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Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
Mircea, der Poet
 
 
Schicksal der Deutschen
 
Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa: Das Schicksal der Deutschen in Rumänien
 
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Innenwelten
 
Beatrice Minda. Innenwelt. Fotografien aus Rumänien
und aus dem Exil

von Ulrich Pohlmann
und Richard Wagner
 
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Mediaş
Als ich am späteren Nachmittag in Mediaş ankomme, ist die Stadt in ein derart faszi­nie­rendes klares Licht getaucht, dass ich sofort weiß, es kommt für mich nichts anderes mehr in Frage, als hier zu bleiben und den Rest des Tages zu genießen. Damit ist der geplanten Suche nach einem kleinen Dorf im Nirgendwo vorerst Ade gesagt. Ein paar Runden durch den Ort fahren, dann ist auch eine hübsche Pension gefunden. Rasch schleppe ich mein Gepäck aufs Zimmer, um mich dann auf dem Weg zum Hauptplatz zu machen.
Mircea
Während ich entspannt und gut gelaunt meine Runden durch die reizvolle Altstadt dre­he, spricht mich - auf Englisch - ein Mann mittleren Alters an, der, wie ein Vertriebs­be­auf­tragter mit dunklem Anzug und Krawatte gekleidet, forschen Schrittes durch die Straßen eilt. Nur die schnittige Sonnenbrille und vor allem der Geigenkasten in der Hand lassen mich anderes vermuten. Im besten Englisch und lautstark und theatralisch gestikulierend wirkt er anfangs etwas aggressiv. Hitzig posaunt er mir in die Ohren, wie gut es sei, dass die Deutschen (gemeint sind die Siebenbürger Sachsen) das Land ver­lassen hätten. Schließlich seien sie erst im 13. Jahrhundert von den ungarischen Königen in dieses Land gebracht worden, das selbstverständlich den Rumänen gehöre. "We Ro­manians don't need the Germans, we have our own great culture", sagt er in einer An­wandlung von nationalem Minderwertigkeitsgefühl. Ich bleibe gelassen, denn nichts liegt mir ferner, als ihm zu widersprechen und mir durch eine unnötige Debatte die gute Laune verder­ben zu lassen. Das scheint er zu merken, denn bald wird er etwas milder im Ton und tut, in einer unerwarteten kompletten Gesinnungswende, kund: "I love the germans, I love their culture, we had learned a lot from them." Es ist, als wolle er sich bei mir einschmeicheln, jedenfalls bin ich argwöhnisch und auf der Hut. Die Episode scheint bald zu ihrem Ende gekommen sein, denn nach wenigen Minuten ver­abschiedet er sich höflich von mir, nicht ohne vorher, aus welchem Grund auch immer, laut auf Amerika geschimpft zu haben.
Zwanzig Meter weiter bleibt er einen Augenblick stehen, dreht sich auf Inspektor-Co­lum­bo-Manier noch einmal um, und ruft mir dabei zu: "We should drink a beer together. I invite you." Kann ich dazu nein sagen?
Und schon sind wir in einer kleinen Kneipe gelandet, wo wir vor einem Glas Bier sitzen und uns lebhaft unterhalten (das heißt: Er spricht aufgeregt und melodramatisch im Ton, während ich mich bemühe, interessiert zu wirken). Leicht fällt mir das Zuhören, wenn er von seiner Familie erzählt, etwas schwerer, wenn er auf ei­nen seiner verbalen Höhenflügen landet: "I am a great artist" - "I am happy" - "we are the best friends" - "this is a very happy day for me".
Fast rührend finde ich ihn, wenn er von der fortwährenden großen Liebe zu seiner Frau spricht, oder von den Heldentaten seines Vaters, der im zweiten Weltkrieg zusammen mit den Deutschen am Russlandfeldzug teilnahm. Er erzählt, wie sein Vater zu den we­ni­gen Überlebenden seiner Kompanie zählte, als diese im Kaukasus von den Rus­sen ver­nich­tet wurde, und wie er dabei nur zwei Finger einer Hand einbüßte. Ebenso helden­haft wehrte sich der Vater später gegen die Kommunisten im eigenen Lande, was ihm aber den Verlust seines Hofes kostete.
Er selbst sei Sänger, dirigiere einen Kinderchor und bemühe sich, die rumänische Volks­musik am Leben zu halten. Immer wieder beteuert er, was es für ein Glück für ihn sei, mit mir sprechen zu können. Und immer wieder kehrt er zum Thema "Liebe zu seiner Frau" zurück. Ich fange an, ihn zu mögen. Seine Miene wechselt sprunghaft zwischen ernst und freudig, und wenn er lächelt, sieht sein Lächeln jenem des amerikanischen Schauspielers Errol Flynn auffällig ähnlich.
Nach langem Zögern nimmt er die Geige aus dem Kasten und spielt mir ein Potpourri von Melodien vor, das zwar in dieser wirren Folge etwas chaotisch klingt, aber in manchen Passagen die Leidenschaft seiner Seele durchblicken lässt. Zum Schluss singt er auch noch ein paar Takte. Und erst jetzt bin ich überzeugt: Was für eine Stimme! Was für ein Künstler!
Inzwischen ist die Bar leer geworden, die Mädchen hinter der Theke kichern. Er legt sein Instrument sorgfältig in den Kasten, "I love my violin", it's like a woman, it inspires me!" Bevor wir gehen, will er mir noch ein Gedicht vortragen, das er, der tief gläubige Mann, schrieb, nachdem ihm aufgefallen war, dass die Bewegungen der Hand beim Ra­sieren jenen des Sich-Bekreuzigens ähnelten. Selbst das Blut der kleinen Schnittwun­den, sagt er, erinnerten ihn an Jesus Christus auf dem Kreuz.
Shaving
Shaving is crossing your face
from right to left
from left to right
from down to up
from up to down,
and sometimes
bleeding in points.
But all these are nothing
If you are not praying
With your brain and soul
In the same time.
Jetzt bin ich am Zuge und lade ihn zum Essen ein. Er führt mich in ein Restaurant ganz in der Nähe, wo eine Gruppe mit ihm befreundeter Musiker spielt. Kaum sind wir aber dort, schon ändert sich etwas an seinem Verhalten. Er wird plötzlich ruhig, spricht nicht mehr so theatralisch und wirkt sogar ein wenig bedrückt, als ob er sich nicht frei fühlte. "I want to be free to dance, to play, to sing". Aber hier könne er es nicht. Den Grund erfahre ich nicht.
Ich verzehre mein Dracula-Schnitzel fast in Eile und fühle mich plötzlich müde. Auch ihn drängt es hinaus, sein Zug fahre in Kürze ab, sagt er.
Draußen ist es eisig, die angeregte Konversation wird von meinem Frösteln gedämpft. Es ist Zeit, in mein warmes Zimmer zurückzukehren.
 
     
   
 
     
 
 
 
 
     
Mediasch Mircea Dracula-Schnitzel