|
25. März |
Urlaub vom Reisen |
Zum Frühstücken in die Innenstadt spazieren, die herrlich
frische Morgenluft tief einatmen (aber nicht an den Hauptverkehrsstraßen,
denn Abgasreinigung hat sich in Argentinien offensichtlich noch
nicht durchgesetzt), stundenlang im Café del Turista sitzen und nichts Weiteres tun, als Leute und Ambiente beobachten,
ein bisserl schreiben, die Gedanken schweifen lassen. |
Zu dieser Morgenstunde sieht es so aus, als hätten viele Besucher
das Café als Büro oder als Besprechungszimmer erkoren.
Sie sitzen meist zu zweit an den Tischen, tadellos in Anzug und
Krawatte gekleidet, einen Ordner oder ein Stapel Papiere vor sich,
und diskutieren eifrig aber doch gelassen bei einer Tasse Kaffee. |
Ein angenehmer Schokoladeduft füllt den Raum. Es waren Österreicher,
die mit der handwerklichen Schokoladeherstellung in Bariloche begannen,
jetzt scheint jedes vierte Geschäft an der Hauptstraße
eine konfiteria zu sein mit herrlich aussehenden Torten,
Stapeln von unverpackter Schokolade hinter den Theken und ganzen
Wänden voller glitzernd verpackten Schokoladeeiern. |
Schokoladeherstellung ist zum Exportschlager der Stadt geworden. |
Hinter einer Theke steht ein Zuckerbäcker mit weißer
Mütze und Mundschutz, der vor den Augen der Kunden Schokoladepralinen
erstellt. |
Vienesas, Stollen, Hotel Suiza, Calle Austria,
... Allgegenwärtig ist in Bariloche der Einfluss der aus dem
deutschen Sprachraum stammenden Argentinier. Im Schaufensters eines
Restaurants lese ich sogar ein Schild mit der Aufschrift: „Plato
del dia (Tagesgericht): Goulasch con Spätzle“. |
Kein Wunder, denn die Schweizer waren in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts die frühesten europäischen Siedler
in dieser Gegend. Ein Schweizer namens Frey soll der erste Siedler
am Nahuel Huapi gewesen sein. |
Die Überlieferung besagt, dass Frey eine Indianerin aus dem
Stamm der Tehuelpe geheiratet hatte, die ihm einen Sohn gebar.
Diesen schickte er zur Ausbildung zu seinem Vater in die Schweiz,
wo er zum Geometer ausgebildet wurde. |
Jahre später, bei seiner Rückkehr, brachte er weitere
Siedler direkt aus der Schweiz mit. Als die Gruppe endlich, vom
Osten kommend, nach unglaublichen Mühen und Entbehrungen den
See Nahuel Huapi erreichte und auf jenem Endmoränenwall
stand, von dem aus man erstmals das herrliches Panorama des Seengebiets
erblickt, da fielen sie auf die Knie und begrüßten aufjubelnd
„das Land der Verheißung“. |
26. März |
Zum Lanin-Nationalpark |
Anfangs geht es auf gut
ausgebauter und kurvenreicher Asphaltstraße das Tal des Limay-Flusses
entlang. Die Bergrücken rechts und links von uns sind kahl, bzw.
nur von Gras bedeckt. Die im Gegenlicht leuchtenden Pampagrasbüschel
setzen zauberhafte Akzente. Ab und zu schrecken wir vereinzelte Chimangos und Tordos (Drosseln) auf. |
Etwa 30 Kilometer von Bariloche entfernt kommen wir an einem
Reservat der Mapuche-Indianer vor-bei. Die Mapuche sind
das einzige indigene Volk Amerikas, dem es über lange Zeit hinweg
gelungen war, seine Unabhängigkeit zu wahren. Erst der zwischen
1876 und 1879 erfolgte „Wüstenfeldzug“ unter General
Roca – dessen Denkmal auf dem Stadtplatz von Bariloche steht – führte
zu einer entsetzlichen Verdrängung dieses Volkes (wie auch der Tehuelpe). In Argentinien beläuft sich heute die Mapuche-Bevölkerung
nur noch auf ungefähr 250.000 Menschen. Das Gros der Mapuche lebt in einfachen Verhältnissen. Männer arbeiten häufig
als Gelegenheitsarbeiter, z. B. in der Landwirtschaft, Frauen oft
als Hausangestellte in Häusern der Oberschicht. Der Name Bariloche kommt übrigens vom Mapuche-Wort Vuriloche, was
"Menschen hinter dem Berg“ bedeutet. |
Wenn man von den kleineren Kiefernwäldchen, die auf die Anwesenheit
einer estancia deuten, absieht, ist es nur in unmittelbarer
Nähe des Flussbettes grün. An manchen Stellen wird aber
diese Kargheit von malerischen Reihen von Säulenpappeln aufgelockert,
deren Laub bereits begonnen hat, sich gelb zu verfärben. |
Dort wo das Tal zur Schlucht wird, abwechslungsreich und wildromantisch,
da ist das Valle Encanta-do, das verzauberte Tal, erreicht.
Diese Bezeichnung kommt davon, dass hier die Straße von mehreren
hochragenden, bizarrst gestalteten Felsen gesäumt ist, aus denen
die Fantasie menschen- und tierähnliche Gebilde wahrnehmen kann. |
Nach der confluencia, d.h. der Stelle, wo der Traful-Fluss
in den Rio Limay mündet, fahren wir eine längere
Strecke entlang eines Stausees, während die Landschaft immer
trockener und flacher wird. Bald sieht es aus wie in einer Wildwest-Landschaft,
stellenweise stark wüstenartig, wobei der leichte Schleier vor
der Sonne eine beeindruckende High-Noon-Atmosphäre erzeugt. |
Als wir am späten Nachmittag in Junín de Los Andes ankommen, ist die Luft wieder stechend klar und die Herbstfarben der
Laubbäume leuchten so intensiv, das es mich fast berauscht. |
Der Ort, ein verschlafenes Städtchen mit flachen Gebäuden
im Westernstadt-Stil, das mich auf Anhieb anspricht, bildet – zusammen
mit dem benachbarten San Martín de los Andes – die Eingangspforte
zum rund 3.800 km2 großen Nationalpark Lanín,
unserem morgigen Ziel. |
Dreimal hin- und herfahren und wir haben alles gesehen und unsere
Unterkunft, die Hosteria Chimehuin, gefunden. Wildromantisch
liegt sie direkt am gleichnamigen Bach. |
27. März |
Zauber des Morgens |
Aufstehen, hinausgehen und
direkt auf einen Bach und eine Auenlandschaft sehen können, in
der trautes Grün und hochgewachsene, dichtbelaubte Weiden der
Seele ein Heimatgefühl geben. |
Wir frühstücken ausgiebig in einem gemütlichen, mit
zahlreichen Zimmerpflanzen geschmückten Raum. Mir fällt
sofort auf, dass die in hellem Holz getäfelten Wände fast
ausschließlich mit Fotos von Anglern und ihren Trophäen
behangen sind. Die kalten und klaren Seen, Flüsse und Bäche
der patagonischen Nationalparks sind wegen der guten Angelmöglichkeiten
bekannt. Hunderttausende Angler kommen jedes Jahr während der
Angelsaison hierher. Nur sie alleine bewegen eine Summe von bis zu
acht Millionen Pesos im Verkauf von Lizenzen, und Ausgaben für
Unterkunft, Essen, Artikel für Fischfang, Treibstoff und Transport.
Das Sportangeln ist in der Gegend inzwischen eine ebenso wichtigen
Alternative im Sommer wie das Skifahren im Winter. |
Zum Lanín und dem Araukarienwald |
Schluss der Gemütlichkeit.
Von da an fahren (bzw. rumpeln) wir nur noch auf staubiger Schotterstraße
– aber auf landschaftlich recht schöner Strecke – am Rio Malleo entlang in Richtung chilenischer Grenze und zum Eingang des Nationalparks. |
Höhepunkte sind der Wald von mächtigen Araukarien und der schneegekrönte Gipfel des erloschenen, 3.776 m hohen Vulkans Lanín. Er wurde auch der „schönste Berg Argentiniens“ genannt. |
|
Die Araukarien sind urtümliche
Nadelhölzer mit pyramidenförmiger, markanter Silhouette,
die ihr Aus-sehen seit der Kreidezeit nur wenig verändert haben.
Fossile Funde verwandter Arten datieren bis zu einem Alter von 50
Millionen Jahren, womit die Araucariaceae eine der ältesten Baumfamilien
der Welt ist. Von ihren Früchten könnten sich einst die
Dinosaurier ernährt haben. |
Die Blätter der Araukarie sind hart und spitz und stehen ohne
Stiel dicht an dicht wie Schuppen an den Zweigen, was ihnen auch den
Namen „Affenschwanz“ eingetragen hat. |
Aber die treffendste Beschreibung ist wohl jene des Fürsten Schakowski,
eines russischen Adeligen und als Entomologe arbeitenden Angestellten
der Parques Nationales, der (so erzählt Tante Helga) in etwas
gebrochenen Deutsch mit tiefer Bass-Stimme von der Araukarie zu sagen
pflegte: „Ist sich Kreuzung zwischen Kaktus und Weihnachtsbaum“. |
An einer Stelle angelangt, wo ich besonders prachtvolle Exemplare
der Gattung erblicke, steige ich aus, um die herrliche Szenerie zu
genießen, zu fotografieren und – wieder einmal – einige Zeit
inmit-ten einer wundervoll ursprünglichen Natur zu genießen.
Währenddessen wartet Tante Helga mit Engelsgeduld – die muss
man aufbringen, wenn man mit einem Fotografen unterwegs ist – auf
mich im Auto. |
Zuletzt fahren wir noch die wenigen Kilometer bis zur Grenze, wo ich
es mir nicht nehmen lasse, meine Füße kurz auf Chilenischen
Boden zu Setzen. |
Rückfahrt |
|
|
Aber es ist höchste Zeit, sich
wieder auf die Rückfahrt zu machen. Die Landschaft kenne ich
ja bereits. Anfangs überall dasselbe trostlos kahle Bild. Vereinzelt
stehende, trockene, harte Grasbüschel, in mehr oder weniger großen
Mengen und ein paar Dornbusche dazwischen. Das ist so ziemlich alles,
was die Vegetation betrifft. Man fährt durch ein menschenleeres
Wüstengebiet. Am Wegesrand liegen weißer Sand, frisch geworfene
Lavamassen. |
Einzelne Gebirgszüge dazwischen, Ketten von Tafelbergen und tief
eingeschnittene cañadones geben der Landschaft etwas
Abwechslung. |
|
Diesmal nehme ich mir etwas mehr Zeit für das "verzauberte
Tal". Die Berge fallen steil ab und sind mit den erwähnten
bizarren Felsspitzen bespickt. Diese wurden durch die ständige
Erosion zu Formen gestaltet, die an Lebewesen erinnern. Nach jeder
Kurve steht man vor einem neuen, tief beeindruckenden Bild. Gespenstisch
ragen die bizarren Felsgestalten wie der "Kleine Bär“,
die „Siamesischen Zwillinge“, der „Löwenkopf“,
der „Finger Gottes“, der "Indianer“ oder der „Gaucho“
aus dem cañonartigen Tal. |
Sobald wir wieder den Nahuel Huapi See erreichen, ist das Bild der
Landschaft aber total ausgewechselt. An Stelle der vegetationslosen
Öde bietet sich plötzlich eine grüne Landschaft den
Augen, darin eingebettet der blaugrüne See, ein Bild wie in der
entfernten Schweiz. |
|
|