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Rumänien
von Keno Verseck
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Donnerstag, 19. Oktober |
Um eine Erfahrung reicher |
Lernen - das ist bekannt - kann
man nur durch eigene Erfahrung. Und wenn man etwas Glück
hat, geht es sogar glimpflich aus. Als ich morgens etwas unentschlossen
vor einer Wechselstube stehe und die Kurse studiere, spricht
mich ein etwas untersetzter, einen dicken Schnurrbart tragender
Mann an und wirft mir dabei einen komplizenhaften Blick zu.
"Euro?" fragt er, und bietet mir einen besseren
Wechselkurs an. Und ich törichter Mensch bin so unvorsichtig
und gehe darauf ein. 3,46 Lei für einen Euro ist der heutige
Kurs. 3,5 wäre also geringfügig günstiger. Hundert
Euro möchte ich wechseln, das ergäbe laut
Adam Riese genau 350 Lei. Der Mann zählt die 10-Lei-Scheine
mehrmals vor meinen Augen durch. Anschließend gibt
er mir das Päckchen Scheine in die Hand, auf dass ich sie
selbst zähle. Was ich auch sorgfältig tue. Es scheint
zu stimmen. Ich vergleiche auch die Scheine mit meinen, kann
aber keinen Unterschied feststellen. Also stimme ich zu. Der
Tausch ist perfekt. |
Als
ich aber weniger als hundert Meter weiter gegangen bin, kommt
mir wie ein Blitz ein Verdacht. Ich nehme rasch die Scheine
aus der Brieftasche und zähle sie nach. Es sind deren nur
25! Das ergibt die Summe von 250 Lei. Welcher Denkfehler hat
mir nicht merken lassen, dass ich 25 und nicht 35 Scheine erhalten
habe? Hat mich die Fünf hypnotisiert? Ich bin konsterniert
über meine Dummheit, will es aber nicht auf mich ruhen
lassen. Eilenden Schrittes bin ich Sekunden später wieder
zur Stelle und spreche den Mann - merkwürdig,
er ist noch hier! - darauf an. Er solle bitteschön die
fehlenden 100 Lei herausrücken. Er stell sich natürlich
dumm, leugnet, versucht, mich abzuschütteln. Ich bin in
Rage, packe ihn am Ärmel und fordere ihn auf, mit mir zur
Polizei zu gehen. Er tut zuerst, als wäre er empört,
und kontert mit barschem Ton, ich solle die Hand von ihm lassen.
Aber ich bin inzwischen in Fahrt gekommen und fordere lautstark
und unbeeindruckt von seinen Ausreden die fehlenden
100 Lei an. "Poliţia", wiederhole ich barsch
und immer lauter, während eine kleine Ansammlung Neugieriger
inzwischen unsere Aufführung begafft. Das muss dem Mann
wohl langsam peinlich geworden sein, denn - siehe da - er gibt
nach. Mit beleidigtem Ton reicht er mir zwei Fünfziger
heraus. Erst etwas später wird mir bewusst, dass ich mich
beim Schwarzwechseln selbst strafbar gemacht habe und deshalb
in Schwierigkeiten hätte geraten können. |
Kontaktsuche |
Nach diesem Erlebnis brauche ich
wieder etwas Aufbauendes. Also mache ich mich auf den Weg zu
dem kleinen Dorf, wo ich am Anfang meiner Reise die beiden
jungen Frauen fotografierte. Ich beabsichtige, ihnen die inzwischen
in Bukarest angefertigten Abzüge zu bringen.
Eine kurze Fahrt und schon stehe ich wieder vor ihrer bescheidenen
Behausung. Leider ist aber - wie es nicht anders zu erwarten
war - dort niemanden aufzufinden. Die Nachbarin sagt
nur "Nu ştiu" (ich weiß nicht). Zwei
Häuser weiter befrage ich eine andere Zigeunerin, die inmitten
mehrerer, ziemlich verwahrlost aussehender Kinder gerade ihr
jüngstes stillt. Man frage mich nicht, wie ich es verstanden
habe, aber sie ist die Cousine der von mir gesuchten Schönen.
Ich verstehe gerade auch noch, dass die beiden Frauen auf der
Arbeit sind, dann bin ich mit meinem Latein am Ende. Ein Versuch,
die mir damals ausgehändigte Telefonnummer anzurufen, scheitert
kläglich. Eine fremde, alt klingende Stimme plappert nur
Unverständliches in den Apparat. |
Also greife ich in die gewohnte
Trickkiste und mache mich auf die Suche nach einem Dolmetscher.
Kaum zu denken, dass es keinen "Sachsen" mehr im Dorf
gebe! Es klappt. Bald sitze ich im kleinen Garten der liebenswürdigen
Frau Burzlschäfer und kann mich endlich wieder in meinem
heimatlichen Idiom unterhalten. Die alte Dame macht einen sehr
glücklichen Eindruck und es entfaltet sich eine sehr interessante
Konversation. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es nur wenige
weitere Deutsche im Dorf. Die alte Dame habe Verwandte in Sibiu
und regen Kontakt mit dem nach Deutschland ausge-wanderten Teil
der Familie. Regelmäßig kämen sie im Sommer
auf Besuch. Das reiche ihr völlig. Eine ihrer Schwestern
habe ihr sogar angeboten, zu ihr nach Sibiu zu ziehen, was sie
aber abge-lehnt habe. Ihr soziales Umfeld im Dorf würde
ihr fehlen, ihre Tiere würden ihr fehlen, der kleine Hund,
die vielen Katzen und die Hühner, die munter um uns herum
picken. Von dieser Warte aus betrachtet ist ihr Zuhause wirklich
eine kleine Idylle, freilich für eine allein lebende Frau
mit viel Arbeit verbunden. Aber da gebe es ja die Dorfrumänen
und die Zigeuner, sagt sie, die ihr bei der einen oder anderen
Tätigkeit hülfen. Einer dieser "Hilfsgeister"
sei gerade Marius, der junge Bauer, den ich kenne, und der kurz
darauf auch bei Frau Burzlschäfer auftaucht. |
Ich händige ihm also die Fotos
aus und er bestätigt mir, dass die beiden Frauen von acht
Uhr Früh bis sieben Uhr Abend auf den Feldern bei der Maisernte
arbeiteten. Das finde ich natürlich äußerst
interessant, schon der möglichen Fotografien wegen, und
so vereinbaren wir, dass ich morgen Vormittag wieder
herkomme und dass er mich auf die Felder zu den Frauen führen
würde.
Ich weiß nicht genau warum - oder doch? -, aber auf dem
Rückweg nach Mediasch fühle ich mich wieder ziemlich
beschwingt.
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Abends, im Restaurant Il Rosso |
Türme - ich kann es nicht oft
genug wiederholen - bringen es fertig, mich im Bruchteil einer
Sekunde zu verzaubern, mich in eine Märchenwelt zu versetzen,
mich träumen zu lassen. Es ist, als ob durch eine einst
erfolgte Prägung die Wahrnehmung mancher Merkmale,
wie das Leuchten der blauen Stunde, das Segeln der Schwalben,
das Mondlicht, dunkle Abendsilhouetten, Turmuhren, Giebeln und
alte Kirchen mich anfangs in die Zeit meiner Kindheit zurück
brächten, dann aber in die entferntere Vergangenheit einer
Welt, die ich nur aus Büchern, Märchen und Filmen
zu kennen glaube, die aber in Wahrheit ein reiner Konstrukt
meiner Fantasien ist. |
Ich sitze am Fenster dieses Ristorante
Il Rosso bei einem Glas Wein, komm nicht umhin, mir schauderhafte
Popmusik anzuhören, bin aber von der Optik von dem, was
ich sehe derart fasziniert, dass ich diese kaum wahrnehme. Das
rötliche Licht lässt die Vorhänge leuchten, die
Lampen selbst spiegeln sich im Fenster, und fast scheint es,
als wären diese Spiegelungen Sonnen oder Sterne, die am
Himmel hinter dem Kirchturm leuchteten. Ein Bild, das starke
Emotionen in mir weckt. |
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