|
28. März |
Ein ruhiger Tag |
Die schönen Herbsttage scheinen langsam zu Ende zu gehen.
Der Himmel ist bewölkt und der Tag lädt zum Faulenzen
ein. Ich verbringe wieder - mittlerweile ist es eine liebgewonnene
Tradition - Stunden im Cafe del Turista beim Schreiben, Lesen
und Menschenbeobachten. |
Erst am Nachmittag setzen Tante Helga und ich uns ins Auto, um wenigstens
eine kleine Besichtigungsrunde in Angriff zu nehmen: den Circuito Chico (die "kleine Rundfahrt"), die zur
Halbinsel Llao-Llao führt und anschließend auf
kurvenreicher Straße in ständig wechselnder, wunderschöner
Landschaft zwischen Zypressen, Coihues und Myrten dem Lago
Moreno entlang.
Erster Höhepunkt ist der Punto Panoramico (ein Muss
für Touristen, dort stehen zu bleiben), von dem man eine atemberaubende
Aussicht auf die vielen Arme und Buchten dieser weitverzweigten
Seenlandschaft genießen kann. Weiterer Höhepunkt der Tour ist ein Teehaus in einer herrlichen Villa in Meli Hue, wo wir in einem sehr hübschen und
intimen Gastraum schmackhafte Kuchen verzehren, während vor
dem Fenster ein Kolibri in der Luft schwebt. Auch von hier aus genießt
man eine bezaubernde Aussicht auf den See. |
29. März |
Müßiggang |
Aufwachen bei grauem Himmel
und leichtem Regen: Was für herrliche Gelegenheit, den Tag zum
Nichtstun-Tag zu deklarieren!
Der Vormittag ist mit einem späten Frühstück und etwas
Plauderei schnell vorbei. Am Nachmittag strabanze ich nur ein wenig
am See entlang und im Zentrum, um nach einer vergeblichen Suche nach
Mitbringsel für die Daheimgebliebenen schließlich wieder
im Cafe del Turista zu landen, wo ich Stunden auf Du und Du
mit herrlichen Torten, meinem Taschencomputer und dem behaglichen
Ambiente des Lokals verbringe.
Später treffe ich wie vereinbart Tante Helga in Catis Laden,
wo wir allerdings umsonst auf Tantes Freundin warten.
Gegen Abend reißt die Wolkendecke wieder auf. Mir fällt
auf, dass die Mondsichel anders als auf der Nordhalbkugel hier auf
dem Kopf steht, wobei der abnehmende Mond im Gegensatz zu unseren
Breitengraden die Form eines "D“ annimmt. |
30. März |
Spanisch-Unterricht, lection
cinco: |
In der ich lerne, wie man
Keilriemen (correa) und Lichtmaschine (alternador) auf
Spanisch sagt.
Aber fangen wir lieber vom Anfang an. |
Fahrt zum Tronador |
Wie meistens beginnt der Morgen
vielversprechend bei kühlem, heiterem Wetter. Ich schaue aus
dem Fenster, sehe einen wolkenlosen Himmel, einen Kolibri, der vor
dem Fuchsienstrauch schwebt, und der mate cocido schmeckt belebend.
Was könnte bei solchen Voraussetzungen noch schief gehen? |
Mein Tagesziel ist Pampa Linda (die "hübsche Steppe"),
am Fuße des gewaltigen, stark vergletscherten Cerro Tronador (3554 m) gelegen. Die Namen von Sehenswürdigkeiten wie Ventisquero
Negro (der Schwarze Gletscher) und der Wasserfälle in der Garganta del Diablo (dem Teufelsmaul) klingen verlockend. |
Bald sitze ich gut gelaunt im Auto, unterwegs in Richtung Süden.
Ich fahre zuerst am Lago Gutierrez vorbei, dann eine kurze
Strecke den Lago Mascardi entlang. Die Berge sind zwar teilweise
in Wolken, aber es sieht ganz danach aus, als würden sich diese
mit vorschreitender Erwärmung wieder auflösen können.
Nach nur halbstündiger Fahrt erreiche ich die Abzweigung in die
unbefestigte Straße, die mich in Richtung Cerro Tronador bringen soll. Insgesamt sind es zwar nur 47 Kilometer, die Fahrbahn
soll aber, laut Cati, "in nicht sehr gutem Zustand“ sein.
Das ist ein reiner Euphemismus, und ich erfahre recht schnell, was
wirklich damit gemeint ist. Schmal, voller Steine, kurvenreich und
reich an Schlaglöchern zieht sich die Straße hin - nach
mitteleuropäischen Maßstäben ist sie kaum mehr als
ein gut ausgebauter, breiter Wanderweg! Streckenweise ist sie ein
einziges Meer von dicht aufeinander folgenden Querrillen, die mir
das Gefühl geben, auf einem Reibeisen unterwegs zu sein. |
Ich
fahre, besser gesagt, ich holpere, auf nichts anderes als auf die
Fahrbahn konzentriert, um Achsen und Reifen so weit es geht zu schonen,
mit Geschwindigkeiten zwischen 20 und 40 Stundenkilometern in Richtung
Westen. Tantes VW ist zwar schon zwanzig Jahre alt, aber sein gepflegter
Zustand und die Tatsache, dass er nur 84000 Kilometer auf dem Buckel
hat, machen mich zuversichtlich. Und schließlich sind auch mehrere
Kleinstwagen mit Touristen auf der Strecke unterwegs. Schlimmer kann
es also kaum werden. |
Nach etwa zehn Kilometern Qual kommt es zu einer Abzweigung. Links
geht es zum beliebten Touristenziel des Alerces-Wasserfalls,
rechts, nach einer Brücke über den Rio Manso, führt
der Fahrweg an einem Camping vorbei in Richtung Pampa Linda,
das, wie gesagt, mein Ziel ist - oder sein sollte, denn bereits jetzt
kommen mir leichte Zweifel an meinem Willen, die komplette Strecke
auch wirklich zu fahren. |
Zeitgleich mit zwei halb leeren Touristen-Kleinbussen mache ich am
Campingplatz einen kurzen Halt, um in der angeschlossenen Cafeteria
einen Kaffee zu trinken. Bevor ich aber weiterfahre, will ich noch
einen Blick auf die schöne Fluss- und See-Landschaft im Umfeld
des Zeltplatzes werfen. |
|
Gleich neben der Brücke steht ein Sportfischer knietief im Wasser,
wirft in kurzen Abständen seine Flugschnur mal in die eine, mal
in die andere Richtung aus, und lässt sich dabei von den fotografierenden
Touristen nicht im Geringsten stören. Ich habe mich immer schon
gefragt, ob diese bis zur Hüfte hohen Fischerstiefel auch tatsächlich
ihre Aufgabe erfüllen. Jetzt bekomme ich die Antwort. Denn gerade
rechtzeitig, um sich vor meinem Teleobjektiv in Sicherheit zu bringen
- Pech für mich, dass ich auf das Herauskommen der Sonne gewartet
habe -, beschließt der Mann, dass er für heute genug hat.
Er geht ans Ufer, packt seine Geräte ins gleich daneben stehende
Auto, zieht die hohen Gummistiefel aus - und lüftet mit seinen
bis zur Hüfte patschnassen Hosen das Geheimnis. |
Die Panne |
Ich fahre weiter. Nach etwa
vier Kilometern leuchten plötzlich gleichzeitig die Temperatur-
und die Batterie-Kontrolllampe am Armaturenbrett auf, die normalerweise
bei laufenden Motor sofort ausgehen müssten. Gleichzeitig schreckt
mich beim Druck aufs Gaspedal ein starkes quietschendes Geräusch
auf. Das Kühlwasser, dem meine erste Kontrolle gilt, ist jedenfalls
nicht überhitzt. Und was es mit dem Geräusch an sich hat,
das finde ich auch gleich raus: Es beruht auf das Schleifen des Keilriemens
auf der Achse des Ladegeräts, welche offenbar blockiert ist.
Ans Weiterfahren ist also nicht zu denken. |
Zum Glück habe ich in weiser Voraussicht Tantes Handy mitgenommen
und kann sie sofort anrufen, damit sie den unumgänglichen Abschleppwagen
organisiere. Erfreulicherweise hat sie eine Versicherung, die gerade
für solche Fälle aufkommt. Sie verspricht also, so schnell
es geht die Pannenhilfe zu organisieren. |
In Anbetracht dieser Perspektive ist meine Sicht der Dinge zunächst
positiv: Der Tag ist zwar versaut aber das Problem steht immerhin
vor seiner Lösung. Nur dumm, dass es dabei ein kleines, von mir
nicht berücksichtigtes Detail gibt. Denn diese Straße darf,
wegen ihrer geringen Breite, nur alternierend in die zwei Richtung
befahren werden. Grosso modo vormittags hin und nachmittags zurück.
In anderen Worten: Sie ist erst ab 19:30 h wieder in beiden Richtungen
offen. Somit ist dies der früheste Zeitpunkt, an dem der Abschleppwagen
hier eintreffen könnte. |
Ich komme mir vor wie ein begossener Pudel! Eine ganze Weile weiß
ich nicht, was ich tun soll, und das Kurvendiagramm meiner Laune bekommt
einen jähen Knick nach unten. Aber dann, plötzlich, taucht
ein rettendes Bild vor meinem geistigen Auge auf: Ich sehe mich am
Flussufer liegen, ein Grashalm zwischen den Zähnen, den Blick
gen Himmel gerichtet, während ein Fisch beim Schnappen nach einer
Mücke ein gluckerndes Geräusch an der Wasseroberfläche
erzeugt.
Von dieser Vision beflügelt baue ich also einige Meter vom Auto
entfernt das Warndreieck auf, sperre die Türen ab, schultere
meinen Rucksack und mache mich zu Fuß auf den Weg zurück
zum Campingplatz. |
Eintauchen in die Natur |
Die Gefühle in Worte
zu fassen, die die kurze Fußstrecke zwischen der Brücke
und dem kleinen Lago Los Moscos am Rio Manso entlang
bei mir hervorrufen, fällt mir schwer. Zu leicht könnte
ich mich dabei in Kitsch verfangen. Bläulich bis smaragdgrün
in der Farbe, bewegungslos, ruhig vor sich hin fließend oder
leicht plätschernd mit kleinen Strömungen und dicht bis
ans Ufer bewachsen zieht mich der kleine Wasserlauf sofort in seinen
Bann. Riesige Coihue-Bäume (Nothofagus dombeyi)
ragen mit ihren Ästen weit übers Wasser, stellenweise liegen
abgestorbene, weißgraue, geisterhaft verzweigte Bäume am
Ufer, leuchten braungrüne Algen durchs seichte Uferwasser, wächst
ein Bambusdickicht bis ans Ufer. |
Es genügt, dass ich eine Zeit lang bewegungslos stehen bleibe,
nur meinen Atem und das leichte Säuseln des Windes in den Blättern
wahrnehmend, und schon schleicht ein leichtes, fast streichelndes
Schaudern über meine Haut. Mein Bewusstsein scheint sich dabei
auf wundersame Weise zu erweitern. Es konzentriert sich völlig
aufs Hier und Jetzt und lässt alles was nicht "dazu“
gehört, im Nichts verschwinden. Sekunden werden zu Millionen
Jahre. |
Ich wandere weiter durch einen dichten, aber hellen Wald voller Wunder.
Der Bewuchs mit niedrigen Bambuspflanzen, Hagebuttensträuchern
und weiterem Gestrüpp macht ihn, bis auf die schmalen Wanderpfade,
fast undurchdringlich. Die vereinzelten toten Bäume und der Altmännerbart,
der von den Ästen herunterhängt, erwecken den Eindruck,
als würden sie einem das Gruseln einjagen wollen oder geisterhafte
Wesen verbergen, die jeden Besucher abschrecken möchten. |
Der kleine Los-Moscos-See unterbricht ganz plötzlich diese
magische, fast unwirkliche Stimmung und öffnet den Blick auf
die dahinter stehenden Berge. Es fällt mir auf, dass die dunkelgrüne
Waldfläche, die sich dicht die Berge hochzieht, nach oben durch
einen Streifen weißgrauer, toter Bäume abgegrenzt wird,
als ob ein großer Brand dort gewütet hätte. |
Außer dem leisen Wind ist nur das Plätschern des Wassers
zu hören, dort wo der See über einen geringen Höhenunterschied
in den Fluss einmündet. Ich könnte stundenlang so am Ufergras
sitzen, den Himmel, das Wasser und diese Weite wie ein Allheilmittel
in mir aufzunehmen, wenn, ja wenn nicht etwas in meinem Kopf mir zuflüstern
würde, ich bräuchte unbedingt das Stativ, das ich im Auto
gelassen habe. |
Und weil ich nicht die geringste Lust verspüre, die ganze Strecke
wieder zu Fuß zu laufen, komme ich auf die glorreiche Idee,
mir am Campingplatz ein Mountainbike auszuleihen. Was sich zuerst
wie eine tolle Idee anhört, erweist sich in der Praxis als weniger
nützlich. Zum einen stellt sich heraus, dass das größte
Fahrrad, das zur Verfügung steht, immer noch viel zu klein für
mich (1,90) ist, zum anderen handelt es sich um ein eher rustikales
Gefährt mit ganzen drei (!) Gängen, von denen der erste merkwürdige
krachende Geräusche verursacht. Zur Tücke des Objekts kommt
noch die Tatsache hinzu, dass ein Fahrrad, im Gegensatz zu einem Auto,
keine nennenswerten Stoßdämpfer hat. So komme ich zwanzig
Minuten später beim Auto in einem Zustand an, als wäre ich
zehn Stunden lang auf einem Kamel geritten, alle Muskeln völlig
verkrampft und die Wirbelsäule um etliche Zentimeter kürzer.
Verwunderlich ist auch, dass ich bei beiden Richtungen, also sowohl
zum Auto hin als auch zurück, den Eindruck gehabt habe, ausschließlich
bergauf zu fahren. |
Das Stativ geholt zu haben, war allerdings völlig umsonst. Weil
die Wolken dichter und dunkler geworden sind, ist das Licht inzwischen
trüb und unfotogen. Es lohnt sich nicht mehr, die Stellen zu
fotografieren, die mir vorhin noch so zauberhaft erschienen.
Aber jetzt lasse ich es mir nicht nehmen: am Seeufer des Lago Mascardi (flussabwärts des Rio Manso) auf einem kleinen Bootssteg
liegend den Himmel und die Berge anschauen und vollends in die Natur
eintauchen. |
|
Es dauert nicht lange, da wird der Wind
kühler, und bald sind auch die ersten Tropfen zu spüren.
Ich lasse mich aber nicht abschrecken und wandere, soweit das Seeufer
zugänglich ist, an diesem entlang. Zunächst komme ich an
dem großen Zeltplatz vorbei, der jetzt in der Nachsaison völlig
verwaist ist. Alle fünfzig Meter ist eine Feuerstelle mit Holzkohleresten
zu sehen, was eine Ahnung davon vermittelt, wie es hier im Sommer
zugehen muss. Als ich weiter dem Ufer entlang marschiere, wird das
Gelände wilder, exotischer. Der Wald, der teilweise aus riesigen,
knorrigen Coibas besteht, reicht bis ganz nahe an den See. |
Ich habe inzwischen Gesellschaft bekommen. Ein Schäferhund und
zwei weitere, nicht genau zu definierende Hunde haben sich zu mir
gesellt und weichen nicht von meiner Seite. Wenn ich stehen bleibe,
bleiben sie stehen, wenn ich weiter marschiere, trotten sie mir hinterher.
Während sich aber die zwei Promenademischungen wenigstens ab
und zu entfernen und eine kleine Markierungsrunde im Wald drehen,
folgt mir der Schäferhund auf Schritt und Tritt und schaut mich
dabei unablässig mit traurigen Augen an. Seine Ohren und sein
Hals sind voller Kletten.
Die Zeit vergeht auf diese Weise sehr schnell. Die letzte Stunde verbringe
ich - es regnet jetzt etwas stärker - in der Cafeteria. |
Die Rettung |
Punkt 19 Uhr 30 ist der Abschleppwagen da. Der Fahrer ist ein raubeiniger,
ernst dreinschauender, laut sprechender, dunkler Typ, mit dem die
Verständigung mehr durch Gesten als durch Sprache stattfindet.
Beim Auto angekommen hievt er ruckzuck mein Gefährt mittels
einer Seilwinde auf die Ladefläche - welch schrecklicher Gedanke,
wenn das Auto mittels Abschleppseil abgeschleppt würde - und
schon sind wir auf dem Rückweg. Aber mit welchem Tempo brettert
der Laster über die Piste! Was der VW bisher nicht abbekommen
hat, das wird ihm jetzt zugemutet. Wir rasen wörtlich über
Stock und Stein, überholen einzelne Autos, die sich im Gegensatz
zu uns an die Höchstgeschwindigkeit halten, schrecken Hasen
und Drosseln auf und machen aus unseren Innereien einen Milkshake.
Aber auf diese Weise schaffen wir es, bereits kurz nach Dunkelheitseinbruch
in Bariloche zu sein. |
Spanisch-Unterricht, lection
seis |
Wie kann ich nun dem Mann
vermitteln, dass er mich zu einer offenen Werkstatt bringen soll?
Wie sagt man überhaupt Autowerkstatt? Ich stricke mir ad hoc
einen fantasievoll aus dem Italienischen übersetzten Satz, in
dem das Wort mechanico mehrmals vorkommt, das Wort abjerto (offen) und einiges mehr. Aber, son las ocho y media (es ist
bereits halb neun), sagt er - jetzt ist alles bereits geschlossen.
Aber mañana en la manana, da muss wohl etwas zu machen
sein, meine ich. Endlich kommt der erlösende Satz: "Llevamos
el coche en my taller". Taller, fällt mir wieder
ein, ist das spanische Wort für Werkstatt - er führt also
selber eine. Wir einigen uns darauf, das Auto über Nacht in seiner
20-Quadratmeter-Werkstatt abzustellen, und dass er es morgen repariert.
Er bestätigt mir, dass es sich um den alternador handelt,
bzw. dessen Kugellager. Keine große Affäre, meint er. |
|
|
|
|