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Puerto Deseado |
Was für ein Licht! Was für ein Licht! Ich kann diesen Satz gar nicht oft genug wiederholen. Als ich nämlich in Puerto Deseado ankomme, empfängt mich neben der entzückenden Aussicht auf den kleinen Hafen ein Farben-, und Lichtschauspiel, dass mich augenblicklich in einen rauschähnlichen Zustand versetzt. Das dunkle La-Cueva-Bier mit seinem rauchigen Geschmack, das ich gleich im kleinen Restaurant mit Hafenblick zu mir nehme, steigert mein Empfinden sogar noch zu einem wahrhaftigen Glücksgefühl. |
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Puerto Deseado |
Die kleine Stadt verdankt ihren Namen dem Korsar Thomas Cavendish, der sie im Jahr 1586 Port Desire, nach dem Namen seines Schiffes, benannte. Sie lebt hauptsächlich von kommerziellem Fischfang und vom Tourismus, der in den letzten Jahren kräftig zugenommen hat. Puerto Deseado liegt am Rio Deseado, der hier in den Atlantik mündet. Eine Besonderheit dieses Flusses ist, dass er so wenig Wasser führt und dass die Meeresströmung so stark ist, dass das salzhaltige Meerwasser bis 40 km landeinwärts fließt. |
Samstag, 22. November |
Wind |
Ich wollte den Wind? Heute kann ich mehr davon haben, als mir lieb ist. Denn seinetwegen werde ich auf Pinguine, Albatrosse, Seelöwen und die weitere Fauna dieser Gegend verzichten müssen. Der Rio Deseado gleicht einem Meer in Rage. Die Wellen jagen wie eine Herde wild gewordener Pferde über die Wasseroberfläche, mit Schaumkronen als deren weißen Mähnen. Der vor meinem Hotel Los Acantilados geparkte rostige alte Chevrolet-Pickup schaukelt bei jedem Windstoß quer zu seiner Achse, als würde er mit hohem Tempo über eine holprige Straße fahren. Vom Luftabzug im Badezimmer dringt, unheimlich und bedrohlich, ein Geräusch ins Zimmer, das wie ein raues, rhythmisches Pfeifen klingt. |
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Ein grauer Tag in Puerto Deseado |
Sich mit einem Boot, nur der Pinguine wegen, aufs Wasser zu wagen, scheint unter diesen Voraussetzungen nicht besonders empfehlenswert, eine Meinung, die ich ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, mit dem jungen Leiter des Exkursionsunternehmen teile, bei dem ich mich erkundigt habe. Wäre dieser stürmische Wind nicht auch ein Erlebnis für sich, ich könnte meinen, Petrus, der alte Schlawiner, wolle sich einen Spaß daraus machen, meine Reisepläne zu torpedieren. Was das Fotografieren betrifft, ist ihm das wohl schon mehrmals gelungen. |
Ein grauer Samstagnachmittag |
Musik als Körperverletzung! Ich kann die grausige Popmusik, die in der Ferro Bar, dem einzigen offenen Laden in der Stadt, aus den Lautsprechern strömt, nur ertragen, weil mich der Hunger dazu zwingt. Gerne würde ich aber einen Teil meiner empanadas gegen Ohrenstöpseln tauschen! Geisterstädte soll es ja viele geben, doch Puerto Deseado übertrifft sie alle bei weitem. Wenn man von ein paar Passanten absieht, die sich an diesem grauen und windigen Nachmittag nach vorne gebeugt durch die Straßen kämpfen, herrscht überall Grabesstille. Die Baumkronen, der Staub und der aufgewirbelte Plastik- und Papierabfall sind das Einzige, was sich bewegt. Geschäfte, Bars, Restaurants sind nur noch eine Gelegenheit, sich das spanische Wort „cerrado"(geschlossen) einzuprägen. |
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Als der Wind etwas nachgelassen zu haben scheint und ich in Richtung Fluss bummle, hat der inzwischen völlig graue Himmel meine Laune zu einen Tiefpunkt gebracht. Die Schaumkronen auf der Wasseroberfläche wirken jetzt etwas zahmer als heute Morgen. Als ich es aber wage, mich auf eine aus Steinen aufgeschüttete Mole zu begeben, merke ich, wie der Wind mit jedem meiner Schritte stärker, böiger und tückischer wird. Ich muss mich breitbeinig, stark nach vorne gebeugt und mit großer Vorsicht bewegen, um nicht umgeworfen zu werden. Einmal reißt mir der Wind fast die Umhängetasche von der Schulter. Trotz allem, oder gerade deswegen, ich liebe den Wind! |
Auswanderer |
In nicht allzu großer Entfernung vom Ufer übt derweil ein Kajakfahrer die Eskimorolle. Immer wieder kann man nur noch den Boden des Kajaks auf der Wasseroberfläche sehen, als sei der Mann selbst von den Fluten verschluckt worden. |
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Kayakfahrer |
Jedes Mal taucht er aber wieder auf. Carlos Flügel heißt der sportliche junge Mann und – habe ich ähnliche Worte nicht schon gehört? – sein Großvater ist knapp nach dem ersten Weltkrieg aus Deutschland nach Argentinien ausgewandert. Genauer gesagt zog es ihn zuerst nach Kanada, wo es ihm als gläubiger Katholik nicht gelang, sich zu integrieren, dann über Etappen in New York und Mexiko nach Buenos Aires. Carlos' Vater zog es später nach Bariloche – wie klein ist die Welt! Vielleicht kannte er meine Tante! – und von dort schließlich hierher. Aber was trieb diese Menschen ausgerechnet in diese unwirtliche Gegend? War es das Ergebnis eines Plans, den die argentinische Regierung damals hegte, um das Land zu besiedeln? Bekamen die neuen Bürger Vergünstigungen? Gar Land? Oder verzaubert Patagonien die Menschen allein mit seinem Wesen? |
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Was für ein Licht! |
Wenn von einem Augenblick zum anderen der Wind die Wolkenschicht aufreißt und die Spätnachmittagsonne die ganze Landschaft mit ihren goldenen Strahlen überflutet, dann ist nicht nur meine gedämpfte Laune schlagartig weggeblasen. Dann habe ich auch die Antwort auf meine zuvor gestellte Frage: „Was lässt Menschen diese Gegend zu ihrer „Heimat“ werden?“ |
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Sonntag, 23 November |
Die Insel der Pinguine |
In München schneit es. Ich sitze mit von der Sonnen gerötetem Gesicht im Restaurant des Hotels Los Acantilados (Die Felsenküste) und lasse den heutigen Tag in Gedanken Revue passieren. |
Nach der erzwungenen Untätigkeit von gestern war es bis zum Schluss nicht sicher, ob die Tour überhaupt stattfinden würde. Die Insel der Pinguine liegt nämlich im offenen Meer, 21 km von Puerto Deseado entfernt. Bei zu starkem Wellengang wäre die Unternehmung zu riskant. Endlich, spät am gestrigen Abend, reichte mir das Mädchen an der Rezeption einen Zettel mit einer Telefonnachricht von Ricardo Perez, dem Leiter des Unternehmens „Darwin Expediciones": „Mañana 23./11. excursión a la isla Pingüino a las 11.00 hs.“ |
So ging es also los. Außer mir nahmen ein Dutzend weitere Touristen aus allen Herren Ländern an der Tour teil. Geführt wurde sie von Javier, Ricardos Partner, Kajak- und Bootsfahrer, Naturforscher und „guia naturalistica“ mit jahrzehntelanger Erfahrung als Expeditionsleiter. Ihn begleitete Annick, eine junge Biologin aus der Schweiz, die im Rahmen von verschiedenen Naturschutz- und Vogelkunde-Projekten Puerto Deseado als temporären Mittelpunkt ihres Lebens auserkoren hat. |
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Mit dem Schlauchboot zur Pinguinen-Insel |
Nach dem Anlegen der Schwimmwesten fing das „Abenteuer“ an. Das knallgelbe, stabile Schlauchboot mit Außenbordmotor fuhr zunächst auf dem Rio Deseado hinaus zum offenen Meer, dann entlang der Küste auf einem strammen Südkurs in Richtung der dem Festland vorgelagerten, unter Naturschutz gestellten Isla Pingüino. |
Bereits die Fahrt war ein spannendes Erlebnis. Sie wirkte auf mich wie eine Synthese aus Rafting und Segeln. Wir fuhren mit hoher Geschwindigkeit über das Meer, das noch ziemlich bewegt war, so dass das Boot sich immer wieder aufbäumte und nicht selten der Längsachse entlang schaukelte, wenn wir über eine Welle fuhren. Je nachdem, wie man die Welle erwischte, gab es mehr oder weniger heftige Klatscher, die sich als gut spürbare Stöße auf den Hintern bemerkbar machten. Das Auf und Ab gab mir ein klein wenig das Gefühl, Achterbahn zu fahren. Und immer wieder sorgten eisige Wasserspritzer für Aufregung und Spaß. |
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FILMEMPFEHLUNG |
Die letzten Paradiese: Die letzte Station einer sechsmonatigen Reise: Nur an den Armen des Flussdeltas haben sich seltsame Geschöpfe eindrucksvoller Schönheit niedergelassen. Seebären, der graue Kormoran und die seltenen Felsenpiguine und Commersondelphine genießen hier ihr ungestörtes Dasein. |
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Da die Insel, im Gegensatz zum Naturreservat der Halbinsel Valdés, das seit 1999 auf der Welterbeliste der UNESCO steht und deshalb auf dem Programm von jeder organisierten Argentinienreise steht, weniger bekannt ist, hat der Tourismus hier noch bescheidene Ausmaße. Es gibt auf dem etwa drei km2 kleinen Eiland kaum mehr als ein paar hundert Besucher im Monat (in der Saison zwischen September und April, wenn bis zu 30.000 Vögel zum Nisten die Insel besuchen). Das beruht auch auf der Gegebenheit, dass die Besuchsmöglichkeiten, durch die exponierte Lage der Insel im offenen Meer sehr stark vom Wetter abhängen. |
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Der Seelöwenfelsen |
Die Einzäunungen, die mir in Valdés so zugesetzt hatten, fehlen hier völlig. So bekommt man die einmalige Chance, der Tierwelt wahrhaftig auf Tuchfühlung zu kommen. Früher gab es auf der Insel einen Marinestützpunkt und einen Leuchtturm. Heute stehen vom ersteren nur ein paar Ruinen, und der Leuchtturm ist schon längst nicht mehr in Betrieb. Diese Überreste tragen aber dazu bei, der Insel den urromantischen Charakter eines ehemaligen Seeräubernests zu verleihen. |
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Die Insel der Pinguine |
Was die Insel zu etwas Einzigartigem macht: Sie beherbergt die einzige zugängliche Kolonie von Pengüinos de pennacho amarrillo (Goldschopfpinguinen) der patagonischen Küste. Ihr wissenschaftlicher Name ist Eudyptes chrysolophus. Das auffälligstes Merkmal dieser kleinen Pinguinen ist ihr orangegelber Schopf auf dem Oberkopf und ihr dunkelrot gefärbter Schnabel. Mit einer durchschnittlichen Körpergröße von etwa 55 cm wirken sehen sie äußerst niedlich aus. |
Aber natürlich beschränkt sich die Tierwelt der Insel nicht allein auf diese Art. Man stolpert fast bei jedem zweiten Schritt über Magellan-Pinguine (Spheniscus magellanicus), die sich in dieser Jahreszeit zu Tausenden auf der Insel befinden. Dass sie, wenn man sich ihnen allzu sehr nähert, den Kopf zur Seite neigen, sagt uns Javier, sei eine Stressreaktion, die besonders bei brütenden Vögeln zu sehen sei. Das sollte für uns Besucher und speziell für die Fotografen in der Gruppe - aber wer hat denn keine Kamera bei sich? – als Aufforderung gesehen werden, auf Distanz su gehen. |
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Goldschofpinguinen-Paar beim Brüten |
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Magellanpinguin mit Kleinem |
Eine Vogelart, die Subantarktikskua (Catharacta antarctica), auch als Braune Skua bezeichnet, ist eine Vogelart aus der Familie der Raubmöwen, die nicht nur für die Pinguine gefährlich werden kann. Sie erbeuten sowohl deren Eier als auch junge, soeben geschlüpfte Vögel. Zu diesem Zweck fliegen sie Täuschungsmanöver und Scheinangriffe. Einen direkten Angriff wagen sie nicht, denn diese aggressive Art fürchtet sich vor den schwachen Pinguinen, wenn diese in der Überzahl sind. Wenn so ein angriffslustiger Vogel, wie ein Sturzkampfflugzeug angeflogen kommt, da kann es auch für einen Menschen gefährlich werden. Als ich versuchte, einen dieser Skuas im Flug zu fotografieren, kam es fast zum Zusammenstoß. Alfred Hitchcock lässt grüßen! |
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Goldschofpinguin |
Apropos Pinguine. Nicht nur der Name der Stadt soll auf Cavendish zurückzuführen sein, auch der Name der Ordnung, der von „pen-gwyn“ kommen soll, was auf Walisisch „weißer Kopf“ bedeutet. Denn so wurden diese Vögel von den Mannschaften der Piraten Drake und Cavendish genannt, die mehrheitlich Walisisch sprachen. |
Nach dem wir uns sehr lange auf den Felsen aufhielten, um die Goldschopfpinguinen zu beobachten – was für herrliches Gefühl, nicht im Lauftempo von „Sehenswürdigkeit“ zu „Sehenswürdigkeit“ gejagt zu werden –, führten uns Annick und Javier an eine Stelle, wo einige „lobos marinos“ (Seelöwen) zu sehen waren. |
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Seelöwen |
Diesmal durften wir uns aber nur sehr vorsichtig den Tieren nähern, denn sie sind sehr ängstlich, und wenn sie aufgeschreckt werden, verlassen sie mit einer Geschwindigkeit, die man ihnen kaum zutrauen würde, fluchtartig das Festland in Richtung Meer. Wir versteckten uns daher hinter eine Reihe niedriger Felsen in einigen Meter Abstand von ihnen und strecken ab und zu unsere Köpfe in die Höhe,um die Tiere zu beobachten. Es handelt sich um Mähnenrobben, (Otaria flavescens), auch Südamerikanische Seelöwen genannt. Es gelang mir nicht, unter ihnen Exemplare von See-Elefanten (Mirounga), der größten Robben der Welt, auszumachen, die hier auch
zu Hause sein sollen. |
Die Rückfahrt war nicht minder spannend und abenteuerlich als die Hinfahrt. Der Seegang hatte sich verstärkt und es schien mir, als würde das Schlauchboot mit größerer Geschwindigkeit über die Wellen des Atlantiks rasen als am Vormittag. Manchmal bäumte sich das Boot derart auf oder schwankte so stark, dass mir fast Angst und Bange wurde. Aber ich vertraute natürlich völlig auf die „Fahrkünste“ von Javier. Gut jedenfalls, dass wir die Schwimmwesten anhatten.
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Auch das Schauerlebnis ließ nicht nach. Anfangs sahen wir riesige Albatrosse, die sich weit oben wie unbewegliche schwarze Kreuze oder ferne Segelflugzeuge scharf gegen den Himmel abzeichneten, und Kormorane, die in langen Reihen flogen. Später begleiteten uns schwarz-weiße Delphine, die unentwegt neben dem Boot schwammen, immer wieder unter das Kiel abtauchten, um dann wieder auf der anderen Seite mit einem Sprung aufzutauchen. Man hätte meinen können, sie wollten mit uns spielen. |
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