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Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
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Mittwoch, 11. Oktober
Zurück nach Bukarest
Rückfahrt, diesmal zu fünft, denn Robertos Bekannte und deren Freundin sind heute mit von der Partie. Wieder fahren wir lange, ermüdende Stunden inmitten einer fla­chen, langweiligen Landschaft. Die Sonne, die uns gestern einen klaren Tag beschert hat, verschwin­det mit zunehmender Nähe an Bukarest immer mehr im Dunst.
Donnerstag, 12. Oktober
Architektur
In den paar Tagen, die ich noch in Bukarest bleibe, möchte ich vor allem Eindrücke von der Architektur dieser Stadt sammeln und fotografisch festhalten. Gleichzeitig drängt es mich wieder, die Spuren meines Vaters zu suchen, womit ich bisher kaum er­folg­reich war. Wie schön muss diese Stadt vor dem Krieg gewesen sein. Nicht ohne Grund, denke ich, wurde sie das "Paris des Ostens" genannt. Wenn man bei schö­nem Wetter (denn das Grau der ersten Tage hat nur die Trostlosigkeit des Verfalls und der "Moder­ni­sierung" verstärkt) und ausgestattet mit viel Fantasie durch die Straßen geht, wenn man darüber hinaus die stinkenden, lär­men­den, immer in Mengen auftretenden Autos, die neueren Hoch­häuser in Stahl und Glas und den Verfall wegdenkt, dann sieht man plötzlich wun­der­schöne alte Häuser, große Parks, breite Alleen, und eine großzügige Architektur, die davor wie verdeckt schien.
Bukarests Architektur ist erstaunlich vielfältig. In kaum einer anderen europäischen Hauptstadt findet man auf engstem Raum ein derart buntes Stilgemisch. Gebäude im k.u.k.-Stil, Paläste im französischen Neo-Barockstil des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Villen im Brâncoveanu-Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts (der orientalische und italienische Baumotive vereinigt), daneben kleine ländliche Häuschen, die sich zwischen Blöcken im modernistischen Stil der 1930er Jahre ducken. Es ist gerade dieses Wider­sprüch­liche und das Aufeinandertreffen verschiedener Stile und Epochen, die Bukarest so unvergleichlich und spannend macht.
Dass ein Fünftel der Altstadt, darunter das jüdische Viertel, ein Kloster und zahlreiche Kirchen, vom "sozialistischen" Diktator vernichtet wurde, ist ein nicht wieder gut­zu­ma­chender Verlust. Ganz zu schweigen vom Verbrechen an den mehr als 70.000 Ein­woh­nern, die aus ihren Wohnungen und Häusern vertrieben wurden. Dass aber inzwischen immer mehr Kräne die Skyline der zwei Millionen Einwohner zählenden Stadt dominieren und von einem Immobilien-Boom sondergleichen sprechen, lässt eine zweite Zerstörung der Stadt befürchten. Wie lange werden die übrig gebliebenen, eher unübersichtlichen Viertel der Altstadt mit ihren gewundenen Kopfsteinpflasterstraßen und den kleinen, alten Häusern mit den grünen Innenhöfen, noch bestehen bleiben?
Wenn diese Stadt den ganzen Schmutz, den Staub auf den Straßen, den abbröckelnden Putz und den Russ, der die Häuserfassaden zerfressen hat, und all die überhand neh­men­den Reklameschilder abschütteln könnte, würde sie ihrem alten Namen noch Ehre machen können. Und das trotz der Monumentalbauten der Ceauşescu-Ära. Ich zögere im Übrigen nicht, mich dem Vorwurf des schlechten Geschmacks auszusetzen, wenn ich behaupte, dass der protzige Zuckerbäckerstil und die pompöse Größenwahnarchitektur, die so große Teile Bukarests in eine Art Mausoleum verwandelt hat, mit ihrem Ein­heits­stil der Stadt mehr Charakter verleihen, als es der Wildwuchs narzisstischer Selbst­dar­stel­lungen von zweitklassigen Architekten täte. Deren individualisierte, vermeintlich originelle, aber untereinander nicht zusammenpassenden moderne Klötze, schießen auch hier schon wie Pilze in den Himmel, auch hier verunstalten immer mehr Hoch­häuser gewachsene Ensembles schöner alter Häuser. Und dass allzu viele der brö­ckeln­den Häuserfassaden hinter riesigen Werbebannern verschwinden, macht die Sache nicht besser.
Spurensuche
Auf jedes Haus achtend und jede Fassade, die nicht gerade aus der Zeit des Kommu­nis­mus zu stammen scheint, genauestens unter die Lupe nehmend, marschieren wir, mit einem von Vaters Fotos in der Hand, durch die Innenstadt. Allzu viele zentral gelegene Boulevards, wie den auf dem Bild, sagen wir uns, kann es doch gar nicht geben ...
Vergebens. Nichts scheint so geblieben zu sein, wie es einmal war. Erst als wir in einer Buchhandlung auf einen alten Druck stoßen, auf dem wir eines der Gebäude wie­der­er­kennen, sehen wir uns am Ziel. Ein Verkäufer ist schnell angesprochen, der Stadtplan entfaltet, die Stelle gefunden. Enttäuschend ist es dennoch. Das ehemals großzügig angelegte, lebendige Boulevard ist heute kaum wiederzuerkennen, so ist es von Hoch­häu­sern und Werbung verunstaltet, von Autos erstickt.
Freitag, 13. Oktober
Die Spurensuche geht weiter
Ich habe dieses Bild vor Augen, seit dem ich denken kann. Es taucht auf alten Fotos unserer Wohnung in der Schulerstraße 18 in Wien auf, es hatte einen Ehrenplatz in allen Wohnungen, in denen wir im Laufe der Jahre wohnten, und es ist nun in meinem Besitz, als einer von vielen Gegenständen, die mich an meinen verstorbenen Vater erinnern.
Es ist das Portrait einer Zigeunerin, die mit großen, dunklen Augen den Betrachter an-sieht, ihn aber offensichtlich nicht wirklich wahrnimmt. Ein Blick, wie eine Flucht. Die Autorin, die rumänische Malerin Magdalena Radulescu.
Als ich meine jetzige Rumänienreise plante, war mir sofort klar, dass das Gemälde eine Spur war, die ich verfolgen wollte. Ich suchte also im Internet nach dem Namen, stieß zunächst auf eine Reihe von Seiten von einer gewissen Frau Dr. Magdalena Radulescu, Ärztin am Universitätsklinikum Heidelberg, dann aber wurde ich fündig: Magdalena Radulescu, Malerin, geb. 1902 in Ramnicu Valcea, Rumänien, gest. 1983 in Rumänien. Und - ist es nicht ein Zufall? - sie studierte, unter anderem, an der Kunstakademie in München, keine zwei Kilometer entfernt also, von dem Ort, wo sich dieses Ölgemälde heute befindet. Auf der Webseite fand ich auch Hinweise auf den Aufenthalt manch ihrer Werke. Gut, dass unser heutiges Ziel gerade das Muzeul National de Arta ist, denn diese ist eines von den Museen und Galerien, die ich aufgelistet finde.
Und hier werden wir auch fündig. Es handelt sich zwar nur um ein einziges Bild, aber wir werten es als Erfolg und klopfen uns gegenseitig auf die Schultern. Freilich könnte ich mir auch ambitioniertere Ziele vorstellen, persönlichere Spuren verfolgen, wie Kontakte zu den Erben der Malerin, nur gelingt es mir - vorerst! - nicht, auch nur den geringsten Ansatz­punkt zu finden. Immerhin fließt in 65 Jahren viel Wasser unter den Brücken!
Die Spurensuche geht weiter. Nach dem Museumsbesuch ist eine andere Stelle an der Reihe. Diesmal ist es eine einfachere Übung, denn auf den Fotos sind leicht zu identi­fi­zie­rende Bauwerke abgebildet, die Roberto, als Bukarest-Kenner, auch sofort erkennt.
Auf dem einen Foto, welches das Datum 22. Juni 1941 trägt, sieht man eine Militär­para­de auf dem Platz, der damals wohl Königsplatz geheißen haben muss, heute aber, nach dem Umsturz der Kommunistischen Diktatur, Piaţa Revoluţiei (Platz der Revolution). Anlass der Parade war der Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, an den sich das Rumänien unter der Diktatur des General Antonescu beteiligte.
Das Reiterstandbild, übrigens, das auf einem der Bilder zu sehen ist, ist an der Stelle nicht mehr vorhanden. Statt dessen findet man nicht weit davon das Denkmal für die blutige Revolution vom Dezember 1989, im Volksmund "Die aufgespießte Kartoffel" genannt. [ ]
 
     
   
 
 
 
 
 
     
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