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Spanisch-Unterricht, lection dos |
"Una cerveza por favor
y un sandwich con jamon, queso, lechuga y tomate" - eine
leichte Übung. Ein Bier und ein Sandwich mit Schinken, Käse,
Salat und Tomaten kann ich noch problemlos bestellen. Aber als ich
nach der gewünschten Brotart gefragt werde, wird's schon schwieriger. Pan frances oder negro ist noch leicht zu übersetzen.
Auch figaza araba kann ich noch ableiten: Es muss wohl ein
Fladenbrot sein oder etwas, was an die italienische focaccia erinnert. Aber miga? Ich kann nur vermuten, aus dem Italienischen
herleitend, dass es sich um Weißbrotscheiben ohne Rinde handle.
Bei pebete muss ich kapitulieren. Im Taschenwörterbuch
kann ich diesen Begriff nicht finden.
Die Härteprüfung war allerdings die Taxifahrt. Musste ich
doch dem Fahrer unbedingt erklären, woher ich komme (FC Bayern
München war dann der Schlüssel, der mich einzuordnen half),
ob ich den argentinischen Fußballer De Michelli kenne, wie das
Wetter in Deutschland sei, wo ich hinfahren möchte, und ob es
mir in Buenos Aires gefalle. Als ich erwähnte, dass ich nach Bariloche wollte, konterte er prompt, dass dort die Ehefrau
des vermeintlichen Naziverbrechers Priebke (der inzwischen in Italien
im Gefängnis sitzt) lebe. |
Im Viertel Palermo Vieja |
Es hat sich eingetrübt.
Ein kurzer Regenguss hat mich in dieses kleine Café verschlagen.
Durch das offene Fenster kann ich direkt auf ein junges Paar blicken,
das draußen sitzt. Mit gelangweiltem Blick quetschen sie Mayonnaise
aus der Tube auf ihren Gemüsekuchen. Als Kulisse dienen das Treiben
eines kleinen Flohmarkts, junge Leute, flanierende Touristen.
Als später der Himmel noch grauer und düsterer geworden
ist, breche ich die Zelte ab. Auf dem Weg zur zehn quadras (Häuserblocks) entfernten Plaza Italia frischt der Wind
noch mehr auf, und bald spüre ich schon die ersten Regentropfen.
Vom Charme dieses im Reiseführer in hohen Tönen gelobten
Viertels bekomme ich deshalb recht wenig zu spüren: Kein Zauberlicht,
dass den abbröckelnden Putz von pastellgetünchten Wänden
zum Glühen bringt, keine feuerroten Blüten uralter Bäume
in verzauberten Gärten, kein prickelndes Straßenleben. |
Einzelne barocke Fassaden mit schmiedeeisernen Balkonen und Stuckdekoration
lassen zwar ahnen, wie es einmal gewesen sein könnte, aber die
bis zu zehn Stockwerke hohen, moderneren Gebäude dazwischen bestimmen
letztlich den Charakter des Ganzen. Als ich bei den weitläufigen
Parks in der Nähe der Plaza Italia ankomme, ist der Regen dichter
geworden, meine Begeisterung kleiner, und ich beeile mich, zu meiner
nächsten Spanisch-Unterrichtstunde zu kommen, in anderen Worten,
ein Taxi zu finden. |
Spanisch-Unterricht, lection tres |
Situationsbedingt ist
diesmal das Wetter das Gesprächsthema. Unter anderem äußert
der Fahrer Verwunderung darüber, dass diese Stadt, dessen Name
ja wörtlich "Gute Lüfte" bedeutet, in Wahrheit
heiß, feucht und sehr häufig in einem Dauertief gefangen
ist. |
Rückblick |
Alles in allem war es ein gemächlicher
Tag. Da ich wegen meiner Rückenschmerzen kaum laufen konnte,
leistete ich mir ein paar Mal ein Taxi (was kaum mehr als eine Fahrt
mit der Münchner U-Bahn kostet), verweilte mehrmals in Cafés
und verbrachte müßige Stunden beim Schreiben, Nachdenken
und Leute Beobachten.
Dass ich bei dieser allerersten Begegnung mit Buenos Aires besonders
enthusiastisch gewesen sei, kann ich nicht behaupten: zuviel architektonisches
Durcheinander, zu viele Hochhäuser, zuviel Ähnlichkeit mit
dem großen nordamerikanischen "Vetter". Und die von
den Reiseführern aufgeführten Viertel mit "südamerikanischem"
Flair sind mir noch verborgen geblieben.
Im Gegensatz dazu waren es die Menschen, die mich mit ihrer zurückhaltenden,
edlen Höflichkeit überrascht haben. Im Hotel, auf der Straße,
in den Cafes und in allen Restaurants, in denen ich gegessen habe,
immer war man mir gegenüber äußerst zuvorkommend. |
7. März |
Ein Sonntagnachmittag in San
Telmo |
Im Antiquitäten-Viertel San Telmo reicht der Platz für den sonntäglichen
Antikmarkt schon lange nicht mehr aus. Rund um die Plaza Dorrego gibt
es Aberdutzende von Läden. Stundenlang könnte man hier herumwühlen.
Das Viertel wird von der "Vereinigung der Antiquitätenhändler
und Freunde von San Telmo" als der größte Kunst- und
Antiquitätenmarkt Südamerikas bezeichnet.
Der Platz und die meisten Seitenstraßen verwandeln sich am Sonntag
in einen einzigen Verkaufsstand. Hinzu kommen Gaukler, Straßenmusikanten
und Tangotänzer, die unter freiem Himmel auftreten und um die
Aufmerksamkeit der Passanten konkurrieren. |
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Leonardo und Uliana sind bereits ein
Schauspiel, bevor sie auch nur einen einzigen Tango-Schritt vorgeführt
haben. Dem Mann kann man, mit ein wenig Beobachtungsgabe, die indianische
Abstammung vom Gesicht ablesen: Er hat kohlrabenschwarze, straff nach
hinten gezogene und zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene Haare
und kräftige, etwas angeschrägte Augenbrauen, die ihm einen
etwas traurigen Blick verleihen. Im krassen Gegensatz dazu hat seine
Partnerin überhaupt nichts von einer latina, sie ist ein blonder,
sehr mädchenhafter, stets lächelnder Typ, das Gegenteil
von "getanzter Traurigkeit", wie Tango einmal definiert
wurde. Sie strahlt eine derartige Lebensfreude aus, dass es Herz erfrischend
ist. Sie ist, so erfahre ich, Ukrainerin und lebt erst seit wenigen
Jahren in Buenos Aires.
Dann tanzen sie. Leichtfüßig, gekonnt, voller Anmut und
Sinnlichkeit, während der durchdringende Ton des Bandoneons aus dem Lautsprecher ertönt und die ganze plaza mit Gefühlen
auffüllt. Leonardo mit ernster Miene, voller Konzentration, Uliana
mit einem ewigen Lächeln auf den Lippen. Sie schaut zu ihm hoch
wie eine Verliebte. |
Zu sehen, wie die beiden Oberkörper in intimster Nähe bleiben,
während gleichzeitig die Beine, wie vom Rest der Körpers
losgelöst, ihr glanzvolles Können demonstrieren, lässt
Begeisterung und Bewunderung in mir aufkommen - und einen Anflug erotischer
Sehnsüchte.
Unter ihrem roten, den Körper betonenden Tangokleid trägt
Uliana ihren jugendlich strammen Busen auf eine zugleich naive als
auch provozierende Art weit nach vorne gestreckt, als täte sie
es mit voller Absicht, wie der Läufer an der Ziellinie, der noch
ein paar Millimeter dazugewinnen will.
Von Seiten des Publikums herrscht gespannte Aufmerksamkeit.
Obwohl (oder gerade weil) ich mit großer Anspannung fotografiere,
entgehen mir weder das meisterhafte Können der Beiden noch die
Vielgestaltigkeit ihrer Tanzschritte. Ich kann mich kaum daran satt
sehen. |
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Es sind Folgen kurzer und schneller
Schritte, leichte Drehbewegungen, bei denen die Frau sanft hin- und
hergedreht wird, gestoppte Vor- und Seitschritte, Gewichtsverlagerungen,
balancierende, wiegende Bewegungen, abruptes Abbrechen einer gemeinsamen
Bewegung, plötzliches Anhalten oder sogenannte "Liebkosungen",
bei denen des Tänzers Bein oder Fuß das Bein der Partnerin
berührt - oder fast berührt. Und nie lösen sich die
Körper aus der Umarmung. |
Als sie schließlich in die Endpose gehen, mit dem der Tango
abgeschlossen wird, ist der Applaus gewaltig. So sehr gehen die Musik
und der Tanz den Zuschauern unter die Haut. Leonardo und Uliana haben, jeder auf seine Weise, etwas sehr Kommunikatives.
Zwischen den Tanzauftritten gibt es einen ständigen, wenn auch
etwas einstudiert wirkenden Dialog mit dem Publikum, der über
die Erlauterungen der unterschiedlichen Rhythmen (Milonga, Tango,
etc.) weit hinausgeht. Spätestens nach der dritten Runde, die
Uliana und Leonardo mit dem Hut nach Spenden herumgehen, haben sie
mich, den Zuschauer aus "Austria", der jedes Mal aus einem
andern angulo (Winkel) fotografiert, bereits als Dauergast
identifiziert.
Schließlich muss ich Ihre direccion (Adresse) aufschreiben
und den Versand von Fotos versprechen. |
Ich könnte stundenlang dieser leidenschaftlichen,
gefühlsgeladenen Musik zuhören und ebenso lange und mit
der Hingebung eines Hypnotisierten die sehnsüchtig-schmachtende
Tanzschritte, die alles durchdringenden Blicke und die kontrollierten
erotischen Verschlingungen und Gesten der Tänzer verfolgen. |
Für die Einheimischen sind diese Musik und dieser Tanz Ausdruck
eines ganz eigenen Lebensgefühls, aber für mich? Ich bin
nicht gerade ein vorzüglicher Tänzer und ebenso wenig habe
eine irgendwie geartete "Beziehung" zu diesem Tanz. Ich
könnte seinen Rhythmus nicht einmal von dem einer Milonga unterscheiden
und weiß gerade noch, wie man Piazzolla, den Namen des großen
Akkordeonspielers, schreibt. Immerhin ist die Ziehharmonika (welche
in Argentinien nach dem Krefelder Musiklehrer und Musikhändler
Heinrich Band Bandoneon genannt wird) mein Lieblingsinstrument,
sodass ich automatisch ins Schwärmen komme, wenn ich den Tönen
dieses Instruments lausche. Ich schmelze vor mich hin, wenn ich die
Filmmusik mancher Filme, die in Paris spielen, höre, oder stehe
wie in Trance vor einem begnadeten Straßenmusikanten, der auf
dem Instrument eine Fuge von Bach spielt. |
Im "Barrio" La Boca |
Die Spätnachmittagssonne,
die ab und zu durchscheint, lässt das pittoreske Hafenviertel
in tausend Farben funkeln: die urwüchsigen, bunten Häuser
und die schiefen Gehsteige, die von Gras überwucherten Schienen,
die rostigen Laternen und sogar die dämmrigen Hinterhöfe.
La Boca, die "Mündung", ist eine improvisierte Stadt.
Hier kamen ab 1870 Auswanderer aus ganz Europa an. Aus Genua kamen
sie, aus Neapel und Hamburg.
An der Mündung des Flüsschen Riachuelo in den Rio
de la Plata endete ihre monatelange Überfahrt nach Argentinien,
ins ersehnte Land.
Zusammengeflickt aus allem, was sich in Reichweite fand, bauten sie
ihre Häuser. Aus Mangel an anderen Baustoffen entstanden sie
aus Wellblech und Holz statt aus Mauerwerk. Das Rostbraun wurde übertüncht
mit unkonventionellen, bunten Farben, Lackresten von den Docks.
Um kleine, enge Höfe scharen sich auch heute noch diese conventillos
genannten Häuser und in der Luft liegt immer noch ein Hauch der
alten Immigrantenatmosphäre. Der Tango, musikgewordene Nostalgie,
wurde in La Bocas rauchigen Kneipen geboren. Heute stellen
Künstler ihre Bilder aus. Jongleure lassen die Bälle tanzen.
Kameras klicken. Ein paar Melodiefetzen dringen aus einer Kneipe:
die malerischen Ingredienzien eines Bohemienviertels sind alle da!
Was muss man erleben? El Caminito, ein Gässchen, dessen
Häuser nach der Idee des Künstlers Quinquela Martín bunt bemalt wurden; Die Vuelta de Rocha, eine Promenade entlang
des Riachuelos. Vor allem genieße ich aber die Atmosphäre
dieses Viertels. Anfangs spaziere ich wiederholte Male im barrio auf
und ab, später ziehe ich es vor, in einer Bar einen kleinen Imbiss
zu mir zu nehmen und von meinem Stuhl im Freien einer kleinen Tango-Vorstellung
zuzusehen. |
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