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31. März |
Ein gemächlicher Tag in
Bariloche |
Wieder ein reiner Urlaubstag ohne große Unternehmungen. Mein
letzter Tag in Bariloche!
Am späten Nachmittag holt uns Cati mit ihrem Pickup ab – ach,
wäre ich doch gestern mit einem solchen geländegängigen
Gefährt unterwegs gewesen! – und wir fahren auf die estancia von Dieter, einem österreichischen Forstingenieur und langjährigen
guten Freund von Tante Helga, der seit Jahrzehnten mit der Aufgabe
befasst ist, diesen Teil Patagoniens wiederaufzuforsten. |
Schätzungsweise 25 Millionen Bäume will er insgesamt gepflanzt
haben. Zur Wiederaufforstung werden hauptsächlich aus dem Westen
der Vereinigten Staaten stammende Kiefernarten und Douglasien verwendet,
die sich in einem ganz ähnlichen Klima und ebenfalls auf Böden
aus vulkanischen Aschen entwickelt haben und auch dort wunderbare
Wälder gedeihen lassen, wo in Patagonien nur noch baumlose
Steppe existiert. Dass sie auch schneller wachsen und somit forstwirtschaftlich
ertragreicher sind, vergisst Dieter nicht zu erwähnen. Sie
ermöglichen es den Farmern, zusätzliche, von der Schafszucht
unabhängige Einkommen zu erwirtschaften. |
Nach einer echten „österreichischen“ Jause mit Schwarzbrot,
Wurst und Käse, Kuchen und Kaffee, führt Dieter Cati und
mich noch für ein Stündchen kreuz und quer durch seinen
Besitz. Wir fahren mit einem alten Jeep auf wilden, abenteuerlich
anmutenden Pisten, die so steinig sind, so uneben, und streckenweise
derart steil die Hügel hinauf führen, dass ich manchmal
Angst habe, unser Gefährt könnte umkippen. Dieters kurzbeiniger,
anhänglicher Bulldogge läuft dabei die meiste Zeit dem
Geländewagen hinterher. Einmal macht uns Dieter auf Spuren
von Hirschen in der Brunst aufmerksam, ein anderes Mal zeigt er
uns Stellen, wo man anhand der dort gedeihenden Baumarten erkennen
kann, welches Mikroklima dort vorherrscht, und immerfort spüre
ich in seinen Worten den großen Stolz auf seine Lebensleistung
und seine Liebe zu diesem von ihm selbst bebauten und doch wild
gebliebenen Stück Land. |
Oben auf der Anhöhe pfeift ein eisiger Wind. Die Aussicht,
der das spärliche Licht der späten Stunde eine leicht
düstere Note gibt, reicht weit in menschenleeres Land hinein.
Davon geht eine derart subtile Faszination aus, dass ich mit außergewöhnlicher
Intensität die Konfrontation mit meiner Sehnsucht nach freier
Natur und Abenteuer erlebe. |
Auf dem Rückweg bringt uns Cati noch zur Werkstatt. Das Auto
ist bereits fertig. Kostenpunkt: unglaubliche 84 Pesos, also nur 24 Euro für Abschleppen und Reparieren! |
1. April |
Abschied von Bariloche |
Es hat sich eingebürgert:
Am Abflugtag regnet es. Und es ist merklich kühl geworden. Wie
gut, das die Wettervorhersage für Buenos Aires Sonne und Wärme
verspricht. Aber nicht nur das Wetter sorgt für eine melancholische Grundstimmung.
Denn ich erlebe heute einen doppelten Abschied. Wie es bei Reisen
häufig ist, kommt nach einer Phase des Heimwehs, der Lustlosigkeit,
der Abwehr, ein Moment, in dem man den Eindruck hat, man sei schon
seit ewig unterwegs und man könne – und wolle – noch auf undefinierte
Zeit weiterreisen. Dieser sanfte Abschiedsmelancholie steht wie ein
Zwillingsbruder die Freude entgegen, bald wieder „daheim“
zu sein. Auf eine ganz eigenartige Weise ergänzen sich aber diese
beiden Gefühle. |
Der Abschied von Tante Helga ist dagegen vom Gefühl der Selbstverständlichkeit
begleitet, dass ich sehr bald wieder zu Besuch kommen werde. Einmal mit Tante essen gehen, sich von Cati im Geschäft verabschieden,
die Taxifahrt zum Flughafen – mehr gibt der Tag nicht her. |
Wieder
in Buenos Aires |
Nach der Ankunft im Aeroparque fällt mir angenehm auf, dass beim Verlassen der Gepäckausgabehalle alle Passagiere ihren Gepäckschein herzeigen müssen, und dieser mit dem auf den Koffer verglichen wird: eine effiziente (und offensichtlich notwendige) Methode, um Diebstahl zu vermeiden. |
Im Gran Hotel Dora, wo ich wieder absteige, fühle ich mich sofort
wieder heimisch. Im Nu bin ich geduscht, umgezogen und in der lauen
Abendluft der Stadt unterwegs. Viel mehr als beim ersten Mal nehme
ich den weltstädtischen Charakter dieser Stadt wahr. Gut gekleidete,
gehetzt aussehende Geschäftsleute, Müßiggänger
und Flaneure in baumgesäumten avenidas, selbstbewusste, provozierend
schöne Mädchen, mörderischer Straßenverkehr,
Tango in den Straßen, reich ausgestattete Buchläden und
schicke Boutiquen - eine Stadt voller Entdeckungen! |
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Die Krönung des Abends ist für
mich eine Fotoausstellung an der Plaza San Martin. Die Ausstellung
zeigt auf 120 großformatigen Tafeln beeindruckende Aufnahmen
der Erde, die der französische Fotograf Arthus-Bertrand von einem
Hubschrauber aus gemacht hat. |
2. April |
Vorletzter Tag in Buenos Aires |
Wie oft sehe ich Menschen
auf der Straße, im Hotel oder am Nebentisch im Restaurant und
versuche für einen kurzen Augenblick in ihre Köpfe, hinter
ihre Gesichter, in ihre Körper, in ihre Geschichte zu schlüpfen.
Dieses Sichhineinversetzen ist zwar ein guter Weg, um Vorurteile abzubauen,
Menschen besser zu verstehen, Sympathie für sie zu erfahren.
Aber es bleibt ein Prozess, der sich einzig und allein im Kopf des
Betrachters abspielt. Die Nähe, die ein Begrüßungsküsschen
mit sich bringt hingegen - dabei denke ich gar nicht an Erotik - ist,
bei aller Förmlichkeit, bereits viel mehr wert als alle Gedanken
der Welt. |
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Trotz der sommerlichen Hitze und der
feuchten Luft, die meine Kleidung andauernd an der Haut kleben lassen,
und ungeachtet der vielen Stunden, die ich zu Fuß unterwegs
bin (na gut, ab und zu lasse ich mich von einem spottbilligen Taxi
eine kleine Strecke fahren), erlebe ich einen seltsam beschwingten,
erlebnisreichen Tag. Keine Spur von Rückenschmerzen, keine Mattigkeit,
die mich andauernd zu einer Pause im Café drängt, nur
Leichtigkeit in meinen Gedanken und hellwache Sinne. In diesem Zustand
der „Unbeschwertheit“ kann ich Dinge sehen, die mir sonst
entgehen: keine klassischen Stadtbilder sondern ungewöhnliche
Details, absurde Gegensätze von Alt und Neu, die Ästhetik
des Chaos mehr als die Harmonie, das Ausgefallene statt dem „Schönen". |
3.
April |
Zum Delta des Paraná |
Abfahrt vom Bahnhof Retiro.
Fast eine Stunde rattert und klappert der Zug in Richtung Norden -
und es ist immer noch Stadt. Einer nach dem anderen ziehen die Vororte
von Buenos Aires vorbei: wie Olivos - dem Sitz des Präsidenten
- oder San Isidro entlang des Río de la Plata;
manchmal wirken die vorbeiziehenden Stadtviertel mit ihren kleinen
Einfamilienhäusern und platanengesäumten Straßen bürgerlich-vornehm,
manchmal sieht es aus wie auf dem Hinterhof einer Fabrik; das Hippodrom,
an dem wir vorbeifahren, suggeriert eine distinguierte, wohlhabende
Welt, aber kurz darauf - und es ist auf einem großen Teil der
Strecke so -, zeigt sich eine Stadtlandschaft dem Auge, die nur aus
riesigen zehn- bis fünfzehnstöckigen Gebäuden besteht. |
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Im Außenbezirk Tigre, einem
beliebten Wochenendziel der porteños, angekommen, mache
ich mich sofort auf die Suche nach einem Ausflugsboot, um die Hauptattraktion
dieser Gegend zu erkunden, das Flussdelta des Río Paraná.
Dieser 4000 Kilometer lange Strom fließt hier mit dem Río
Uruguay zusammen, um den Río de la Plata zu formen.
Das Delta bildet eine 1200 Quadratkilometer große, von der UNESCO
zum Naturschutzgebiet erklärte Wasserlandschaft mit zahllosen
kleinen Nebenflüssen und verträumten Inseln, viele von ihnen
bewohnt, meist als Freizeit- und Wochenendrefugium der reichen porteños.
Man findet auf den Inseln zahlreiche Country Clubs, Wochenendhäuser,
Parks und Gärten. Die typischen Häuser der isleños sind auf Holzpfeilern erbaut, die tief in den Grund des Deltas gerammt
wurden. Wenn alljährlich der Paraná Hochwasser
führt, wird der Grund für diese Bauweise ersichtlich: denn
dann reicht das Wasser oft bis an die oberste Stufe der Aufgangstreppen. |
Selbstverständlich werden die vielen Kanäle und Wasserläufe
auch für jegliche Art von Wassersport genutzt: leider auch für
deren motorisierte und lärmende Variante, das Waterscooter-Fahren
- welches den (Neudeutsch!) „ultimativen Speedthrill“ verspricht.
Hingegen träume ich, während unser Boot träge auf den
braunen Gewässern der verschlungenen Nebenflüssen und Kanälen
schippert, vom ersten Augenblick an nur davon, einige Tage auf einer
der kleinen romantischen Inseln zu verbringen. Dort würde ich
- so stelle ich es mir vor - entrückt inmitten üppiger subtropischer
Vegetation mit einem Kanu auf dem Wasser gleiten und mich völlig
im Einklang mit der Natur fühlen. |
4. April |
Der Rückflug |
Über den unendlich langen
Flug von Buenos Aires (über Rom) nach München ist nicht
viel zu sagen, außer vielleicht, dass ich diesmal auf die Qualen
des langen Sitzens geistig vorbereitet bin und mir schwöre, in
Zukunft niemals mehr so lange Strecken mit Alitalia zu fliegen. Ich
bilde mir ein, dass ich bei keiner anderen Fluggesellschaft derart
enge Sitzplätze erlebt habe. |
In München |
... und es ist gleich wieder
kalt und regnerisch! |
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