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19. März |
Zum Perito-Moreno-Gletscher |
Unser heutiges Ziel ist der
auf der Welt einmalige Perito-Moreno-Gletscher. Dieser Gletscher
mit einer Länge von 22 km steht an vordersten Stelle bei den
heute am Meisten vorrückenden Gletschern. Die Gletscherzunge
reicht weit in die Breitseite eines Seearms hinein. Alle paar Jahre
schieben sich die Eismassen so weit bis zur gegenüberliegenden
Halbinsel vor, bis sie den südlichen Seearm völlig abschließen.
Dadurch wird dieser aufgestaut. Diese zeitweilige Staumauer aus Eis
bewirkt einen Pegelunterschied zwischen den beiden Seiten der Mauer
von bis zu 30 m. Durch den Höhenunterschied des Wassers wird
ein starker Druck erzeugt, der allmählich das Eis der Absperrung
aushöhlt, und es bildet sich ein Tunnel, der sich durch den Druck
des dann beginnenden Wasserausgleichs schnell vergrößert,
bis die Eisbrücke mit großem Getöse einstürzt.
Durch den entstandenen Kanal ergießt sich ein reißender
Strom bis der Niveauausgleich erfolgt ist. |
Wir fahren nach Westen, ca. 40 km über hügeliges Steppenland.
Hartgräser, niedrige Dornbüsche, vor allem aber Calafate-Büsche.
Ein Botaniker würde jetzt sagen: „Aha, Berberis buxifola,
aus der Familie der Berberideen, aus der Ordnung der Policarpen, aus
der Gruppe der Dikotyledonen, Abteilung der Choripetalen“, kurz
– eine Berberitzenart. Wer von den Früchten dieses Busches isst,
so wird behauptet, kommt irgendwann wieder nach Patagonien zurück. |
Bald erreichen wir – inzwischen auf einer Erdstraße fahrend
– das Einfahrtstor zum Nationalpark Los Glaciares. Etwas seitab
steht auf einer kleinen Plattform oberhalb des brazo rico des
Sees (der Seitenarm des Sees, in dem sich das Wasser aufstaut) der
Günther-Plüschow-Gedenkstein. Plüschow war der kühne
Flieger, der als Erster diese Bergwelt mit dem Flugzeug erkundete
und unweit von hier in den Lago Argentino abstürzte. Von
dieser Stelle aus kann man gut die Linie des höchsten Wasserstands
beobachten. |
Nach etwa einer weiteren halben Stunde Fahrt auf steiniger, kurviger,
leicht ansteigender Straße
– Cati, unsere „Rangerin“
fährt den VW-Golf mit einem Tempo und einer Sicherheit, als führe
sie einen Geländewagen – erreichen wir die erste Stelle mit Aussicht
auf: Dutzende von Touristen, die kurz vor uns aus zwei Bussen ausgeschwärmt
sind. Nein, ich meine natürlich die Aussicht auf den Gletscher,
der bis zum See hinuntereicht und in diesem mit einer enormen Eismauer
endet! Obwohl wir noch einige Kilometer von ihm entfernt sind, ist
es bereits eine atemberaubende Aussicht. |
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Eine Viertelstunde später stehen wir schon auf der obersten Aussichtsplattform.
Vor unseren Augen, keine 100 Meter Luftlinie von uns entfernt, die
mächtige Eisfront. Von oben hat man eine umfassende Sicht des
gesamten Gletschers, der sich optisch schmäler werdend nach oben
zieht. Im Hintergrund das Eisplateau und die aus diesem aufragenden
Bergspitzen. Wir haben das Glück, ein sehr stimmungsvolles Wetter
erwischt zu haben. Vereinzelte Wolken ziehen über die Sonne und
ergeben ein stets wechselndes Muster von lang gezogenen blauen Schatten.
Die Oberfläche des Eises ist wild zerklüftet und sieht aus
wie ein auf einen Schlag eingefrorenes stürmisches Meer mit Rissen
und Spalten zwischen spitzen, runden oder flachen „Wellen".
Die etwa 60 Meter hohe Vorderfront des Eises erinnert hingegen an
eine uneinnehmbare Trutzburg mit Türmen und Türmchen, Spitzen
und Schießscharten. Weiß und in Schattierungen von Blau
glitzert sie majestätisch in der Sonne. |
Tante Helga erzählt, dass es 1974, als sie zum ersten Mal hier
war, noch keinerlei Aussichtsplattformen und Absperrungen gab und
man auf steilen Pfaden bis auf ein paar Meter oberhalb des Wasserstands
marschieren konnte. Aber bereits bei ihrem zweiten Besuch 1985 war
die Touristen-Umzäunung schon komplett. Jetzt gibt es viele,
auf mehreren Ebenen sich befindenden miradores (Aussichtsstellen)
und vieeele No-pasar-Schilder. |
Im gleichen Zusammenhang erzählt sie von ihren Besuchen auf der
Halbinsel Valdes. Auch hier konnte man noch vor wenigen Jahren
frei auf den Stränden und mitten in den Tierkolonien herumspazieren.
Es sieht so aus, als käme ich überall zu spät. |
Mehrmals hört man ein lautes Krachen, dass sich rasch in ein
Donnern verwandelt, als sich ein mehr oder weniger großer Eisbrocken
von der Kante loslöst und hinabstürzt. Dort zerschellt er
in kleinere Eisberge oder Eisschollen und bildet Wellen, die sich
habkreisartig und konzentrisch von der Wand wegbewegen. Ich bekomme
bei den größeren dieser Abgänge bereits eine Ahnung
davon, was es für ein beeidrückendes Schauspiel gewesen
sein muss, als vor wenigen Tagen der große Durchbruch stattgefunden
hat. |
Ich habe mich, auf der Suche nach dem besten Aussichtswinkel, selbstständig
gemacht, und als ich zum Parkplatz zurück komme, bin ich zuerst
ein wenig verwirrt. Die beiden Damen sind nicht da. Ich warte eine
ganze Weile neben dem Auto, bis ich merke, dass es nur das exakt gleiche
Modell wie unseres ist, sogar mit dem Abzeichen des selben Vermieters.
So mache ich mich zu Fuß au den Weg zur etwa einen Kilometer
entfernten Bucht, wo ich meine Begleiterinnen in der konfiteria vermute, gemütlich Kaffee und Kuchen genießend, was sich
dann auch prompt bestätigt. |
Von der Bucht geht auch die Bootsfahrt auf den See aus, an der wir
teilnehmen. Die „Festung“ von unten zu erleben, ist genau
so ein Erlebnis wie die Aussicht von oben. Man meint, eine Burg aus
blau schimmernden Kristall aus irgend einem Märchen vor sich
zu haben. Und als wieder einmal ein großer Brocken krachend
abgeht und seine Wellen das Schiffchen zum Schaukeln bringen, könnte
man sich vorstellen, es sei der Riese Polyphem, der Felsbrocken auf
Odysseus Schiff schleudert. |
20. März |
Ruta 40 |
Die legendäre Ruta
Quarenta, auch Argentiniens „Alaska Highway“ genannt,
ist eine schier endlose, nur teilweise asphaltierte Straße.
Sie führt über mehr als 4.600 km vom nördlichsten Zipfel
Argentiniens bis hinunter ins südliche Patagonien. Sie verläuft
parallel zur Andenkette und östlich davon durch die Steppe, windet
sich durch Hochebenen und Täler und passiert 47 Städte,
Orte und Touristenzentren. Manchmal sind die Berge sehr nah, manchmal
weit weg am Horizont. |
Was Argentinien, und im besonderen Maße Patagonien ausmacht,
sind nicht so sehr die einzelnen Sehenswürdigkeiten, vielmehr
ist es die unendliche Weite dazwischen. Die Ruta 40, der wir
auf einer Schnuppertour ein wenig in Richtung Norden folgen, vermittelt
mir ein wenig von dieser Unendlichkeit. Eine schnurgerade Schotterpiste,
anfangs noch von einzelnen Tafelbergen flankiert, aber meistens rechts
und links nichts als flache Steppe, Wermut-Sträucher, Calafate-Sträucher,
Gamsbart-Grasbüschel. Kein Mensch, kein Auto ist über weite
Strecken zu sehen. Die einzigen Zeichen der „Zivilisation“
sind die endlosen Zäune, die an keinem Ort beginnen und nirgendwo
ein Ende nehmen. Wieder ist Cati, die bereits vor Jahren die Ruta in ihrer gesamten Länge gefahren ist, unsere „Rangerin".
Es ist ein Fahren ohne Ziel. Zwischendurch machen wir bei einem kleinen
Hotel mitten im Nichts einen Halt, um einen Kaffee zu trinken. |
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Weiter als bis zum Lago Viedma, einem der vielen türkisfarbenen
Gletscherseen des Nationalparks Los Glaciares, kommen wir nicht.
Aber der hat es an sich: Wie bereits beim Lago Argentino schimmert
die spiegelglatte Wasseroberfläche in einem fantastischen Türkis;
dazu kommt aus der Ferne des entgegengelegenen Ufers der großartige
Anblick des Gebirgsmassivs des Fitz Roy, mit der imposanten
Na-delspitze des Monte Cerro Torre. Und das Schönste dabei:
Die Bergspitzen sind fast frei. |
Als wir zum ersten Mal das Bergmassiv erblicken, wird Cati von einer
starken Gemütsbewegung ergrif-fen. Denn dieser Berg wurde 1948
von ihrem Vater und vier anderen österreichischen Bergsteigern
zum ersten Mal bestiegen. Hätten sie nicht etwa 100 Meter unterm
Gipfel, weil einer von ihnen schneeblind geworden war, den Aufstieg
abbrechen müssen, stünden sie heute als Erstbezwinger des Fitz Roys in den Geschichtsbüchern. |
Wenn ich erwähne, dass mich der starke Wind am Seeufer fast am
Fotografieren hindert, und dass ein Kondor einsam über uns seine
Kreise zieht, dann kann das, wenigstens in Ansätzen, die stimulierende
Situation veranschaulichen, die meine Sinne belebt und meinen Geist
erfreut. |
Auf der Fahrt zurück treffen wir sogar auf eine Gruppe Guanakos.
Meist fliehen sie allerdings, wenn ich versuche, mich ihnen zu nähern.
Sie wenden kurze Zeit den Kopf, um den Eindringling zu beobachten,
und machen sich dann aus dem Staub. |
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