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Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
Zum Donaudelta
 
   
 
Donau
 
Die DOnau
 
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Montag, 9. Oktober
Zum Donaudelta
Wieder unterwegs, diesmal zu dritt. Robertos Auto flitzt auf der schnurgeraden Auto­bahn in Richtung Feteşti, inmitten einer flachen, langweiligen Landschaft ohne irgend­wel­cher Merkmale, die vom Fahren ablenken könnten. Der Himmel ist im üblichen Grau einer Dunstschicht verschwunden, die nur selten aufhellt, um ein paar Sonnenstrahlen durchzulassen. Sofern mich nicht die Schläfrigkeit daran hindert, versuche ich mit Hilfe eines mp3-Players etwas Rumänisch zu pauken: Vorbiţi germană? (unnötige Frage, denn es spricht sowieso niemand Deutsch); Asta nu am înţeles (Ich habe nicht verstanden); Ce mai faceţi? (Wie geht es Ihnen?); Mă numesc ... (Ich heiße ...); Mulţumesc (Danke!); und die zwei wunderschönen Wörter doamnă (Frau, das in meinen Ohren viel distin­guierter klingt als das italienische donna) und domnisoară (Fräulein).
In Cernavodă, einer Stadt, über die es nichts Bemerkenswertes zu sagen gibt, außer, dass sie der Standort des einzigen rumänischen Kernreaktors ist, machen wir eine kurze Mittagspause. Mangels Auswahl an kleinen Gerichten fällt meine Entscheidung wieder auf die - auch hier exquisiten - Mici. Danach geht es die Donau entlang in Richtung Nor­den. Bei Capidava, vor einer kleinen Insel, die im August eine Art Kulturfestival beher­bergt, halten wir wieder kurz an. Dann fahren wir im erhöhten Tempo nordöstlich in Richtung Tulcea, dem Ausgangsort für die meisten Touren durch das Donaudelta.
An dieser Stelle muss ich beichten, dass ich mich völlig unbedarft auf diesen Trip ein­gelassen habe, denn ich habe nicht die geringste Ahnung, ob in dieser Saison im Do­nau­delta noch die reiche Avifauna zu finden ist, die in Fotobüchern, Filmen und Prospekten beeindruckt und unzählige Touristen hierher lockt. Denn gemäß dem Text des bekann­ten Liedes "Alle Vögel sind schon da", in dem es in einer Strophe "Frühling will nun einmarschieren" heißt, ist eher zu befürchten, dass jetzt, im Herbst, alle Vögel bereits weg sind, also in Afrika, zum Überwintern. Möglicherweise wird also kein "Pfeifen, Zwitschern, Tirilieren" auf uns warten, ganz abgesehen davon, dass Pelikane ganz andere Töne von sich geben.
Tulcea
Als wir in Tulcea ankommen, finden wir im Handumdrehen, dank einer Freundin von Roberto, die hier bei ihrer Mutter zu Besuch ist, eine Übernachtungsmöglichkeit. Freudig überrascht, dass uns das entnervende Suchen erspart bleibt, machen wir uns mit den rollenden Koffern auf den Weg. Ich bin begeistert! Wir werden nämlich nicht bei der alten Dame wohnen, auch nicht im klotzigen Hotel Delta residieren, ebenso wenig müs­sen wir den weiten Weg zu einer kleinen Pension am Stadtrand auf uns neh­men. Ein al­tes Schiff wird für zwei Tage unser Zuhause sein! Es liegt im Donau-Hafen vor Anker. Avădanei Gheorghe, gewissermaßen Kapitän und Hotelier in einem, begrüßt uns freund­lichst und führt uns gleich zu unseren Kabinen. Meine Schwester und ich be­kommen, scherzt er, die Admiralskabinen, Roberto muss mit der kleineren Offiziers­kabine, kaum mehr als einer Koje, Vorlieb nehmen.
Obwohl die Abendluft recht kühl ist, sind meine Fußgelenke binnen weniger Minuten völlig mit Mückenstichen übersät. Davon sofort in Kenntnis gesetzt, reicht mir der "Kapitän" postwendend einen Mückenspray. Pft, pft, pft, wird es von mir in die Kabine gesprüht, auf dass ich eine Chance auf nächtlichen Schlaf bekomme. Da aber nach die­ser Aktion die Luft des winzigen Raums naturgemäß furchtbar stinkt, möchte ich we­nigstens die Fenster­scheiben offen lassen. Die Moskitogitter müssten schließlich die kleinen Quälgeister fern halten. So dachte ich wenigstens, aber Herr Avădanei warnt, dass nicht wenige der Insekten der­art klein sind, dass auch dieses Hindernis für sie keine unüberwindbare Barriere be­deutet. Hurra! Das Abenteuer beginnt!
Eine rumänische Gesellschaft
Ein buntgewürfelter Haufen: Meine Schwester und ich, die frischgebackenen Rumä­nientouristen, Roberto, der chaotische Verfasser von Science-Fiction-Geschichten, Ute, eine junggebliebene deutsche Geschäftsfrau, die von ihrer Untermieterin Cornelia, Auswanderin auf Heimaturlaub, hierher eingeladen wurde, und die anfangs ein wenig verloren aussehende Mutter der letzteren. Und als Krönung der Runde Aurelio Tudor, Sänger und Journalist, Angeber und Alleinunterhalter, der uns zwischen einem Glas Wein und dem rasch folgenden nächsten wortgewandt von den Höhen und Tiefen sei­nes Lebens erzählt. Jedenfalls was daraus für die Öffentlichkeit gedacht ist. Unter anderem verbrachte er - wie bereits einer von zehn Rumänen auch - eine Zeit lang in Italien, wo er die verschiedensten Jobs innehatte, zuletzt den eines Disk Jockeys. Angeblich war es der Messerstich eines Marokkaners, der ihn schließlich aus Italien vertrieb.
Während wir uns unterhalten, bzw. zuhören, spielt die Kapelle in ungewöhnlicher Laut­stärke typische rumänische Volkslieder (O sole mio, Strangers in the night, ...).
Erst als meinem Wunsch, echtes rumänisches Liedgut zu hören, endlich entsprochen wird, und die Zigeunerkapelle mit ihrer Musik an Schwung gewinnt und - jedenfalls in meine Ohren - authentischer wirkt, höre ich auf, das Restaurant nur als eine trostlose Vorortgaststätte zu empfinden. Ich merke - der Wein und die orientalischen Anklänge mancher Musikstücke sind daran nicht unschuldig -, wie ich allmählich in eine trance­ähnliche, positive Stimmung schlittere.
In einer Spielpause kommt einer der Musiker, Aurelios Freund Jon, zu uns an den Tisch. Er spricht ebenfalls ein paar Brocken Italienisch. Auch er will in Italien gearbeitet ha­ben, einem Land, das für die Rumänen eine Art Mekka zu sein scheint. Sie fühlen sich
- was freilich nicht auf Gegenseitigkeit basiert - den Italienern sehr verwandt.
Dienstag, 10 Oktober
Das Hotelschiff
Die Geschichte unseres "Hotels" ist interessant. Das Schiff, dessen Dieselmotor eine Leistung von 550 PS aufweist, war ursprünglich ein Kriegsschiff der K.u.K.-Marine, das 1883 in Linz vom Stapel lief. Im ersten Weltkrieg wurde es in Kämpfe gegen die damaligen alliierten Russland und Rumänien eingesetzt, und nach der Niederlage Österreich-Un­garns im Hafen von Tulcea zurückgelassen. Bis vor drei Jahren wurde es noch als Kriegs­schiff verwendet, ich vermute im Grenzschutz, denn die Ukrainische und die Bulgarische Grenze sind in unmittelbarer Nähe. Als es schließlich abgerüstet und stillgelegt wurde, erwarb es Herr Avădanei und baute es zu einem Touristenschiff um.
Deltatour für Anfänger
Dort wo sich die Donau mit dem Schwarzen Meer vereint, bildet sie auf einer Fläche von 5640 qkm eines der spektakulärsten und interessantesten Feuchtgebiete der Welt. Und es gibt dort ein Reich der Vögel, dass nur mit Superlativen beschrieben werden kann: Schwäne, Kormorane, Graureiher, Silberreiher, Löffler, Möwen, Fischadler, Seeadler, Kraniche, Falken, Mandarinenten - und natürlich die Pelikane. Die größte Pelikan­popu­lation Europas, 8.000 Exemplare, sollen im Donaudelta leben. Entsprechend hoch sind meine Erwartungen geschraubt, obwohl mir natürlich bewusst ist, dass ein Kurz­auf­enthalt und eine organisierte Bootstour nicht unbedingt der beste Weg ist, diese Erwartungen zu erfüllen.
Kann Begeisterung enttäuschend sein? Genau das geht in mir vor, als wir mit einem Ausflugsboot für mehrere Stunden einige Kanäle im Delta befahren. Vor meinen Augen eine Flusslandschaft, die sich seit den Tagen der Schöpfung nicht geändert zu haben scheint, ursprünglich, wild, weit, ein Paradies zum greifen nah. Seerosen funkeln im Gegenlicht wie wahre Diamanten am Rande kleiner Seen, Schilf bedeckt manche Was­serflächen, so weit das Auge sie sehen kann, Weiden säumen die Kanäle und machen grüne Alleen daraus, während mir bewusst wird, dass es solche urwüchsigen Auwälder, nirgendwo sonst in Europa gibt. Ich kann mich kaum sattsehen.
Aber in diesem Touristenboot fühle ich wie in einem Käfig, im besten Fall wie in einem Kino. Hier bin ich und dort draußen ist diese wunderschöne Wildnis, wie eine sinnliche Frau, die verführerisch schön ist, mich aber gleichzeitig auf Distanz hält. Wann endlich fange ich an, "hinein" zu gehen? Die Dinge von innen zu erleben? Als Teil dieser Natur, ohne dass sie für mich in kleinen Portionen in einer Pralinenschachtel serviert wird? Ich brenne vor Ungeduld, denn in Wahrheit möchte ich jetzt in einem kleinen Boot abseits der großen Kanäle unterwegs sein, die Stille erleben, unbekannte Vögel nur wenige Meter vor meiner Nase aufflattern sehen, irgendwann von einem Sommergewitter er­wischt werden und dann, noch patschnass, wie ein Kind das Wunder der Sonnen­strah­len erleben, die die dunkle Wolkenwand zerreißen und das Gloria singen. Dann würde ich mich am Ufer an einem Holzfeuer aufwärmen, mit Einheimischen vin roşu trinken und auf die Sternennacht warten mit ihren Hunderten Geräuschen.
Immerhin gibt es keine japanischen Touristen an Bord. Das ist bereits ein Anfang.
Und dennoch kehre ich begeistert von der Fahrt zurück. "Irgendwann, irgendwann gibt's ein Wiedersehen", heißt es doch im berühmten Lied von Freddy. Ich bin mir jetzt zu hundert Prozent sicher, dass er sich auf das Donaudelta bezogen hat.
 
     
   
 
 
 
 
 
     
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