Argentinien 2004
Reisebericht Argentinien - Patagonien    
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ARGENTINIEN 2004
Buenos Aires
Tango in San Telmo
Puerto Madryn
Pinguine in Punta Tombo
Halbinsel Valdes
Ushuaia
Zur Seelöweninsel
Nationalpark Feuerland I
Estancia Harberton
Garibaldi-Pass
Zug am Ende der Welt
Nationalpark Feuerland II
Beagle-Kanal Titanic
El Calafate
Perito-Moreno-Gletscher
Ruta 40
Nach Bariloche
Auf den Cerro Otto
Nahuel-Huapi-See
Nationalpark Lanin
Das verzaubert Tal
Lago Mascardi
Abschied von Bariloche
Buenos Aires
Im Paranà-Delta
 
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4. März 2004
Der Flug
Über den vierzehnstündigen Flug von Mailand nach Buenos Aires ist nicht viel zu sagen, außer viel­leicht, dass dabei auch ein unverbesserlicher Ökomuffel zum Kauf von Bio-Eiern überzeugt werden könnte. Denn die Tortur der Käfighaltung ähnelt der Erfahrung des Touristen in der Touristenklasse sehr. Die engen Sitzverhältnisse sind - besonders für Einmeterneunzig-Reisende wie mich - schier unerträglich. Wer hätte da noch das Herz, Eier zu essen, die unter solchen "unhühnerlichen" Bedingungen produziert worden sind?
Buenos Aires, 5. März, 8 Uhr 30
Spanisch-Unterricht, lection uno:
"Cien metros derecho, despues doble a la isquierda hasta el terminal B". Und schon bin ich beim Minibus der Firma Manuel Tienda Leon angelangt. Wie gut, dass ich meinen Spanischkurs fleißig durchgepaukt habe.
Die ersten Eindrücke
Übermüdet, aber von positiver Erregung und großer Neugier getragen, begebe ich mich auf die etwa 40-minutige Busfahrt ins Stadtzentrum. Es fällt mir dabei sofort auf, dass hier ganz andere Größen­ordnungen im Spiel sind, als jene, die ich von Mitteleuropa kenne. Erst endlose Vororte, die stark an amerikanische suburbs erinnern, dann allmählich immer dichter werdende Einsprengsel von Hochhäusern, schließlich der Übergang zu einer großstädtischen, dichteren Bebauung. Auffallend ist vor allem das chaotische Nebeneinander von niedrigen, ein- bis zweistöckigen Gebäuden aus früheren Zeiten und den in unkontrolliertem Wachstum entstandenen Hochhäusern.
Was sich mir aber am Unmittelbarsten und Stärksten einprägt, ist die beachtliche Vielfalt, die sich in den Formen dieser himmelwärts gebauten Riesen manifestiert. Kein Hochhaus gleicht dem anderen. Die Palette reicht von langweiligen massigen Klötzen hin zu gewagten Konstruktionen su­perschlanker Bauten, von schlichten Formen aus Glas und Stahl bis zur Zuckerbäckerarchitektur nordamerika­ni­scher Prägung. Gänzlich neu für mich sind die Gestalten jener Wohnhochhäuser, dessen obere Stockwerke stufenweise schmäler werden, so dass sie wie Gebäude mit aufgesetzten, skurrilen Hüten aussehen.
Müdigkeit
Verschnaufen, mich frisch machen, und schon zieht es mich in die Stadt. Das 3-Sterne-Hotel Gran Hotel Dora (das ich übers Internet gebucht habe) liegt nur wenige Schritte von der nach dem Nationalhelden und Befreier halb Südamerikas benannten plaza General San Martin und ganz nahe an der calle Florida, einer der Haupteinkaufsstraßen von Buenos Aires.
Aber es dauert nicht lange, da hat mich die Müdigkeit mit aller Wucht eingeholt. Was, zusammen mit der Gegebenheit, dass es im Laufe des Tages sommerlich warm wird, meinen ersten Stadt­bummel zur Qual werden lässt. Dazu kommt der Stress des stundenlangen Suchens nach einer Bank, die meine EC-Karte annimmt, und einem Café im Freien. Wohl gibt es viele gemütlich ein­gerichtete Bars und Restaurants, aber alles, was auch nur annähernd an die Champs Elyseés oder an Via Veneto erinnern könnte, liegt in der prallen Sonne und unmittelbar den ungefilterten Abgasen des dichten Autoverkehrs ausgesetzt.
Café Champs-Elyseés im Barrio Recoleta, 18 Uhr
Bereits nach diesem einen anstrengenden Tag fange ich an, mich nach jener Art von Ferien zu sehnen, die dem Dolcefarniente am Nächsten kommt. Ach wie schön wäre ein Urlaub ohne Foto­apparat (na ja, wir wollen nicht übertreiben - nur weitest gehend ohne Kamera!), ohne Besich­tigungszwänge, ohne Schweiß treibendes, endloses Hatschen in den wärmsten Tagesstunden und ohne die darauf folgenden Rückenschmerzen und die unausweichliche, wenn auch glücklicherweise nur vorübergehende schlechte Laune.
Ich stelle es mir, in anderen Worten, viel angenehmer vor, im Schatten von Jakaranda- und Euka­lyptusbäumen zu sitzen, auf einen Park zu schauen und dabei mit dem Strohhalm refresco de granadina (Erfrischungsgetränk aus Granatapfelsirup) aus einem Glas zu schlürfen. Ganz zu schweigen von der Wonne, mich am Anblick von hübschen Porteñerinnen (porteños werden die Einwohner von Buenos Aires genannt) zu weiden, die einen Streifen nackten Bauches zur Schau tragen und mit ihren zwar nicht knappen, aber gleichmäßig verteilten Pfunden Eindruck machen.
6. März
Frühstück im Hotel Dora
Da sitze ich nun, mit einem leicht belegten Hals, einer Benommenheit, die von der aufgestauten Müdigkeit herruht und mit unangenehmen Rückenschmerzen, die mich zu einer stocksteifen Sitz­haltung zwingen. Draußen ist es leicht bewölkt, die Luft feucht und nicht ganz klar. Es verspricht, ein heißer Tag zu werden.
Café La Galera, 18 Uhr
Es ist auffällig: Immer wieder kommen kleine Jungen oder Mädchen an diesem Café an der Plaza Serrano (im Stadtteil Palermo) vorbei und bieten den Gästen billige Waren zum Kauf an: Kugel­schreiber, Papiertaschentücher, Bijouterie, Notizblöcke. Sie sind nicht aufdringlich, eher schüch­tern, ernst. Keine zehn Minuten vergehen, ohne dass man solche "Händler" sieht. Schließlich kaufe ich einem kleinen Mädchen einen Kamm und eine Schere ab. Das tue ich nicht so sehr aus Mitleid sondern aus tatsächlichem Bedarf. Denn die kleine Bartschere, mit deren Hilfe ich das Alitalia-Flugzeug nach Kuba entführen wollte, wurde mir leider im Flughafen bei der Sicherheitskontrolle abgenommen.
Man sieht überall Zeichen einer Klassengesellschaft. Auf der einen Seite fallen der dichten Verkehr, die Luxusboutiquen und die zahl­reichen gut angezogenen, eleganten Menschen auf, die vor Büro­häusern, Banken und vielen Privatwohngebäuden stehen. Auf der anderen Seite die cartoneros, die Müllsortierer, die nach Pappe und Papier im Müll suchen, das sie für ein paar centavos verhökern kön­nen. Man sieht sie spätabends, wie sie auf der Suche nach ver­wend­baren "Rohstoffen" die Berge von Plastiksäcken aus­schlachten, die vor die Türen gestellt werden. Auffallend ist auch, dass die Meisten dieser Ärmsten ausgesprochene indianische Gesichtszüge aufweisen.
An vielen Ecken findet man auch noch - meist ältere - Männer, die sich still und würdevoll als Schuhputzer verdingen. Selbst im unterentwickelten Neapel, wo sie in der frühen Nachkriegszeit durch De Sicas Film Sciusciá (Verballhornung des amerikanischen "shoe shine") bekannt wurden, sind die Schuhputzer vom Straßenbild verschwunden. Hier in Buenos Aires sind sie im Stadtbild noch (oder wieder) eine Selbstverständlichkeit.
Armut ist auf Schritt und Tritt zu spüren. Mal sind es Jungen, die an den Straßenkreuzungen während der Roten-Ampel-Phase Windschutzscheiben-Putzdienste anbieten, mal welche, die, um die genervten Autofahrern zu erweichen, geschickt vor deren Augen mit Bällen jonglieren. Oft sind es auch nur Kinder, die dich traurig anschauen und schüchtern "moneda" flüstern oder "Hoy es my compleaño". Um ein paar Münzen zu ergattern, haben sie, so zu sagen, jeden Tag Geburtstag!
Symptomatisch ist die allgegenwärtige Präsenz von Polizei und Sicherheitsdiensten. An jeder Ecke, vor der Eingangshalle von Banken oder wichtigen Gebäuden, an Straßenecken und bei Menschen­an­sammlungen: Niemals fehlen die Gesetzeshüter in ihren martialischen grau-schwarzen Uni­for­men. Niemals fehlen an ihrer Ausrüstung Pistole, Schlagstock und kugelsichere Weste.