|
4. März 2004 |
Der Flug |
Über den vierzehnstündigen
Flug von Mailand nach Buenos Aires ist nicht viel zu sagen, außer
vielleicht, dass dabei auch ein unverbesserlicher Ökomuffel
zum Kauf von Bio-Eiern überzeugt werden könnte. Denn die
Tortur der Käfighaltung ähnelt der Erfahrung des Touristen
in der Touristenklasse sehr. Die engen Sitzverhältnisse sind
- besonders für Einmeterneunzig-Reisende wie mich - schier unerträglich.
Wer hätte da noch das Herz, Eier zu essen, die unter solchen
"unhühnerlichen" Bedingungen produziert worden sind? |
Buenos Aires, 5. März, 8 Uhr 30 |
Spanisch-Unterricht, lection uno: |
"Cien metros derecho,
despues doble a la isquierda hasta el terminal B". Und schon
bin ich beim Minibus der Firma Manuel Tienda Leon angelangt. Wie gut,
dass ich meinen Spanischkurs fleißig durchgepaukt habe. |
Die ersten Eindrücke |
Übermüdet,
aber von positiver Erregung und großer Neugier getragen, begebe
ich mich auf die etwa 40-minutige Busfahrt ins Stadtzentrum. Es fällt
mir dabei sofort auf, dass hier ganz andere Größenordnungen
im Spiel sind, als jene, die ich von Mitteleuropa kenne. Erst endlose
Vororte, die stark an amerikanische suburbs
erinnern, dann allmählich immer dichter werdende Einsprengsel
von Hochhäusern, schließlich der Übergang zu einer
großstädtischen, dichteren Bebauung. Auffallend ist vor
allem das chaotische Nebeneinander von niedrigen, ein- bis zweistöckigen
Gebäuden aus früheren Zeiten und den in unkontrolliertem
Wachstum entstandenen Hochhäusern.
Was sich mir aber am Unmittelbarsten und Stärksten einprägt,
ist die beachtliche Vielfalt, die sich in den Formen dieser himmelwärts
gebauten Riesen manifestiert. Kein Hochhaus gleicht dem anderen. Die
Palette reicht von langweiligen massigen Klötzen hin zu gewagten
Konstruktionen superschlanker Bauten, von schlichten Formen aus Glas
und Stahl bis zur Zuckerbäckerarchitektur nordamerikanischer
Prägung. Gänzlich neu für mich sind die Gestalten jener
Wohnhochhäuser, dessen obere Stockwerke stufenweise schmäler
werden, so dass sie wie Gebäude mit aufgesetzten, skurrilen Hüten
aussehen. |
Müdigkeit |
Verschnaufen, mich
frisch machen, und schon zieht es mich in die Stadt. Das 3-Sterne-Hotel Gran Hotel Dora (das ich übers Internet gebucht habe)
liegt nur wenige Schritte von der nach dem Nationalhelden und Befreier
halb Südamerikas benannten plaza General San Martin und
ganz nahe an der calle Florida, einer der Haupteinkaufsstraßen
von Buenos Aires. |
Aber es dauert nicht lange, da hat mich die Müdigkeit mit aller
Wucht eingeholt. Was, zusammen mit der Gegebenheit, dass es im Laufe
des Tages sommerlich warm wird, meinen ersten Stadtbummel zur Qual
werden lässt. Dazu kommt der Stress des stundenlangen Suchens
nach einer Bank, die meine EC-Karte annimmt, und einem Café
im Freien. Wohl gibt es viele gemütlich eingerichtete Bars und
Restaurants, aber alles, was auch nur annähernd an die Champs
Elyseés oder an Via Veneto erinnern könnte, liegt in der
prallen Sonne und unmittelbar den ungefilterten Abgasen des dichten
Autoverkehrs ausgesetzt. |
Café Champs-Elyseés im Barrio Recoleta,
18 Uhr |
Bereits nach diesem
einen anstrengenden Tag fange ich an, mich nach jener Art von Ferien
zu sehnen, die dem Dolcefarniente am Nächsten kommt. Ach wie
schön wäre ein Urlaub ohne Fotoapparat (na ja, wir wollen
nicht übertreiben - nur weitest gehend ohne Kamera!), ohne Besichtigungszwänge,
ohne Schweiß treibendes, endloses Hatschen in den wärmsten
Tagesstunden und ohne die darauf folgenden Rückenschmerzen und
die unausweichliche, wenn auch glücklicherweise nur vorübergehende
schlechte Laune.
Ich stelle es mir, in anderen Worten, viel angenehmer vor, im Schatten
von Jakaranda- und Eukalyptusbäumen zu sitzen, auf einen
Park zu schauen und dabei mit dem Strohhalm refresco de granadina
(Erfrischungsgetränk aus Granatapfelsirup) aus einem Glas zu
schlürfen. Ganz zu schweigen von der Wonne, mich am Anblick von
hübschen Porteñerinnen (porteños werden die Einwohner
von Buenos Aires genannt) zu weiden, die einen Streifen nackten Bauches
zur Schau tragen und mit ihren zwar nicht knappen, aber gleichmäßig
verteilten Pfunden Eindruck machen. |
6. März |
Frühstück im Hotel Dora |
Da sitze ich nun, mit einem leicht belegten
Hals, einer Benommenheit, die von der aufgestauten Müdigkeit
herruht und mit unangenehmen Rückenschmerzen, die mich zu einer
stocksteifen Sitzhaltung zwingen. Draußen ist es leicht
bewölkt, die Luft feucht und nicht ganz klar. Es verspricht,
ein heißer Tag zu werden. |
Café La Galera, 18 Uhr |
Es ist auffällig:
Immer wieder kommen kleine Jungen oder Mädchen an diesem Café
an der Plaza Serrano (im Stadtteil Palermo) vorbei und bieten
den Gästen billige Waren zum Kauf an: Kugelschreiber, Papiertaschentücher,
Bijouterie, Notizblöcke. Sie sind nicht aufdringlich, eher schüchtern,
ernst. Keine zehn Minuten vergehen, ohne dass man solche "Händler"
sieht. Schließlich kaufe ich einem kleinen Mädchen einen
Kamm und eine Schere ab. Das tue ich nicht so sehr aus Mitleid sondern
aus tatsächlichem Bedarf. Denn die kleine Bartschere, mit deren
Hilfe ich das Alitalia-Flugzeug nach Kuba entführen wollte, wurde
mir leider im Flughafen bei der Sicherheitskontrolle abgenommen. |
Man sieht überall Zeichen einer Klassengesellschaft. Auf der einen Seite fallen der dichten Verkehr,
die Luxusboutiquen und die zahlreichen gut angezogenen, eleganten
Menschen auf, die vor Bürohäusern, Banken und vielen Privatwohngebäuden
stehen. Auf der anderen Seite die cartoneros, die Müllsortierer,
die nach Pappe und Papier im Müll suchen, das sie für ein
paar centavos verhökern können. Man sieht sie spätabends,
wie sie auf der Suche nach verwendbaren "Rohstoffen" die
Berge von Plastiksäcken ausschlachten, die vor die Türen
gestellt werden. Auffallend ist auch, dass die Meisten dieser Ärmsten
ausgesprochene indianische Gesichtszüge aufweisen.
An vielen Ecken findet man auch noch - meist ältere - Männer,
die sich still und würdevoll als Schuhputzer verdingen. Selbst
im unterentwickelten Neapel, wo sie in der frühen Nachkriegszeit
durch De Sicas Film Sciusciá (Verballhornung des amerikanischen
"shoe shine") bekannt wurden, sind die Schuhputzer vom Straßenbild
verschwunden. Hier in Buenos Aires sind sie im Stadtbild noch (oder
wieder) eine Selbstverständlichkeit. |
Armut ist auf Schritt und Tritt zu spüren. Mal sind es Jungen,
die an den Straßenkreuzungen während der Roten-Ampel-Phase
Windschutzscheiben-Putzdienste anbieten, mal welche, die, um die genervten
Autofahrern zu erweichen, geschickt vor deren Augen mit Bällen
jonglieren. Oft sind es auch nur Kinder, die dich traurig anschauen
und schüchtern "moneda" flüstern oder "Hoy
es my compleaño". Um ein paar Münzen zu ergattern,
haben sie, so zu sagen, jeden Tag Geburtstag!
Symptomatisch ist die allgegenwärtige Präsenz von Polizei
und Sicherheitsdiensten. An jeder Ecke, vor der Eingangshalle von
Banken oder wichtigen Gebäuden, an Straßenecken und bei
Menschenansammlungen: Niemals fehlen die Gesetzeshüter in ihren
martialischen grau-schwarzen Uniformen. Niemals fehlen an ihrer Ausrüstung
Pistole, Schlagstock und kugelsichere Weste. |
|
|
|
|