noch nicht leisten. Nur davon träumen, dass erlaubten sie sich schon.
Ob denn ein EU-Beitritt Rumäniens ihre Chancen auf eine Auslandsreise nicht erhöhen würde, frage ich. Möglich sei es schon, doch sie seien trotzdem skeptisch. Und mit ihren Bedenken stünden sie in Rumänien nicht alleine da.
Sechs von zehn Rumänen sind davon überzeugt, dass der Beitritt kurzfristig vor allem Nachteile mit sich bringen werde. Man sorgt sich, besonders auf dem Land, vor höheren Steuern, explodierenden Preisen und negativen Auswirkungen auf die heimische Land­wirtschaft. 60 Prozent der Rumänen sind schließlich Bauern. Mit den neuen EU-Normen werde sich für Kleinbauern die Landwirtschaft und die Tierhaltung nicht mehr lohnen. Sie würden zur Massenproduktion übergehen und sich an die Normen halten müssen. Das hieße auch, von so manchen lieb gewonnenen Traditionen Abschied nehmen. Auch die Mihăilăs befürchten, wie viele Rumänen, dass sie auf ihr gewohntes Essen verzichten müssten: natürliche Lebensmittel und Schweinefleisch von nach traditioneller Art ge-schlachteten Tieren. Die EU-Vorschriften besagen nämlich, dass ein Tier nur in einem offiziellen Schlachthof und nur nach der Einschläferung geschlachtet werden darf. Das geht an die Substanz des Gewohnten.
So würden viele Kleinbauern bald vor dem Aus stehen. Im scharfen europäischen Wett­bewerb würden nur große Bauernhöfe überleben, rund drei Millionen Kleinbauern müss­ten sich auf Dauer neue Jobs suchen, die es aber vor allem in den Städten geben werde - und ausschließlich für Menschen mit guter Ausbildung.
Zum Abschluss bringt Herr Mihăilă einen dicken (alkoholfreien) Fichtennadelsirup an den Tisch und schenkt mir davon kräftig ein. Er schmeckt köstlich und soll dazu auch noch gegen Hustenreiz wirksam sein. Er duftet und schmeckt sehr stark nach Wald.
 
     
   
 
 
 
 
 
     
Poiana Brasov Poiana Brasov Bran Karpaten Fundata Fundata Karpaten Mihăilăs Abendessen