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Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
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Dienstag, 26. September 2006
Fahrt zum Balatonsee (Plattensee)
Dass ich versuchen würde, in kaum mehr als einem halben Tag von München über Wien und Budapest bis zur rumänischen Grenze zu gelangen, das stand nicht zur De­batte. Die Fahrt sollte schließlich nicht in Stress ausarten, sondern von Anfang an ge­nie­ßerisches "Reisen" sein. Weil aber diese Einstellung zu einer gewissen Laschheit bei mei­ner Fahr­weise geführt hat, ist es bereits halb fünf, als ich bei Nickelsdorf endlich die un­ga­ri­sche Grenze passiere. Es ist also höchste Zeit, mir Gedanken über einen geeigneten Ort zum Übernachten zu machen. Ein Blick auf die Karte und ich weiß es: der Plattensee soll es sein! Innerhalb eines Wimpernschlags verliebe ich mich in die Vorstellung, ich würde noch vor Sonnenuntergang am Ufer dieses von Millionen deutschen Urlaubern geliebten Gewässers gemächlich flanieren können, und weil die Saison längst zu Ende ist, würden dieselben und ich uns auch nicht gegenseitig auf die Füße treten.
Mit dieser Erwartungshaltung verlasse ich bei Györ die Autobahn und steuere mein Ge­fährt in Richtung Süden. Und als ob diese Entscheidung nicht nur mich aus der Trägheit gerissen hätte, sondern auch den Wettergott, beginnt sich der milchig-weiße Himmel, der mich bis dahin begleitet hat, allmählich in einen klaren, warmen spätnach­mi­ttäg­li­chen Herbsthimmel zu verwandeln.
Es gibt Situationen, Ereignisse oder Orte, die es in Null Komma Nichts schaffen, meine Neugierde zu wecken, diese schlagartig in ein großes Staunen zu verwandeln und aus diesem eine tiefe Emotion zu machen, die mich an der Gurgel packt, all meine Sinne erfasst und sich schließlich zu einer stürmischen Begeisterung steigert. Es mag das Licht einer Landschaft sein, deren überraschende Formen, Details, die mich an etwas weit zurück in meiner Vergangenheit erinnern, ein Geruch, ein Lüftchen, das mir in den Nacken kriecht, oder wer weiß, was alles noch.
Diesmal ist es die Verblüffung, dass sich mir Ungarn plötzlich nicht mehr als flache, un­end­lich weite, eher langweilige baumarme Steppe zeigt, wie ich sie unter dem Name Puszta mit diesem Land assoziiere, sondern als erstaunliche, von mir in dieser Gegend kaum vermutete dicht bewaldete Hügellandschaft. Es ist der wildromantische Landstrich des Bakony-Waldes. Dass im 19. Jahrhundert die riesigen Wälder das Bakony-Gebirges ein gutes Versteck für Räuber, Wegelagerer und andere Strolche waren, ist nicht über­rasch­end. Instinktiv assoziiere ich die Wildnis, an der ich vorbeiraste, mit eindringlichen Naturerlebnissen und romantischen Abenteuern. Der Hochbakony - seine höchste Erhebung ist der 704 m hohe Korishegy - ist ein Landschaftsschutzgebiet mit herrlichen Buchenwäldern, malerischen Bächen, unzählige Höhlen und Grotten. In den Wäldern leben Hirsche, Rehe, Mufflons, Wildschweine, Wildkatzen und zahlreiche geschützte Vogelarten. Unnötig zu sagen, dass ich spätestens beim Vorbeifahren an den Ruinen der 1263 erbauten Burg Csesznek diese Gegend in meinem inneren Zeitplaner als Ziel einer späteren Reise aufnehme.
So romantisch mir in dieser Märchenkulisse das allmähliche Düsterwerden des Tages auch vorkommen mag, so sehr zwingt es mich dazu, stärker aufs Gaspedal zu treten. Denn ich will meinem Schicksal noch trotzen. Als ich in Veszprém ankomme, ist die Straßenbeleuchtung schon längst an. Als ich nach mehreren Irrfahrten durch den Ort die Gewissheit zu haben glaube, auf der Ausfahrtstraße in Richtung See zu sein, ist es bereits dunkel. Und als ich schließlich Balatonalmádi erreiche, ist es stockdunkel. Ich komme mir vor wie ein Blinder. Ich kann gerade noch die schlecht beleuchteten Siedlungen rechts und links der Straße sehen. Vom See keine Spur! Gar nicht zu sprechen von Hotels und Pensionen.
Glücklicherweise treffe ich auf einige Passanten, die sogar etwas Deutsch sprechen und von denen ich Auskunft bekomme und mein erstes ungarische Wort lerne: Köszönöm (Danke). Die Schwierigkeiten der Aussprache lassen es mich leider gleich wieder ver­ges­sen! Das Restaurant, dass mir empfohlen wird, kann ich zwar nicht finden, aber immer­hin weiß ich jetzt, auf welcher Seite der See liegt. Und von nun an geht es aufwärts. Ich parke mein Auto, finde das direkt im Park am See gelegene Restaurant Liget, frage nach einer Unterkunft und schon bin ich wieder im Auto, ein paar hundert Meter den Hügel hinauf unterwegs zum kleinen Hotel Viktoria.
Der Hunger macht mir Flügel, so dass ich kurz darauf bereits im behaglichen Ambiente des 1928 errichteten Restaurants Liget sitze, mit dem Inhaber angeregt - auf Deutsch! - plaudernd.
Den See erlebe ich danach nur noch als eine Reihe von winzigen Lichtern, die mir vom gegenüberliegenden Ufer aus der Dunkelheit entgegenzwinkern.