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8. März |
Morgens |
Heute
wird Buenos Aires wieder einmal ihrem Namen gerecht. Der Himmel ist
klar, die Temperatur frühlingshaft, es weht eine angenehme Brise.
Es sitzt sich gut im Schatten der Baumriesen im Park an der Plaza
San Martín: Jacarandas, Palo-borracho-Bäume,
Eukalypten, Palmen, Araukarien und vor allem ein gewaltiger Ombu-Baum,
in dessen Schatten Kinder spielen und Passanten sich eine Verschnaufpause
vom stressigen Leben der Großstadt gönnen können. |
Dieser Baum (eigentlich ist es ein Strauch, dessen botanischer Name Phytolacca Dioica ist) hat seine Ursprünge in der argentinischen
Pampa und prägt das Bild zahlreicher argentinischen Plätze.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, welche Rolle er im Bewusstsein mancher
Erwachsenen spielt, die als Kinder auf seine großen Wurzeln,
die aus dem Boden herauswachsen, und auf seinen Ästen, die teilweise
so schwer sind, dass sie gestützt werden müssen, die schönsten
Kletterabenteuer erlebten. |
14 Uhr, im Cafe des Aeroparque |
Warum
nur lässt mich der Reisende mit dem Walter-Ulbricht-Bärtchen
so sehr an einen verschrobenen Naturforscher denken, der auf seinen
Flug in den Dschungel wartet? Habe ich denn zu viele Filme wie "Die
verlorene Welt" gesehen? Und warum kann ich mich des Eindrucks
nicht erwehren, es könnten plötzlich Bud Spencer und Terence
Hill auftauchen, die sich mit ihrer klappernden Propellermaschine
zu irgend einem verlassenen Städtchen in der Pampa aufmachen,
um dort die übliche Riege von Bösewichten aufzumischen?
Vielleicht weil der Aeroparque genannte Flughafen (der nur
nationale Flüge und Flüge nach Montevideo bedient) so überschaubar
ist? Oder weil ich durch die große Fensterfassade auf eine akaziengesäumte
Straße schaue, hinter der die Wellen des Rio de la Plata in der Sonne glitzern? Der Fluss ist hier so breit wie das Meer, aber
von einer schlammig-braunen Farbe, wie sie das Meer niemals aufweisen
könnte. Der diesige Himmel spiegelt sich in diesem Wasser und
lässt dieses zu einem fahlen Schleier werden. Es ist wirklich
ungewohnt. |
Mein "Abenteuer" besteht indessen nur aus Warten. Wobei
ich von Glück sprechen kann, dass ich überhaupt hier bin,
denn als ich heute Morgen zufällig bei der nahen Filiale der Aerolineas Argentinas vorbeischaute, musste ich erfahren, dass
die Abflugszeit meines Fluges nach Trelew um 75 Minuten vorverlegt
worden war. Dabei hatte man mir noch vor zwei Tagen den Flug bestätigt.
Von der Flugplanänderung wurde ich bei der Gelegenheit nicht
informiert. |
Flughafen Trelew, 18:30 |
Wie oft habe ich sie schon gesehen,
diese Abholer in den Flughäfen! Steif und mit gestreckten Hälsen
stehen sie in der Ankunftshalle mit ihren hoch gehaltenen Schildern.
Manchmal steht darauf der Name des Reiseveranstalters, der seine Schäfchen
einsammeln und per Bus ins Vertragshotel verfrachten will, manchmal
der Namen eines einzelnen Passagiers. Mir als ewiger Individualreisender
wurde diese Ehre bisher verwehrt. Bisher! Denn diesmal habe ich vorgesorgt
– schließlich liegt Puerto Madryn, mein Ziel, 65 Kilometer
nördlich von Trelew. Telefonisch habe ich mit dem Hotelangestellten
für einen Zubringerbus sorgen lassen. |
Fahrt nach Puerto Madryn |
Eindrücke,
Eindrücke, Eindrücke. Die Quintessenz alles Reisens: Zuerst
der Blick vom Flugzeug auf die unendliche, wie ein staubbedeckter
Gepard aussehende gefleckte Ebene, die uns bei der Landung immer näher
kommt, dann das gleißende Licht, dass mich empfängt, als
ich aus dem Flugzeug steige. Ein nordisches, schneidendes Licht -
aber bei subtropischer Temperatur. Und dann die Fahrt durch eine flache,
kilometerweit immer gleich bleibende Landschaft eine kerzengerade
Straße entlang, ein Sinnbild der Unendlichkeit. Rechts und links
zieht in immer währender Wiederholung eine staubige Sträucher-
und Gräserlandschaft an uns vorbei. Die Farben sind gedämpft,
mit Variationen von graugrün bis braun und gelb. |
Obwohl im Kleinbus alle Vorhänge auf der Sonnenseite zugezogen
sind, staut sich die trockene Hitze auf unangenehme Art. Als Erster
nickt der grauhaarige Herr ein, der gerade noch in einem Buch über
Einstein und die „Principia naturalia mathematica“ geblättert
hat, dann die füllige Argentinierin hinter ihm, und es dauert
nicht mehr lange, bis auch die kleine Japanerin neben mir so weit
ist. Ihr Kopf sinkt peu a peu zur Seite, immer ein Stückchen
mehr in meine Richtung. Nur eine scharfe Kurve könnte die Begegnung
mit meiner Schulter noch verhindern. Als ich den schlafenden Kopf
und die kräftigen schwarzen Haare der jungen Asiatin beobachte,
komme ich nicht umhin, sie mit jenen einer Indio-Frau zu vergleichen,
die weiter vorne im Bus sitzt. Die Ähnlichkeit ist so frappierend,
dass mir ein Gedanke ganz spontan durch den Kopf schießt: So
leicht lässt sich die Abstammungstheorie der amerikanischer Ureinwohner
untermauern! |
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Nach etwa vierzig Minuten fast schnurgerader
Fahrt endlich eine Kurve, es ist die Abzweigung nach Puerto Madryn,
dem Zentrum für touristische Aktivitäten an Patagoniens
Küste. Die Halbinsel Valdes, nur etwa 100 Kilometer entfernt,
zählt seit 1999 als Gebiet mit globaler Bedeutung für die
Erhaltung von Meeressäugern zur World Heritage List der UNESCO.
Dieses Schutzgebiet ist die touristische Hauptattraktion der Region.
Herr Caballero, bei dem ich das Zimmer im Hotel Fantilli online reserviert
habe – wie schade für Marco Polo, dass er seine Reisen noch nicht
per Internet reservieren konnte –, ist ein freundlicher junger Mann,
der perfekt Englisch spricht. Die Atmosphäre des Hotels ist familiär
und mein Zimmer hat tatsächlich die versprochene "vista
del mar" (Aussicht aufs Meer). Man schaut über die flachen
weißen Bauten hinweg und zwischen den Hochhäusern der vorderen
Reihe hindurch. |
Die Überraschungen
der Nacht |
Vollmond, dunkle Silhouetten
von Hochhäusern und unwahrscheinlich klare Aussicht auf ein Meer,
in dem sich der Mond tausendfach spiegelt und ein Funkeln und Leuchten
erzeugt, dass man jeden Moment eine Mythologische Figur aus den Wellen
emporsteigen wähnt. Es hat etwas Unwirkliches.
Ohren betäubendes Krachen von beschleunigenden Motorrädern
und Autos mit kaputten Auspuffröhren bis spät in die Nacht
– die Rückseite der Medaille! |
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