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Das Karpathenschloss
von Jules Verne
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Temeswar
Symbol der Freiheit
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Freitag, 20. Oktober |
Es hatte nicht sein sollen. Das
vereinbarte Treffen mit Marius kommt nicht zustande. Aber wie
hätte es anders sein können, wenn ich solche Probleme
mit dem Frühaufstehen habe? Aber ich fiebere
bereits dem nächsten Erlebnis entgegen! |
Karpaten-Abenteuer |
Eine Straße, die auf der Landkarte
als landschaftlich besonders schöne Strecke gekennzeichnet
ist, führt von Sebeş in Richtung Süden über
die Berge. Und tatsächlich sind die ersten Kilometer ein
Traum. Die anfangs noch asphaltierte Straße führt
am Fluss Sebeş entlang durch wunderbare herbstlich verfärbte
Laubwälder, die im Gegenlicht wie Gold leuchten. Bis
Şugag geht es immer In leichter Steigung den Wasserlauf
entlang, und ich bin guten Mutes, doch noch einen Ort zu finden,
wo ich ein paar Tage lang kein Lenkrad anfassen muss, um
stattdessen auf Schusters Rappen die herrliche Bergwelt zu erforschen.
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Indessen wird aus der asphaltierten
Straße sehr bald ein Fleckerlteppich und ich muss die
Geschwindigkeit nach und nach drosseln und viel konzentrierter
auf die Schlaglöcher achten. Das Tal wird enger,
der Wald dichter und dunkler. Da es noch sehr früh am Nachmittag
ist, überwiegt bei mir aber die Zuversicht, trotz des verlangsamten
Tempos den üblichen Last-Minute-Stress bei der Zimmersuche
vermeiden zu können. |
Nach einer Weile kommen mir Zweifel,
ob die Straße überhaupt noch asphaltiert ist, so
sehr ist sie verstaubt und sogar stellenweise völlig unter
einer feuchten Lehmschicht verschwunden, die im Gegenlicht
blendet. Es geht zwar nicht steil, dafür aber ständig
bergauf. Die Straße wird enger, der Wald dunkler, die
Schlaglöcher häufiger. Ab und zu kommen mir riesige
mit Baumstämmen beladene Laster entgegen. Das beruhigt
mich. |
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Es wird düster, der Landstrich
sieht immer einsamer aus, immer seltener bringen mir entgegenkommende
Vehikel den Beweis, dass die Straße, inzwischen kaum mehr
als ein schmaler Forstweg, nicht in einer Sackgasse enden wird.
Zu den Schlaglöchern gesellen sich stellenweise lange Fahrrillen,
immer häufiger ist die Fahrbahn schlammig und glitschig.
Die Waldlandschaft ist herrlich, aber von einem gewissen Zeitpunkt
an sehe ich sie nicht mehr wirklich. Von Fotografieren ist sowieso
keine Rede mehr. Zwischen einem Rütteln und einem
Schlammspritzer spukt der abergläubische Gedanke in meinem
Kopf, dass der Wald, sollte ich einmal das Auto anhalten, dieses
verschlingen und nicht mehr freigeben würde. Ich schaue
mit Tunnelblick einzig und allein auf die "Straße",
das heißt auf große, kleine, runde, spitze, lose
oder fest in der Erde steckende Steine, plötzlich
auftauchende tiefe Löcher, Schlamm, Staub, unübersichtliche
Kurven, Steigungen und Abfahrten - und kein Ende.
Im Vergleich waren die sieben Kilometer nach Viscri ein
Kinderspiel. |
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Ich fange an zu fürchten, die
Reifen oder die Achsen oder irgendetwas am Auto würde nicht
mitmachen, oder ich könnte im Schlamm stecken bleiben.
Schon sehe ich mich im Auto übernachten, frierend und hungernd.
Auf jeder Brücke sind ein paar Meter der Fahrbahn asphaltiert,
so dass ich kurz Hoffnung schöpfe, aber ein paar Meter
weiter wird alles nur noch schlimmer. Nach unserem Maßstab
fahre ich auf einem Wanderweg, aber auf einem, dem der Alpenverein
kein Gütesiegel vergeben würde. Bei Geschwindigkeiten
zwischen 15 und 20 Stundenkilometern werden kurze Strecken zur
Unendlichkeit. Beim jetzt tieferen Sonnestand bin
ich auch ab und zu derart geblendet (die Windschutzscheibe
ist völlig verschmiert), dass ich manchmal im Schritttempo
fahren muss, um nicht in ein tiefes Loch zu stürzen. |
Bin ich überhaupt noch auf
dem richtigen Weg, oder habe ich vielleicht die entscheidende
Abzweigung übersehen? Immerhin verläuft der Fahrweg
immer noch dem inzwischen zum Bach verengten Fluss entlang.
Endlich: Bei einem Stausee sehe ich zwei Männer neben einem
Auto stehen. Ich frage sie nach dem richtigen Weg und sie beruhigen
mich. Nur noch 20 Kilometer seien es bis nach Obîrsia
Lotrului. Dort soll nämlich laut Landkarte ein Hotel
oder eine Hütte stehen. Aber die Zweifel nehmen kein Ende.
Würden sie auch bewirtschaftet sein? Immerhin ist es bereits
Ende Oktober. |
Die Straße entlang der Staumauer
ist asphaltiert, so steigt meine Laune, denn ich sehe mich fast
am Ende meiner Qual. Aber es wird gleich wieder schlimmer. Ich
muss ständig Slalom fahren, um den Löchern, Rillen,
Steinen etc. auszuweichen; ein paar Mal schlägt das Auto
auf, fast fange ich an, mein Golf zu bewundern, der so
tapfer alles mitmacht. Ich bin durchrüttelt und durchschüttelt
aber es ist mir plötzlich alles egal. Ich vertraue diesem
Auto "made in Germany" und ertrage stoisch Kilometer
für Kilometer. Als es aufhört, bergauf zu gehen, sehe
ich mich fast am Ziel, obwohl sich der Straßenzustand
kaum bessert. Irgendwann bin ich dann doch am Ende der Qual
angelangt, am Ende dieser Fahrt durch die totale Einsamkeit,
durch Wälder, deren Schönheit ich so gerne genossen
hätte. Es ist fast sechs Uhr Abend. Es waren 60 Kilometer
Hölle. Als ich Rauch aus dem Schornstein der rustikalen
Gaststätte in Obîrsia Lotrului aufsteigen
sehe, habe ich keinen Gedanken mehr als für ein Zimmer
und ein Abendessen. |
Als ich Roberto per Handy mein Erlebnis
erzähle, kann ich fast sein Schmunzeln durch die Leitung
hören. Genau das Gleiche sei ihm nämlich vor zehn
Jahren geschehen, damals habe er mit einem Fiat Uno
die Strecke bewältigt. Offensichtlich hat sich der Straßenzustand
seit damals nicht verbessert. Man erzählt, sagt er, dass
sich in diesen Wäldern eine Gruppe entlaufener Sträflinge
aufhielte. Man lasse sie aber in Ruhe, denn diese unendlichen,
gefährlichen Wäldern seien auch eine Art Gefängnis.
Wölfe und Bären seien in dieser Gegend auch nicht
selten. |
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Zum Abendessen gibt es - direkt
vom Gebirgsbach über die Pfanne auf den Tisch - Forelle,
Müllerin Art. Und weil ich vorher noch gerne eine kräftigende
warme Suppe hätte, schlägt für mich die Stunde
der Wahrheit, genauer gesagt - der Kuttelsuppe. Alternativen
gibt es nicht. Sie sei köstlich, gibt mir der Wirt mit
Händen, Füßen, drei Wörtern Englisch und
vierhundert auf Rumänisch zu verstehen, als er das Zweifeln
im meinem Gesichtsausdruck erkennt. Je länger wir
uns dabei in die Augen schauen, desto mehr macht es mich verlegen,
abzulehnen, und überhaupt: Nach vier Wochen in diesem Land
ist es an der Zeit! Ich bin außerordentlich neugierig,
ob nach dem Genuss dieser etwas säuerlichen, an Knoblauch
reichen Suppe das berühmte Zitat aus dem Film "Crocodile
Dundee" - es bezieht sich auf Waranfleisch - angebracht
sein würde: "Mann kann davon leben - aber es schmeckt
beschissen". Meine persönliche Erkenntnis zu dieser
aus Rindermagen, Rahm, geschlagenem Eigelb, Essig, Zwiebeln,
Knoblauch und Gewürzen zubereiteten Suppe? "Sie schmeckt
hervorragend - aber leben möchte ich nicht davon müssen". |
Während des Essens beobachte
ich vier Männer am Nebentisch. Sie sind in Arbeiterkluft,
verschmutzt bis ins Gesicht, mit Visagen, die zu einem
Film von Sergio Leone passen würden. Besonders
zwei von ihnen beeindrucken mich sehr. Der eine hat kohlrabenschwarze
Haare, dichte Augenbrauen, dunkle Schatten auf den Wangen und
ein in die Länge gezogenes, hart geschnittenes Gesicht
mit einem riesigen Zinken in der Mitte. Träfe man ihn,
mit einer Axt über der Schulter, in einem Dunklen Wald,
konnte man ein mulmiges Gefühl bekommen. Der andere, von
dem ich seltsamerweise den Blick kaum abwenden kann, gleicht
einem Verschnitt von Brad Pitt und Charles Bronson mit strohblonden
Haare und gutmütigen Augen. Ich kann zwar keine Schlüsse
über sein IQ ziehen, aber ich versuche trotzdem, mir vorzustellen,
was geschehen wäre, wenn er in einer Metropole des Westens
aufgewachsen wäre, in einer bürgerlichen Familie.
Wie anders hätte sich sein Leben gestaltet: Er hätte
Schauspieler werden können, er hätte die interessantesten
Frauen um sich gehabt, er hätte etwas darstellen können.
Stattdessen fällt er Bäume in der dunklen Tiefe
der Karpatenwälder. |
Einen letzten Eindruck will ich
noch in Worte fassen, bevor ich das Kapitel Karpatenabenteuer
abschließe. Nach dem Essen drängt es mich hinaus,
in die pechschwarze Nacht. Wie einen Ritus genieße ich
solche seltenen Augenblicke, an denen ich bei völliger
Dunkelheit einen funkelnden Sternenhimmel erlebe. Das Zurückdenken
an den heutigen Tag, die dunklen Wälder um mich herum,
die man zu dieser Stunde mehr ahnen als sehen kann, und die
eisige Kälte - ich liebe Kälte, wenn sie nach Abenteuer
riecht - lösen ein Glücksgefühl sondergleichen
bei mir aus. |
Samstag, 21. Oktober |
Die Reise geht dem Ende zu |
Es geht (rein topographisch) bergab
mit mir. Die ersten Kilometer ist die Straße zwar immer
noch in einem erbärmlichen Zustand, aber es ist mir inzwischen
völlig gleichgültig. Ich bin sogar wieder in
der Lage, die Fahrt zu genießen: herrlich, die Herbstfarben,
herrlich, die klare Luft, imposant, die Wälder und die
Weite der Landschaft. Und plötzlich - ein Wunder ist
geschehen - ist die Asphaltdecke wieder da, grau, geschlossen,
Vertrauen erweckend. Zwar muss ich trotzdem noch auf die sporadischen
Schlaglöcher aufpassen, aber es ist jetzt ein ganz anderes
Vorwärtskommen. |
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Schließlich komme ich in der potthässlichen
Industriestadt Petroşani an, von wo an ich nur noch
auf gut ausgebauten Hauptstraßen zügig in Richtung
Westen fahre. Haţeg, Oţelu Roşu, Caransebeş:
nichtssagende kleine Ortschaften in einer herrlichen Kulisse.
Aber ich kann es nicht lassen: Der Gedanke, noch einmal in einem
kleinen idyllischen Ort die Schönheit dieser Berglandschaft
aufzusuchen, lässt mich nicht los. So rufe ich Roberto
in Bukarest an, um Tipps einzuholen. Und siehe da, er erinnert
sich, einmal ein paar Tage an einem kleinem See hier in der
Gegend verbracht zu haben. Er denkt eine Weile nach, dann fällt
es ihm wieder ein. Es war in Vâliug, zu Deutsch
Franzdorf. Der deutsche Name beruht darauf, dass hier
einmal die Banater Schwaben zu Hause waren, auch
sie, wie ihre Vetter, die Siebenbürger Sachsen,
inzwischen mehrheitlich nach Deutschland ausgewandert. |
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Um nach Vâliug zu kommen,
muss man über Reşiţa (zu deutsch Reschitz)
fahren, eine Stadt, von der eine merkwürdige Faszination
auf mich ausgeht. Neben den unvermeidlichen Plattenbautenvierteln
und zahlreichen Neuzeitklötzen sind noch Straßenzüge
erhalten geblieben, die etwas Altmodisches ausstrahlen
und außerhalb der Zeit zu stehen scheinen. Sie erinnern
mich an die Melancholie mancher Randbezirke Wiens, jedenfalls
so wie ich sie aus meine Kinderzeit in Erinnerung habe. Überhaupt,
der Geist des alten Österreich-Ungarn scheint auffällig
präsent zu sein. |
Und weil die Stadt ein immer noch
bedeutendes Eisen- und Stahlrevier ist, kommt man nicht umhin,
durch eine Hochofen-Landschaft zu fahren, die, so mitten in
der Stadt wie sie liegt, zumindest kurios erscheint. Über
eine kurvenreiche Straße durch die herbstlich verfärbten
Ausläufer des Banater Gebirges erreiche ich schließlich
in einer knappen halben Stunde Vâliug. |
Eine Pension gefunden, ausgestiegen, die Koffer
ins Zimmer gebracht, und schon bin ich die paar Hundert Meter
zum See unterwegs, wo ich gerade noch rechtzeitig ankomme,
um direkt am Ufer, auf der menschenleeren Terrasse eines verwaisten
Imbissladens, die letzten Sonnenstrahlen zu genießen.
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Sonntag, 22. Oktober |
Wie das Leben so läuft |
Beim Frühstücken unterhalte
ich mich ausführlich mit der jungen Chefin. Und damit niemand
auf die Idee komme, mein Rumänisch habe in nur wenigen
Tagen immense Fortschritte gemacht, liefere ich gleich des Rätsels
Lösung. Die junge, attraktive Frau
- warum nur finde ich die Rumäninnen oft so begehrenswert?
- lebte jahrelang mit ihrem ebenfalls rumänischen Mann
in der Nähe von Frankfurt. Als ihr Vater starb und die
Mutter, nunmehr auf sich allein gestellt, die seit kurzem großzügig
ausgebaute Pension nicht mehr weiterführen konnte, fühlte
sie sich dazu verpflichtet, in die Bresche zu springen. Ihre
Worte lassen etwas Resignation und eine gedämpfte Traurigkeit
durchschimmern, als sie mir ihre Geschichte erzählt.
Ihre Offenheit und die gespürte Nähe zu ihren Gefühlen
lösen bei mir ein seltsames Wirrwarr an Empfindungen aus.
Es ist, als würde sich eine wohlige Wärme in meinem
Körper ausbreiten, als wäre eine fast familiäre
Intimität zwischen uns entstanden. |
Endspurt |
Ich habe mich auf einen kleinen Spaziergang gefreut.
Zu Schade, dass am See entlang kein Wanderweg zu finden ist
und ich deshalb meine Bandscheiben auf dem harten Asphalt der
Uferstraße strapazieren muss. Bald sitze ich deshalb wieder
im Auto und erkunde das Seeufer per Motor. Ich will mir ein
Bild von Pensionen und Hotels machen
- man weiß ja nie. |
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Das Angebot hält sich in Grenzen.
Im "Gasthof Tirol" kann das Preisniveau problemlos
mit jenem einer entsprechenden Herberge im gleichnamigen österreichischen
Bundesland mithalten. Wäre da nicht die hübsche Angestellte,
mit der ich mich lange auf Deutsch unterhalte, würde ich
hier keine Minute verweilen. Faszinierend heimatlich im Ambiente
aber rumänisch preiswert ist dagegen die Pension "Haus
Hubertus" [
]. Vorstellbar, dass ich bei einer zukünftigen Rumänienreise
hier einen Zwischenstopp einlege. |
Timişoara |
Es trübt sich ein. Bald fängt
es auch an, zu tröpfeln. Zeit zum Weiterfahren. Als ich
einige Stunden später in Timişoara (Temeschwar)
ankomme, herrscht die gleiche düster-graue Atmosphäre
wie am Tag meiner Ankunft in Rumänien. Diesmal will ich
aber der Stadt, wenn auch nur für einen Nachmittag, eine
Chance geben. Temeschwar ist das wirtschaftliche und
kulturelle Zentrum des Banats im Westen Rumäniens. Wenn
man bedenkt, dass die Stadt wegen ihrer zahlreichen Bauten aus
der Kaiserzeit früher als "Klein-Wien'" bezeichnet
wurde, kann ich nur mit einen Seufzer "Sic transit gloria
mundi" äußern. Nur in wenigen Straßenzügen
(beispielsweise im Umfeld des Doms) findet sich dieses an das
alte Wien erinnernde, und von mir heiß geliebte Ambiente
wieder. |
Apropos Kommen und Gehen der Völker.
Auf einer Bevölkerung von etwa 330.000 Einwohnern
kommen ca. 16.000 Italiener, ein Drittel davon aus dem Veneto.
Von 13.000 italienischen Unternehmen in Rumänien operieren
1.200 in und um Temeschwar. Kein Wunder also, dass man von der
Gegend auch als der "venetischen Provinz" spricht.
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