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Rumänien. Richtig reisen (DuMont Richtig
reisen)
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Mittwoch, 27. September 2006 |
Balatonalmádi |
Was soll ich sagen? Es war Liebe
auf dem ersten Blick! Das um die Jahrhundertwende erbaute Hotel
Viktoria entzückt mich mit seinen intimen, altmodisch aber
stilsicher eingerichteten Räumlichkeiten, mit seinem Klavier,
der auf romantische Abende bei Kerzenlicht einstimmt, seinem
verandaähnlichen Frühstückszimmer und seiner
kleinen Terrasse, die eingezwängt zwischen berankten Holzgerüsten
und den Bäumen des Gartens, den Blick offen lässt
auf die sanften Hügel im Hintergrund. Im kleinen, etwas
verwahrlosten Garten stimmt ein leerer, mit Herbstlaub übersäter
Planschbecken me-lancholisch. |
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Und wie gerne würde ich in
diesem zauberhaften Ort der "Balatoner Riviera" bleiben,
ich würde ihn in diesen ersten Herbsttagen fast für
mich alleine haben. Seine 8 km lange Uferstrecke wird -
wie ein Amphiteater - von Hügeln umrahmt, den Ausläufern
des Bakony-Waldes. Sie fallen sanft zum See hin ab. |
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Balatonalmádi mit seinen Herrschaftshäusern
und kleinen Wochenendvillen hat seinen Charakter als nobles
Seebad der Jahrhundertwende trotz des ihn Jahr für Jahr
überfallenden Heeres von Touristen weitgehend
erhalten. Kaum denkbar allerdings die Vorstellung,
hier in der Hochsaison zu verweilen. |
Weiterfahrt |
Ich fahre weiter, wieder stundenlang
ausschließlich (mit Ausnahme des unmittelbaren Umfelds
von Budapest) durch diese flache, unendlich weite, langweilige
baumarme Steppe. Kurz nach Mittag fahre ich an Szeged
vorbei, eine halbe Stunde später, bei Cenad, überquere
ich die rumänische Grenze. |
In Rumänien |
Willkommen in der Vergangenheit!
Ich habe die ersten paar Kilometer in Rumänien gerade hinter
mir, da kommt mir schon das erste Pferdefuhrwerk entgegen, archaisch
anmutend und voll mit Maiskolben beladen, schwerfällig
und zeitlos langsam, mit den Gummireifen als einziges Zugeständnis
an die Moderne. Es scheint, als hätte sich mit dem Grenzübertritt
auf einen Schlag alles dazu verschworen, mir eine verschwundene
Welt zu zeigen, einen Eindruck von Verlassenheit
zu vermitteln, in mir einen Hauch von Melancholie zu wecken.
In solchen Momenten bin ich sehr anfällig für
starke, schwer zu beschreibende, zwischen Glücksgefühl
und Traurigkeit schwebende Emotionen. Im Nu kann mich dann eine
undefinierbare Sehnsucht ergreifen nach Zeiten,
die ich erlebt habe und nach solchen, die ich nur in meiner
Fantasie erfahren habe. Gleichzeitig steigert sich in mir die
Lust nach neuem und die Neugierde nach den unendlich vielen
Reizen, die das noch unbekannte Land mir bieten kann. |
In der kleinen Ansiedlung Cenad
weide ich mich am Ambiente der staubigen Straßen, der
flachen, gelbgestrichenen, einstöckigen Häusern und
an den etwas lädierten barocken Fassaden, die Bilder
aus der k.u.k. Zeit heraufbeschwören. Mir ist, als würde
ich in Großvaters Tagebüchern blättern. Ein
sanftes Kribbeln schleicht mir den Rücken hinunter. |
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Der diesig-weiße Himmel Ungarns
hat sich inzwischen zu einer grauen Wolkendecke gewandelt, die,
zusammen mit der stickigen Luft im Auto, den Eindruck vermittelt,
ein Gewitter stünde unmittelbar bevor. |
Wegen dieser grau-düsteren
Atmosphäre gebe ich meine ursprüngliche Absicht, in
Timişoara (Temeswar) zu übernachten, sehr schnell
auf. Das bisschen Schönheit, die man der Stadt zuschreibt,
ist in einer Trostlosigkeit untergegangen, die mir sofort aufs
Gemüt schlägt. Zudem gelingt es mir nicht auf Anhieb,
ein Hotel zu finden, und das ziellose Fahren durch die verkehrsreichen
Straßen der Stadt, ohne dass ich die geringste Ahnung
hätte, welche Richtung ich einschlagen müsse, löst
bei mir einen unwiderstehlichen Fluchtreflex aus.
Also fahre ich weiter. |
Endlich ist es aus mit der brettflachen
Landschaft, die mich die fünfhundert Kilometer seit dem
Plattensee begleitet hat, und die mit ihrer großen Monotonie
die Zeit ins Unendliche gedehnt hat. Kaum bin ich über
den Stadtrand Temeswars hinaus, schon kann ich in der Ferne
die ersten Hügel, die Vorläufer der Karpaten, sehen.
Es öffnet sich mir das Herz! Für die sechzig Kilometer
nach Lugoj brauche ich zwar fast eineinhalb Stunden,
so zahlreich sind die Baustellen und so miserabel ist der Straßenbelag,
aber es ist eine mit leichtem Herzen gefahrene Strecke. |
Lugoj |
Als mich Lugoj mit der ganzen
Tristesse seiner Fortschritts-Architektur aus sozialistischen
Zeiten, dem Chaos seiner wildgewachsenen Moderne und der Schäbigkeit
seines Verfalls empfängt, denke ich sofort mit Missmut,
dass ich wohl auch in diesem Ort nicht übernachten könne.
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Mit gemischten Gefühlen überquere
ich auf der schmiedeeisernen Brücke den Fluss Timis,
der die Neustadt von der Altstadt trennt. Kaum bin ich aber
auf der anderen Seite, schon fühle ich mich wieder nach
Kakanien versetzt, in die alte Donaumonarchie. Ein graues, abbröckelndes,
schmutziges K. u. K. zwar, aber immerhin! Und schon finde ich
auch eine Pension (mit angeschlossenem Restaurant). Die Entscheidung
ist gefällt.
Mit den drei Wörtern Englisch, die der junge Mann hinter
der Theke beherrscht - mein Rumänisch ist noch kläglicher
-, einigen wir uns auf ein Zimmer. Koffer hinauf, Auto geparkt,
und schon bin ich unterwegs - diesmal endlich ohne Autositz
unterm Po -, auf der Suche nach dem verlorenen Mitteleuropa.
Es sind zwar nur ein paar Straßenzüge und die Flusspromenade,
die diesen Eindruck ausmachen, mehr nicht, aber sie sorgen für
wohlige Entspannung und Zufriedenheit bei mir. Mein knurrender
Magen zieht mich sowieso schnellstens ins Restaurant. |
Mein Einstieg in die traditionelle
rumänische Küche: "Pizza mit Schinken und Pilzen"!
Dazu eine ganze Flasche "vin roşu" (Rotwein).
Denn ich kann noch so sehr im Wörterbuch blättern
und von der Kellnerin nicht verstanden werden - kleinere Mengen
gibt es leider nicht. Immerhin gibt man mir zu verstehen
(Rumänisch per Gebärdensprache), dass ich doch die
Flasche in den kommenden Tagen würde austrinken können.
Hurra! Ich freue mich bereits auf mein morgiges Rotwein-Frühstück. |
Nach dem Abendessen, als ich bei
meinem Stadtbummel an den (nach außen offenen) Markthallen
vorbeischlendere, sind die zahlreichen Verkaufsstände noch
fast leer. Ich sehe nur eine alte Bäuerin, die vorsichtig
ihre Paprikaschoten aufstapelt. Als sie fertig ist, hüllt
sie sich in eine Decke, setzt sich auf einen Hocker und lehnt
sich, den Kopf auf ihre verschränkte Arme gelegt, nach
vorne auf den Stand. Ihr Hotelzimmer! |
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