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Rumänien. Richtig reisen (DuMont Richtig
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Sibiu - Hermannstadt: Europäische Kulturhauptstadt
2007
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Donnerstag, 28. September 2006 |
Weiter nach Sibiu |
Die Fahrt beginnt vielversprechend.
Eine schwache Sonne beleuchtet ab und zu die weite, sanft hügelige
und kaum besiedelte Landschaft und zaubert auf die vereinzelten
bereits herbstverfärbten Laubbäume einen goldenen
Glanz. Nur wenn die Dunstglocke wieder dichter wird, trübt
ein Vorhang von Düsterheit vorübergehend das Land. |
Apoldo de Sus (Großpold) |
Als ich, etwa 27 km vor Sibiu,
durch Apoldo de Sus (Großpold) fahre, lässt
mir das Staunen schlagartig den Fuß vom Gaspedal
nehmen und das Herz schneller schlagen. Denn ich sehe aus den
Augenwinkeln heraus ein Dorf, das vor hundert Jahren kaum anders
ausgesehen hätte. Und erst jetzt werde ich mir bewusst,
dass ich in Siebenbürgen angekommen bin, der ehemaligen
deutschsprachigen Insel in Rumänien. Géza II., König
von Ungarn, hatte im 12. Jahrhundert die deutschen Siedler von
der Mosel kommen lassen, um die ungarische Ostgrenze zu sichern. |
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Kurz entschlossen parke ich auf
dem kleinen Platz vor dem Schulgebäude, werde beim Aussteigen
von zwei Zigeunerinnen angebettelt, und tauche dann mit einem
diffusen Glücksgefühl in meine mehr als hundert Jahre
zurückliegende Kindheit ein. Gefühlsmäßig
ist es zumindest so! Aber die Kindheit meines Großvaters,
ja, die könnte es gewesen sein: als Dorfstraßen
noch nicht asphaltiert waren und sich nach dem Regen in Schlammflächen
verwandelten, als Kinder bei der Getreide- und der Heuernte
halfen und auf der Hauptstraße Ball spielen konnten, und
als eine watschelnde Gänseschar noch ungestört von
jeglichem Verkehr die Straße überqueren konnte. |
Was für eine verblüffende,
fast berauschende Wirkung können Dorfkirchtürme auf
meine Gemütslage haben! Es reicht, dass ich meinen Blick
nach oben richte und zu ihnen aufschaue, und schon macht
sich, ob ich es will oder nicht, meine Einbildungskraft selbständig
und bewirkt Erstaunliches: Ich verlasse von einem Augenblick
zum anderen das Jetzt, wache in einer entfernten Zeit wieder
auf, und fühle mich tief ins dörfliche Mitteleuropa
versetzt. Auf welche Archetypen meiner Kindheit dies zurückzuführen
sein mag? Auf die Illustrationen eines Bechstein-Märchenbuchs
aus dem spä-ten 19. Jahrhundert? Auf Bilderbücher,
die sich mir auf immer eingeprägt haben? Auf ein Gemälde
Brueghels? Oder sind es Bilder des ländlichen Österreichs,
die ich als Fünfjähriger gerade noch auf-schnappen
konnte, bevor meine Familie nach Italien zog? |
Wie in keiner anderen europäischen
Region haben sich die Siebenbürger Dörfer ihr mittelalterliches
Bild erhalten. Jedes Haus ist ein Wunderwerk bäuerlicher
Architektur, jedes Tor und jedes Fenster hat die richtige Form
und Proportion, jeder Hinterhofgarten ist eine
ruhige Idylle. |
Als ich staunend und innerlich
aufgekratzt durchs Dorf gehe, fällt mir zuerst eine eigenartige
Leere auf: Keine Autos parken in den breiten, unebenen, ungeteerten
Straßen, keine Kinder spielen Ball, keine Hunde kläffen
mir hinterher, als ich vorbeigehe. Dennoch sind viele
der Häuser frisch gestrichen in bunten Farben, mit eindeutigen
Zeichen von Renovierung, als ob nach den vierzig Jahren Dornröschenschlaf
während der Ceausescu-Ära endlich wieder Leben einzöge.
Leben, aber, das ich nirgendwo sehe. |
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Dieser Widerspruch löst sich
erst auf, als ich einen Herrn anspreche - zunächst erfolglos
auf Deutsch, daraufhin auf Rumänisch (!) -, der im Innenhof
eines dieser instandgesetzten Häuser herumwerkelt.
Nach einem festen Handschlag und den üblichen Höflichkeitsfloskeln
lädt er mich auf einen Kaffee ein, und wir gehen eine schmale
Holztreppe hinauf in das auch innen komplett renovierte Haus.
Stolz zeigt er mir alle Zimmer, deren Aussehen allerdings
im völligen Gegensatz zum traditionellen Äußeren
des Anwesens steht. Die moderne, teils kitschige Einrichtung
steht stilistisch in meilenweitem Abstand zu jener, die einmal
diese bäuerlichen Räume charakterisiert haben muss.
Aber wie hätte es anders sein können? Herr Edirmus,
Inhaber eines Import-Export-Geschäfts für Schafsfelle,
hat sich in dieses Dorf in der Nähe von Sibiu nur eingekauft.
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Er erklärt mir, was es mit
der von mir beobachteten Leere an sich habe. Die deutschsprachigen
Einwohner seien allesamt nach Deutschland ausgewandert. Weniger
als hundert, die Mehrheit von ihnen deutlich jenseits der Siebzig,
lebten noch im Dorf. Die anderen, die Ausgewanderten (oder ihre
Kinder), kämen nun zurück, renovierten ihre alten
Häuser (die sie in der nachkommunistischen Zeit zurückbekommen
oder -gekauft hatten), und benutzten sie als Urlaubswohnungen,
oder um hier den Lebensabend zu verbringen. |
Von den etwa 3000 Einwohnern, die
Großpold vor dem Krieg hatte, waren fast zwei Drittel
"Sachsen" (so wurden die Deutschstämmigen Siebenbürgens
genannt).
Während der Ceausescu-Diktatur konnten jährlich, dank
eines Vertrages der Bundesrepublik mit Rumänien,
Tausende von Deutschstämmigen aus ganz Rumänien auswandern.
Immerhin gab es aber Ende 1989 in Großpold noch etwa 1200
Deutsche. Erst mit dem Zusammenbruch des Regimes und der Öffnung
hin zu Europa begann die große, endgültige
Auswanderungswelle. |
Sibiu (Hermannstadt) |
Kaum drehe ich meine erste Runde
durch die Altstadt, schon komme ich ins Grübeln! Ich fühle
mich wie im Märchen vom Hasen und dem Igel. Nur sind hier
Touristen in die Rolle des Igels geschlüpft. Sie sind allgegenwärtig
und scheinen mir frech zuzurufen: "Wir sind schon da!"
Wenn in einem Ort bereits Händchen haltende ältere
amerikanische Ehepaare durch die Straßen flanieren - ich
finde sie reizend! -, dann ist seine Authentizität schon
stark gefährdet, denn der Tourismus bringt nicht nur
Wohlstand, sondern auch die üblichen gleichmachenden Folgeerscheinungen.
Als McDonald's und Konsorten anfingen, sich hier breit zu machen,
waren die Einheimischen noch unter sich. Noch kannten sie die
Gaumenfreuden nicht, die von jenseits des Atlantiks
ihrem Lebensstil auflauerten. Aber zugegeben, der Kommunismus
hatte punkto Gleichmacherei und Plattmachen der Traditionen
auch schon ganze Arbeit geleistet! |
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Der Bürgermeister Klaus Werner
Johannis, ein Siebenbürger Sachse, verspricht sich 2007
mindestens eine Verdreifachung der Zahl der Touristen. 2006
waren es 200.000! Ich sehe schon den Tag kommen, an dem
sich auch Sibiu in nichts mehr - sieht man einmal von einem
unwichtigen Detail: der Architektur, ab - von den zahlreichen
anderen mittel- und osteuropäischen Tourismushochburgen
unterscheidet. Dort zieren die mit Coca-Cola- oder Heineken-Werbung
bedruckten Sonnenschirme der Cafés im Freien die historischen
Plätze, lockern einheitliche Pflanzentröge dieselben
auf, sprechen die Portiers in den jetzt nicht mehr so preiswerten
Hotels ein passables Englisch, hört man Französisch
vom Nebentisch im Cafe. Um den Atem der Geschichte wahrzunehmen,
muss man fortan etwas genauer hingucken oder weniger bekannte
Ziele aufsuchen. Oder man kommt zu einer anderen Jahreszeit.
Wie schön muss es hier an einem stürmischen Winternachmittag
sein. Dann hat die Gastronomie ihre Flächen im Freien aufgegeben
und die wenigen Passanten sind zu dunklen Silhouetten geworden,
die geheimnisvoll zwischen den Schneeflocken vorbeihuschen.
Dichter Schneefall kann eine wunderbare Zeitmaschine sein! |
Sibiu, 2007 zur Kulturhauptstadt
Europas erkoren, steht noch unter Renovierung. Fast die gesamte
Stadt ist zur Großbaustelle erklärt worden und jedes
zweite Gebäude ist noch hinter einem Gerüst verborgen,
jede dritte Straße ist noch im aufgerissenem Zustand,
um neu gepflastert zu werden. |
Die Piata Mare, der Hauptplatz,
und zahlreiche Nebenstraßen sind elegant mit neuem Kopfpflaster
bezogen und bereits verkehrsfrei, die Fassaden glänzen
alle in zarten Pastellfarben, die stilgetreu wiederhergestellten
Beleuchtungskörper geben dem Abend einen anmutigen, warmen
Farbton. Herrlich der Blick von der Oberstadt auf die Dächer
der Unterstadt. Eine alte Dächerlandschaft löst übrigens
eine ähnliche Wirkung bei mir aus wie es Türme tun:
Sie schickt mich auf eine berauschende Zeitreise. |
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Der Bürgermeister lädt
auf Prospekten und Webseiten die Gäste der Stadt dazu ein,
durch die Straßen und über die Plätze der historischen
Stadt, unter ihren gotischen Arkaden und zwischen ihren Häusern
im Renaissancestil spazieren zu gehen, und ihre eleganten barocken
Kirchen und Jugendstilbauten zu besichtigen. Was für ein
Glück, dass diese wertvolle historische Bausubstanz aus
den vergangenen Jahrhunderten nicht von den kommunistischen
Machthabern abgerissen wurde oder dass sie nicht dem Schicksal
mancher westlichen Stadt erleiden musste, die einer autogerechten
Stadt weichen mussten.
Als ich in den späten Abendstunden gedankenverloren durch
dieses prächtige Ambiente schlendere, das vor nicht allzu
langer Zeit noch trist und heruntergekommen vor sich hin verfiel
und jetzt im Gespräch ist für die Aufnahme in die
UNESCO-Liste des Weltkulturerbes, sind die schäbigen
Trabantensiedlungen rund um die Altstadt, die zu durchqueren
unvermeidlich ist, wenn man in der Stadt ankommt, nur noch Geister
aus einer hässlichen fremden Welt. |
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