Argentinien 2004
Reisebericht Argentinien - Patagonien    
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ARGENTINIEN 2004
Buenos Aires
Tango in San Telmo
Puerto Madryn
Pinguine in Punta Tombo
Halbinsel Valdes
Ushuaia
Zur Seelöweninsel
Nationalpark Feuerland I
Estancia Harberton
Garibaldi-Pass
Zug am Ende der Welt
Nationalpark Feuerland II
Beagle-Kanal Titanic
El Calafate
Perito-Moreno-Gletscher
Ruta 40
Nach Bariloche
Auf den Cerro Otto
Nahuel-Huapi-See
Nationalpark Lanin
Das verzaubert Tal
Lago Mascardi
Abschied von Bariloche
Buenos Aires
Im Paranà-Delta
 
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Die letzten Paradiese
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  Buenos Aires    
 
19. März
Zum Perito-Moreno-Gletscher
Unser heutiges Ziel ist der auf der Welt einmalige Perito-Moreno-Gletscher. Dieser Gletscher mit einer Länge von 22 km steht an vordersten Stelle bei den heute am Meisten vorrückenden Glet­schern. Die Gletscherzunge reicht weit in die Breitseite eines Seearms hinein. Alle paar Jahre schieben sich die Eismassen so weit bis zur gegenüberliegenden Halbinsel vor, bis sie den süd­lichen Seearm völlig abschließen. Dadurch wird dieser aufgestaut. Diese zeitweilige Staumauer aus Eis bewirkt einen Pegelunterschied zwischen den beiden Seiten der Mauer von bis zu 30 m. Durch den Höhenunterschied des Wassers wird ein starker Druck erzeugt, der allmählich das Eis der Ab­sperrung aushöhlt, und es bildet sich ein Tunnel, der sich durch den Druck des dann beginnenden Wasseraus­gleichs schnell vergrößert, bis die Eisbrücke mit großem Getöse einstürzt. Durch den entstandenen Kanal ergießt sich ein reißender Strom bis der Niveauausgleich erfolgt ist.
Wir fahren nach Westen, ca. 40 km über hügeliges Steppenland. Hartgräser, niedrige Dornbüsche, vor allem aber Calafate-Büsche. Ein Botaniker würde jetzt sagen: „Aha, Berberis buxifola, aus der Familie der Berberideen, aus der Ordnung der Policarpen, aus der Gruppe der Dikotyledonen, Ab­teilung der Choripetalen“, kurz – eine Berberitzenart. Wer von den Früchten dieses Busches isst, so wird behauptet, kommt irgendwann wieder nach Patagonien zurück.
Bald erreichen wir – inzwischen auf einer Erdstraße fahrend – das Einfahrtstor zum Nationalpark Los Glaciares. Etwas seitab steht auf einer kleinen Plattform oberhalb des brazo rico des Sees (der Sei­tenarm des Sees, in dem sich das Wasser aufstaut) der Günther-Plüschow-Gedenkstein. Plüschow war der kühne Flieger, der als Erster diese Bergwelt mit dem Flugzeug erkundete und unweit von hier in den Lago Argentino abstürzte. Von dieser Stelle aus kann man gut die Linie des höchsten Wasserstands beobachten.
Nach etwa einer weiteren halben Stunde Fahrt auf steiniger, kurviger, leicht ansteigender Straße
– Cati, unsere „Rangerin“ fährt den VW-Golf mit einem Tempo und einer Sicherheit, als führe sie einen Geländewagen – erreichen wir die erste Stelle mit Aussicht auf: Dutzende von Touristen, die kurz vor uns aus zwei Bussen ausgeschwärmt sind. Nein, ich meine natürlich die Aussicht auf den Gletscher, der bis zum See hinuntereicht und in diesem mit einer enormen Eismauer endet! Obwohl wir noch einige Kilometer von ihm entfernt sind, ist es bereits eine atemberaubende Aussicht.
Eine Viertelstunde später stehen wir schon auf der obersten Aussichtsplattform. Vor unseren Au­gen, keine 100 Meter Luftlinie von uns entfernt, die mächtige Eisfront. Von oben hat man eine um­fas­sen­de Sicht des gesamten Gletschers, der sich optisch schmäler werdend nach oben zieht. Im Hintergrund das Eisplateau und die aus diesem aufragenden Bergspitzen. Wir haben das Glück, ein sehr stimmungsvolles Wetter erwischt zu haben. Vereinzelte Wolken ziehen über die Sonne und ergeben ein stets wechselndes Muster von lang gezogenen blauen Schatten. Die Oberfläche des Eises ist wild zerklüftet und sieht aus wie ein auf einen Schlag eingefrorenes stürmisches Meer mit Rissen und Spalten zwischen spitzen, runden oder flachen „Wellen". Die etwa 60 Meter hohe Vor­der­front des Eises erinnert hingegen an eine uneinnehmbare Trutzburg mit Türmen und Türmchen, Spitzen und Schießscharten. Weiß und in Schattierungen von Blau glitzert sie majestätisch in der Sonne.
Tante Helga erzählt, dass es 1974, als sie zum ersten Mal hier war, noch keinerlei Aussichts­platt­formen und Absperrungen gab und man auf steilen Pfaden bis auf ein paar Meter oberhalb des Wasserstands marschieren konnte. Aber bereits bei ihrem zweiten Besuch 1985 war die Touristen-Umzäunung schon komplett. Jetzt gibt es viele, auf mehreren Ebenen sich befindenden miradores (Aussichtsstellen) und vieeele No-pasar-Schilder.
Im gleichen Zusammenhang erzählt sie von ihren Besuchen auf der Halbinsel Valdes. Auch hier konnte man noch vor wenigen Jahren frei auf den Stränden und mitten in den Tierkolonien he­rum­spazieren. Es sieht so aus, als käme ich überall zu spät.
Mehrmals hört man ein lautes Krachen, dass sich rasch in ein Donnern verwandelt, als sich ein mehr oder weniger großer Eisbrocken von der Kante loslöst und hinabstürzt. Dort zerschellt er in kleinere Eisberge oder Eisschollen und bildet Wellen, die sich habkreisartig und konzentrisch von der Wand wegbewegen. Ich bekomme bei den größeren dieser Abgänge bereits eine Ahnung davon, was es für ein beeidrückendes Schauspiel gewesen sein muss, als vor wenigen Tagen der große Durchbruch stattgefunden hat.
Ich habe mich, auf der Suche nach dem besten Aussichtswinkel, selbstständig gemacht, und als ich zum Parkplatz zurück komme, bin ich zuerst ein wenig verwirrt. Die beiden Damen sind nicht da. Ich warte eine ganze Weile neben dem Auto, bis ich merke, dass es nur das exakt gleiche Modell wie unseres ist, sogar mit dem Abzeichen des selben Vermieters. So mache ich mich zu Fuß au den Weg zur etwa einen Kilometer entfernten Bucht, wo ich meine Begleiterinnen in der konfiteria ver­mute, gemütlich Kaffee und Kuchen genießend, was sich dann auch prompt bestätigt.
Von der Bucht geht auch die Bootsfahrt auf den See aus, an der wir teilnehmen. Die „Festung“ von unten zu erleben, ist genau so ein Erlebnis wie die Aussicht von oben. Man meint, eine Burg aus blau schimmernden Kristall aus irgend einem Märchen vor sich zu haben. Und als wieder einmal ein großer Brocken krachend abgeht und seine Wellen das Schiffchen zum Schaukeln bringen, könnte man sich vorstellen, es sei der Riese Polyphem, der Felsbrocken auf Odysseus Schiff schleudert.
20. März
Ruta 40
Die legendäre Ruta Quarenta, auch Argentiniens „Alaska Highway“ genannt, ist eine schier end­lo­se, nur teilweise asphaltierte Straße. Sie führt über mehr als 4.600 km vom nördlichsten Zipfel Argen­tiniens bis hinunter ins südliche Patagonien. Sie verläuft parallel zur Andenkette und östlich davon durch die Steppe, windet sich durch Hochebenen und Täler und passiert 47 Städte, Orte und Tou­ris­tenzentren. Manchmal sind die Berge sehr nah, manchmal weit weg am Horizont.
Was Argentinien, und im besonderen Maße Patagonien ausmacht, sind nicht so sehr die einzelnen Sehenswürdigkeiten, vielmehr ist es die unendliche Weite dazwischen. Die Ruta 40, der wir auf einer Schnuppertour ein wenig in Richtung Norden folgen, vermittelt mir ein wenig von dieser Unendlichkeit. Eine schnurgerade Schotterpiste, anfangs noch von einzelnen Tafelbergen flankiert, aber meistens rechts und links nichts als flache Steppe, Wermut-Sträucher, Calafate-Sträucher, Gamsbart-Grasbüschel. Kein Mensch, kein Auto ist über weite Strecken zu sehen. Die einzigen Zeichen der „Zivilisation“ sind die endlosen Zäune, die an keinem Ort beginnen und nirgendwo ein Ende nehmen. Wieder ist Cati, die bereits vor Jahren die Ruta in ihrer gesamten Länge gefahren ist, unsere „Rangerin". Es ist ein Fahren ohne Ziel. Zwischendurch machen wir bei einem kleinen Hotel mitten im Nichts einen Halt, um einen Kaffee zu trinken.
Weiter als bis zum Lago Viedma, einem der vielen türkisfarbenen Gletscherseen des Nationalparks Los Glaciares, kommen wir nicht. Aber der hat es an sich: Wie bereits beim Lago Argentino schim­mert die spiegelglatte Wasseroberfläche in einem fantastischen Türkis; dazu kommt aus der Ferne des entgegengelegenen Ufers der großartige Anblick des Gebirgsmassivs des Fitz Roy, mit der im­posanten Na-delspitze des Monte Cerro Torre. Und das Schönste dabei: Die Bergspitzen sind fast frei.
Als wir zum ersten Mal das Bergmassiv erblicken, wird Cati von einer starken Gemütsbewegung ergrif-fen. Denn dieser Berg wurde 1948 von ihrem Vater und vier anderen österreichischen Berg­steigern zum ersten Mal bestiegen. Hätten sie nicht etwa 100 Meter unterm Gipfel, weil einer von ihnen schneeblind geworden war, den Aufstieg abbrechen müssen, stünden sie heute als Erst­be­zwinger des Fitz Roys in den Geschichtsbüchern.
Wenn ich erwähne, dass mich der starke Wind am Seeufer fast am Fotografieren hindert, und dass ein Kondor einsam über uns seine Kreise zieht, dann kann das, wenigstens in Ansätzen, die sti­mu­lierende Situation veranschaulichen, die meine Sinne belebt und meinen Geist erfreut.
Auf der Fahrt zurück treffen wir sogar auf eine Gruppe Guanakos. Meist fliehen sie allerdings, wenn ich versuche, mich ihnen zu nähern. Sie wenden kurze Zeit den Kopf, um den Eindringling zu be­obachten, und machen sich dann aus dem Staub.
Perito-Moreno-Gletscher Eisberg am Perito-Moreno-Gletscher Perito-Moreno-Gletscher An der Ruta 40 Cerro FitzRoy Big Sky