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21. März |
Regen |
Als ich aufwache, höre
ich starken Regen, wie er aufs Dach klatscht. Es ist ein völlig
unerwarteter Kontrast zu den vergangenen Tagen, an denen man meinen
könnte, Schlechtwetter sei in dieser wüstenähnlichen
Gegend ein Fremdwort. Wie gut, dass wir heute weiterfliegen. Dann
tausend Kilometer weiter im Norden kann die meteorologische Situation
wieder völlig anders sein. |
Weiterflug nach Bariloche |
Nach dem Frühstück
laufe ich noch schnell zum nächsten locutorio internet,
um mich zu Hause zu melden. Die Straßen sind in Bäche verwandelt
und die Pfützen stellenweise meterbreit. Ich muss mich im Weitsprung
üben. |
Pünktlich um 12 Uhr 30 holt uns der bestellte remise (private
Mietwagen mit Fahrer, bei Langstrecken meist billiger als ein Taxi)
ab und wir fahren zum Flughafen. Es ist mein sechster Abflug auf dieser
Reise. Kurz vor der Landung – der Flug dauert nur eineinhalb Stunden
– genieße ich meinen ersten Blick auf den Pazifik. Majestätisch
die Aussicht auf die Anden, auffallend die fast exakte Trennlinie
zwischen der steppenhaften Landschaft im Osten und der alpinen, grünen
Landschaft der Anden. |
In San Carlos de Bariloche erwartet uns Sommerwetter, wie es
im Buche steht. Herrlich klare Luft, ein blauer Himmel und ein dunkelblauer
Nahuel-Huapi-See mit dem Glitzern der millionenfachen Spiegelungen
der Sonne im Gegenlicht. |
Tante Helgas Garten |
Tantes Haus liegt in einem
Gartenviertel von Bariloche,
wunderschön gelegen, mit einem üppig bewachsenen Garten,
von der (staubigen) Calle Austria durch einen Zaun und dichter
Vegetation getrennt – eine Idylle! Der Name der Straße wurde
ihr übrigens auf Antrag bei der Gemeinde verliehen und die Einweihung
erfolgte mit dem Hissen der österreichischen Fahne, dem Beisein
des österreichischen Botschafters aus Buenos Aires und des österreichischen
Konsuls in Bariloche. In diesem Viertel gibt es dann auch noch eine Calle Alemania, eine Francia, und eine Suiza.
Schwer zu erraten, aus welchen Ländern der Welt die meisten Einwanderer
hierher kamen. |
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Ich wohne in einer direkt hinter dem Hauptgebäude stehenden "Dependance",
d.h. in einem vollständig eingerichteten Holzhäuschen
mit jedem Komfort, mit Küche, Badezimmer, Warmwasser und Gas-Heizung! |
Der Garten ist Tante Helgas ganzer Stolz. Ich bin zwar botanisch nicht
so bewandt, begegne aber der Fülle und der Schönheit dieses
Gartens mit Bewunderung. Wenn ich an meine kleine, mit soviel Mühe
begrünte Terrasse denke, kommt doch ein Anflug von Neid auf. |
An der Hauswand ranken wilder Wein und Passionsblume. Rund um den
Rasen, auf dem ich mir vor-stellen kann, so manchen Sommernachmittag
zu verbringen, drängen sich Gehölze, Büsche und Blumen:
Falscher Jasmin, Zierpflaume, Rotahorn, Zierkirsche, Zierapfelbaum,
kanadische Eiche, Fuchsie, Birke, Goldregen, Rhododendron, Pfingstrose,
Hagebutte, braunrosa Ginster, Himbeersträucher (die mindestens
5 Kilo tragen), Clematis, Knöterich, Weiden, Stachelbeersträucher
(4-5 Kilo auf zwei Sträuchern), Zierpfirsich, Holunder, Hopfen,
Hortensien, eine riesengroße Eberesche, Weichselbaum, Stechpalme,
Elfenbeinginster, Lavendel, Rudbeckien, nur um einige zu nennen! Und
natürlich der hierzulande sehr beliebte Notro (Embothrium
coccineum, auch Chilenischer Feuerstrauch genannt), ein immergrüner,
hoher Strauch oder kleiner Baum mit dunkelgrünen Blättern
und langen, dünnen, strahlend scharlachroten Blüten an den
Zweigenden: das wohl spektakulärste Blütengehölz Patagoniens.
Des weiteren das Ziergehölz Mayten mit seinem filigranem
Laub und natürlich - Rosen. |
Mindestens einmal in der Woche kommt ein peon, um Tante bei
der Gartenarbeit zu helfen. Und da gibt's viel zu tun! |
Und wenn das noch nicht reicht, um Tante Helga zu beschreiben, hier
noch ein Satz aus einem Buch von Karl Ilg über die deutschsprachige
Besiedlung in Südamerika: "Die lose Österreichische
Gemeinschaft war durch die Initiative der rührigen Frau
Helga Stampfl, Besitzerin der bedeutendsten Buchhandlung am Platz,
die "Libreria Mitre“ in der Lage, schon mehrere Botschafterempfänge
sowie sportliche und kulturelle Veranstaltungen durchzuführen.
Sie wäre als Honorarkonsul zu empfehlen." |
22. März |
Erster Tag in Bariloche |
Wenn die Reise zum Urlaub
wird: Aufwachen, die ersten Sonnenstrahlen genießen, einen Kolibri
zwi-schen den Ästen der Fuchsie direkt an meinem Fenster fliegen
sehen, gleich daneben daumendicke, braune Hummeln, die mit ihrem „Fell“
wie winzige Bären aussehen. Anschließend Frühstücken,
nichts tun, die Zeit einfach beim Sitzen im Garten verstreichen lassen.
Es ist immer noch sommerlich warm, die Luft stechend klar. |
Der Tag verläuft ruhig und ohne Hektik, es gibt viel zu erzählen
und ich bin sowieso ziemlich besichtigungsmüde. |
Während in der Küche Mara, Tante Helgas „Perle“,
lockere Palatschinken brät, klingelt es an der Tür. Es ist
der Brotausträger der deutschen Bäckerei mit zwei duftenden,
noch warmen Vollkornschwarzbroten, die er mir über
den Gartenzaungatter reicht. |
Mara kommt ein paar Mal in der Woche, kocht für Tante (auch auf
Vorrat und zum Teil schmackhafte deutsche Hausmannkost) und serviert
still und mit Zurückhaltung die Speisen. Jedes Mal wenn Tante
Helga mit einer kleinen Tischglocke klingelt, um Mara herbeizurufen, und
sie daraufhin prompt zum Auf- oder Abtragen der Speisen kommt, komme
ich ins Grübeln über die soziale Situation in diesem Land,
dessen Entwicklung sich offensichtlich völlig von jener Europas
abgekoppelt hat. Dienstmädchen (dieses Wort gilt bei uns längst
nicht mehr als „politically correct“) und Hauspersonal sind
ja in Mitteleuropa selbst in Zeiten von hoher Arbeitslosenzahl nur
noch das Privileg einer kleinen sehr wohlhabenden Schicht. |
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Am Nachmittag fahren wir zur ersten Stadtbesichtigung ins Zentrum.
Das Centro Civico, der alte Kern des Ortes, ist recht hübsch
angelegt, er besteht aus einem großen viereckigen Platz, der
von einer Reihe von holzverschalten oder steinernen Gebäuden
umgeben ist, in denen u.a. das Bürgermeisteramt, die Post, das
Fremdenverkehrsbüro und das Provinzmuseum untergebracht sind.
In der Mitte steht ein Reiterstandbild, auf der einen Seite leider
ein hässliches Hochhaus, von dem das Ensemble ziemlich verschandelt
wird. Es soll auf die Korruption in der Zeit der Diktatur zurückzuführen
sein. |
Vom Hauptplatz gelangt man durch zwei Torbögen zur Calle Bartolomeo
Mitre, welche die Hauptgeschäftsstraße
von Bariloche ist. Hier hatten auch Tante Helga und Onkel Willy über
Jahre hinweg ihren gut laufenden Buch- und Schallplattenladen. Aus
viel mehr als dieser Mitre und einige parallel dazu verlaufenden
Straßen besteht das Zentrum allerdings nicht. |
Die zum See parallel laufenden Straßen (wie der Mitre)
sind eben, die zur Hauptachse quer verlaufenden dagegen reine Berg-
und Talbahnen, hin zum See leicht abfallend, stadtauswärts teils
sehr steil, was ein wenig an San Francisco erinnert. |
Nach einem Abstecher im Souvenirladen von Cati landen wir schließlich,
als Krönung des Tages im Café del Turista, ein
riesiger, aber gemütlicher Laden, wo wir mein Lieblingsritus
vollziehen: das Konsumieren von Kuchen und cafe con leche. |
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