|
|
|
Samstag, 14. Oktober |
Die besten Mititei in der Stadt |
Ein ereignisarmer Tag unter dem
Zeichen von Evas Abflug. Wir begleiten sie am frühen Nachmittag
zum Baneasa International Airport, dem
älteren und zentraler gelegenen der beiden Flughäfen
Bukarests. Während der Coandă-Flughafen von den
wichtigsten internationalen Fluglinien angeflogen
wird, sind es hier hauptsächlich Charter- und Billigfluglinien
wie Blue Air, Germanwings, Carpatair und
andere. |
Bevor wir, nun zu zweit, zurück
in die Stadt fahren, schlägt Roberto einen Besuch beim
"Buckligen" vor. Nein, ich verstoße mit diesem
Wort nicht gegen die Regeln der Politischen Korrektheit.
Denn Ion Oiţă sieht seine körperliche Behinderung
ganz und gar nicht als eine solche an, im Gegenteil, er hat
aus ihr sein Markenzeichen gemacht. "La Cocoşatu",
(der Bucklige) heißt sein Restaurant, das es in wenigen
Jahren zu einem hohen Bekanntheitsgrad gebracht hat. |
|
Roberto kann sich noch gut erinnern:
Es ist kaum ein paar Jahre her, da gab es an dieser Stelle
lediglich eine Imbissbude und ein paar Tische im Freien mit
den entsprechenden Stühlen. Mittags kamen
die Flughafenbediensteten, die Angestellten der Büros aus
dem näheren Umfeld und vielleicht noch ein paar Zufallsgäste
vorbei, um sich mit den köstlichen Mititei des Herrn
Oiţă zu stärken. Es muss sich jedenfalls herumgesprochen
haben, dass sie hervorragend schmeckten. Der Rauch des Grills
wurde immer mehr, die Sitzgelegenheiten vermehrten sich wie
die Fische und das Brot im neuen Testament und binnen kurzem
war auch ein kleines überdachtes Gebäude an der Stelle,
damit man die Köstlichkeit auch an Regentagen genießen
konnte. |
Es verging nicht allzu viel zeit,
da war aus dem kleinen Imbissstand ein regelrechtes Restaurant
[
] geworden, das auch ein breiteres Angebot von rumänischen
Gerichten auf der Speisekarte aufführte. Aber nach wie
vor gab es die kleine Bude und den kleinen buckligen Herrn hinter
dem rauchenden Grill. Und so ist es heute noch. Der Erfolg ist
ihm nicht in den Kopf gestiegen. Tag für Tag atmet er weiterhin
den beißenden Qualm ein und brät seine berühmten
Mici, inzwischen als die besten der Stadt bekannt. |
Keine Frage, dass Robertos Schilderung
meinen Mund wässrig gemacht hat. Um es kurz zu machen:
Dass ich bereits zum Kenner dieser rumänischen Spezialität
avanciert bin, will ich nicht behaupten, aber nachdem ich von
den Mici des Buckligen gekostet habe, wundere ich mich
kein bisserl mehr über seine beispielslose Erfolgsgeschichte. |
Sonntag, 15. Oktober |
Ceausescus Erbe |
An diesem letzten Tag meines Aufenthalts
in Bukarest hat mich ein vehementes Bedürfnis gepackt,
in die Stadt zu gehen und das nachzuholen, woran mich das unschöne
Wetter, das so viele meiner Tage in dieses Stadt charakterisiert
hat, gehindert hat. Denn hinter dem Schleier der grauen Luftfeuchtigkeit
verlieren auch die schönsten Ecken an Anmut, besonders
wenn man mit dem Fotografenblick durch die Straßen geht. |
|
Zuerst fahren Roberto und ich wieder
in den Cişmigiu-Park, schlendern ein wenig in dessen
kühlem Grün herum, danach bummle ich eine Zeit lang
alleine kreuz und quer durchs Zentrum und die Viertel, die so
sehr von Ceauşescus Wahn umgestaltet worden sind. Es
ist eine geschundene Stadt. 1977 zerstörte ein Erdbeben
zahlreiche Gebäude der Innenstadt, dann hinterließ
die jahrelange Vernachlässigung ihre Spuren, 1989 schließlich
taten die Kämpfe der Revolution das Ihre. Am augenfälligsten
sind aber die Spuren der "Systematisierung" durch
den kommunistischen Diktator. Als ich die überdimensionale
Prachtstraße Bulevardul Unirii ostwärts marschiere,
wechseln sich in meinen Gedanken spannendes Interesse und
Fassungslosigkeit fast auf Schritt und Tritt ab. |
|
Städtebau |
Meine Überlegungen beziehen
sich nicht unbedingt ausschließlich auf Bukarest. Denn
mir spuken ganz allgemeine, noch unfertige Gedanken über
Architektur und Städtebau im Kopf herum, in die ich keine
rechte Ordnung zu bringen vermag. Mir fällt beispielsweise
eine gewisse Parallele zwischen Städtebau und Bücherverbrennung
auf: Das Alte wird, aus welchen Gründen auch immer, vernichtet,
sei es im Namen einer Ideologie, eines modischen Trends oder
geänderter Machtverhältnisse. So führte beispielsweise
in den sechziger Jahren die modernistische Ideologie zum Skandalbau
des Technischen Rathauses auf dem Römer im Frankfurt oder
zum Kaufhaus-Monster auf dem Münchner Marienplatz. Und
wenn auch in Einzelfällen - das Rathaus in Frankfurt soll
z.B. abgerissen werden - Bausunden behoben werden können,
so kommen sie doch meistens, um zu bleiben - jedenfalls bis
zur nächsten Zerstörung. Angesichts der Verbissenheit,
mit der sich Architekten und Planer an "schnittig modernen"
Flachdachkuben oder Stahl-und-Glas-Riesen festbeißen,
sind für mich Wörter wie "Stadtplanungsamt"
und "Stararchitekt" zu Feindbilder mutiert. Wie gut
hat es mir getan, als ich von einer neueren Studie des Hamburger
BAT-Instituts las, nach der 71 Prozent der Bürger eine
"historische Altstadt" als wichtigsten Beitrag zur
Lebensqualität einer Stadt bezeichnen. Aber mit dem Wiederaufbau
historischer Bauten kann sich ein Architekt natürlich nicht
profilieren und ins Rampenlicht katapultieren. Stadtzerstörung
im Namen der Eitelkeit! Womit wir wieder bei Bukarest und seinem
Conductator angekommen wären. |
|
|
|
|
|