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Kirchenburgen in Siebenbürgen
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Dienstag, 3. Oktober |
Die Kirchenburg |
Dass das Frühstück genau
so reichlich ausgefallen ist wie das Abendessen, brauche ich
gar nicht zu betonen. Das erstaunliche ist, dass ich für
Übernachtung, Abendessen und Frühstück ganze
65 Lei (etwa 18 Euro) zahle. Bei Frau Panaits Ehemann
kann ich ferner, da er nebenberuflich Postbote ist, auch Briefmarken
und Ansichtskarten kaufen.
Etwas später klopfe ich an das Tor des Hauses nr. 141,
wo die Burgwächterin wohnt. "Wollen Sie zur Burg?"
ruft mir eine muntere alte Frau zu, die sich gerade, von Hühnern
und Gänsen umringt, im Garten beschäftigt. Kurz darauf,
nach einem kurzen Marsch den westlichen Steilgang des Hügels
hinauf, sind wir wieder oben und Frau Dootz öffnet uns
(nämlich mir und zweien der Neapolitaner, die sich uns
angeschlossen haben) das Tor zur Burg. Wir drängen uns
den engen Treppengang den Kirchturm hinauf, und genießen
von dort aus den herrlichen Blick aufs Dorf. |
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Erbauer der Kirche waren im 12.
Jahrhundert die Szekler (ein sprachlich magyarisiertes
Türkvolk), die vor der Ankunft der deutschen Siedler die
Grenzwacht für den ungarischen Feudalstaat hielten.
Im folgenden Jahrhundert wurde die kleine romanische Kirche
von den "Sachsen" weiter ausgebaut. |
Der Reichtum des mittelalterlichen
Siebenbürgens und seine Nähe zum Osmanischen Reich
hatten dazu geführt, dass im frühen 15. Jahrhundert
die Türken mit Einfällen an der Südgrenze des
Landes begannen, die mit Brandschatzungen, Menschenraub, Mord
und Verwüstungen ganzer Landstriche einhergingen und Siebenbürgen
drei Jahrhunderte lang in Atem halten sollten.
Wegen dieser Gefahr bauten die Städte ihre Wehrkraft mittels
mächtiger Verteidigungssysteme aus. Die Dörfer hingegen,
denen die Mittel dazu fehlten, verstärkten ihre Kirchen
und machten sie zur letzten Zufluchtsstätte. Dies war,
in Anbetracht der Kriegstaktik der Türken, die in kleinen
Gruppen schnell angriffen und der Bevölkerung kaum Zeit
ließen, sich in weiter entfernte befestigte Orte zurückzuziehen,
sehr zweckmäßig. Denn in der eigenen Kirche im Dorf
konnte man schnell gelangen. |
Mehr und mehr wurden die Kirchen
in den Dörfern und Marktflecken zu Festungsanlagen
ausgebaut und je nach Möglichkeit mit Gräben, einfachen,
doppelten oder dreifachen Ringmauern und Wehrtürmen
versehen. So entstand ein in Europa einmaliges Netz von befestigten
Kirchenburgen. |
Die Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch
erhielt im 16. Jahrhundert ihre heutige monumentale
Gestalt. In der Kirche würden Sonntags noch Messen gelesen,
sagt Frau Dootz mit einem Seufzer, obgleich es nur noch vierundzwanzig
evangelische Kirchgänger gebe - die letzten verbliebenen
Sachsen. |
Auf meine Frage, wovon die Menschen
in Deutsch-Weißkirch heute lebten, antwortet die alte
Frau mit einem noch größeren Seufzer. Die Zigeuner
Viscris (also die Mehrheit der Dorfbewohner) lebten in
der Hauptsache von der Sozialhilfe, was sie der Europäischen
Union verdankten, die vom rumänischen Staat diese Art von
Unterstützung fordere. Arbeitsscheue Menschen seien
sie, unfähig und unwillig, sich ausdauernd mit etwas zu
beschäftigen, meint sie, als wolle sie alle Gemeinplätze
bestätigen, die über dieses Volk verbreitet werden.
Das kommunistische Regime sei für sie besser gewesen, denn
damals habe man sie dazu verpflichtet, in den Kolchosen zu arbeiten,
und die Aufseher hätten genau aufgepasst, dass sie es auch
taten. |
Bei aller politischen Korrektheit:
Kann man die alte Sächsin nicht auch verstehen? Hatte man
während des Kommunismus nicht die meisten Deutschen enteignet?
Waren nicht in fast alle sächsischen Häuser Zigeuner
eingezogen? Und wie verwahrlost sehen sie heute aus im Vergleich
mit ihrem ursprünglichen Zustand! Und stimmt es nicht nachdenklich,
dass sich hierzulande auch die meisten "Rumänen"
deutlich von den "Ţigani" distanzieren?
Man macht letztere für den schlechten Ruf verantwortlich,
den die Rumänen im restlichen Europa genießen. Zigeuner
gelten als faul, schlitzohrig und betrügerisch, man lässt
sich am besten gar nicht mit ihnen ein. |
Arbeitsunwillig? Integrationsunfähig?
Oder ausgegrenzt? Wird man diskriminiert, weil man anders ist,
oder bleibt man anders, weil man diskriminiert wird? Welche
sind die Ursachen, welche die Wirkungen? Weshalb und
wie soll ein ehemals nomadisierendes Volk sesshaft gemacht werden?
Es ist jedenfalls auffällig, dass die Toleranz der "Mehrheiten"
gegenüber den "Minderheiten" fast immer mit der
Aufgabe der eigenen Kultur seitens der Letzteren verknüpft
ist. |
Bewegt sich etwas? Frau Dootz erwähnt,
quasi nebenbei, dass sich ihre Tochter Karolina Fernolend, Gemeinderätin
in Viscri, gerade um die Integration der Zigeuner sehr verdient
gemacht hat. |
Die Rumänen in Viscri seien
hingegen, fährt Frau Dootz fort, überwiegend Schafhirten.
Nur die deutsche Bevölkerung praktiziere noch mehrheitlich
und unter großen Schwierigkeiten die Landwirtschaft.
Ein Deutscher aus Berlin habe sich vor einiger Zeit hier angesiedelt
und viel Boden gepachtet, um die Landwirtschaft auf einer effektiveren,
wirtschaftlicheren Weise betreiben zu können. Er habe
dabei sogar eine Reihe von Arbeitsplätzen geschaffen.
Frau Dootz selbst habe ihm eine kleine Fläche verpachtet,
und die Weizen- und Gerstensäcke, die sie als Bezahlung
dafür bekomme, seien ihr für die Fütterung der
Tiere sehr willkommen. |
Wehmut |
Es fällt mir schwer, wegzufahren.
Diese Weltabgeschiedenheit! Diese Ruhe! Dieser Zeitsprung
in die Schönheit von Gestern! Was für eine wundervolle
Erfahrung, einen Ort zu erleben, der noch nicht von der
Modernisierungssucht erfasst worden ist. Selbst wenn man weiß,
dass dies eher auf Armut als auf freiwillige Wahl zurückzuführen
ist. Keine hässlichen Satellitenschüsseln, keine schreiende,
grelle Neonreklame, kein Autolärm. Was für ein überwältigendes
Gefühl! Was für eine Aufgabe, diese anderswo bereits
verloren gegangene Welt für unsere Nachkommenschaft zu
bewahren! |
Von den Neapolitanern habe ich inzwischen
erfahren, dass es bei ihrer Autopanne zu einem Happyend gekommen
ist. Bereits kurz nach der Feststellung des Schadens hatten
hilfsbereite Nachbarn das Fahrzeug in eine improvisierte Werkstatt
abgeschleppt, wo das Leck in der Ölwanne dann provisorisch
gedichtet werden konnte. |
Jetzt erwarten mich wieder sieben
Kilometer "nicht asphaltierter" Straße. Diesmal
nehme ich es gelassen und chauffiere im Schneckentempo, mal
nahe am Randstreifen (fast schon auf der Wiese, wo es keine
Löcher gibt) fahrend, mal im vorsichtigen Slalom um die
schlimmsten Löcher herum. Ab und zu wage ich es auch, wenn
die Sicht und der Straßenzustand es erlauben, ein paar
hundert Meter im Affentempo von zwanzig Stundenkilometern
zu fahren. Jenseits von Dacia ist die Straße dann
wieder geteert. jetzt möchte ich nur noch so schnell wie
möglich nach Kronstadt. |
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