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Sapareva Banja |
Ich fahre weiter in Richtung Norden, mit der Absicht, einen kleinen Ort in den Rila-Bergen zu finden, wo ich entspannen kann. Bei Dupniza zweige ich ab in Richtung Osten. Parallel zur Straße verlaufen die Ausläufer des Rila-Gebirges, welches das höchste Gebirge der Balkanhalbinsel ist. Hier befindet sich der Musala, der mit 2925 Metern höchste Berg Bulgariens (nur minimal kleiner als die Zugspitze). Der Rila- Nationalpark, der ein Drittel des Gebirges umfasst, existiert seit 1992. Der Name Rila stammt von thrakischen Wort „roula“ (viel Wasser).
Die Schatten werden rapide länger, und weil ich den Stress vermeiden will, in der Dunkelheit noch eine Unterkunft suchen zu müssen, lande ich im kleinen unscheinbaren Ort Separeva Banja, einem Ort „ weit hinten in Bulgarien“. Das Erleben von Abgeschiedenheit und das Eintauchen in ein nicht geplantes „Irgendwo“ erzeugt bei mir immer ein angenehmes Kribbeln, als würde für mich gerade erst das „wirkliche" Reisen beginnen. Ein Hotel ist schnell gefunden: das Hotel Germanea! Wegen des Namens fühle ich mich sofort heimisch, obwohl dieser einzig und allein auf den antiken Namen der Stadt zurückzuführen ist: Germania in Dakien. |
Der Abend ist lau, das Licht malerisch. Als ich ferne Musik höre und den Klängen folge, bin ich plötzlich mitten in einem kleinen Volksfest. Es werden Reden gehalten, Volksweisen gespielt und eine Gruppe von älteren Frauen sowie ein paar kleine Mädchen treten, in wunderschönen Trachten gekleidet, mit Gesang und Tanz auf einer kleinen Bühne auf. Mit Mühe und Not finde ich einen jungen Mann, der etwas Englisch spricht und mir den Anlass für dieses Fest erklärt. Bulgarien sei seit dem Jahr 2007 Mitglied der Europäischen Union. Die Feier gelte der ersten Wahl der bulgarischen Kandidaten für das Europäische Parlament. Was mich am meisten fasziniert, ist, dass die kleine Folklore-Einlage ohne jeden Zweifel nicht touristisch. Ich erlebe tatsächlich „Authentizität“! Diese ist auch dadurch belegt, dass die jungen Leute keineswegs in Trachten auftreten. Sie tanzen in bunten Kostümen nach dem Rhythmus westlicher Popmusik. Einige Jungs führen sogar mit großem Können Breakdance-Akrobatik vor. Außerdem merke ich an den Blicken mancher älteren Teilnehmer, dass das Erscheinen eines „Fremden“ hier nicht alltäglich ist. |
Samstag, 6. Juni |
Borovec |
Glauben Sie niemals einem Reiseführer! Wird darin ein Ort als interessant und attraktiv beschrieben, handelt es sich möglicherweise nur um „politische Korrektheit“. So lese ich über Borovec: „Er ist der älteste Ferienort in den bulgarischen Bergen." Da würde ein naiver Reisender denken können, er würde etwas Patina antreffen, vielleicht manches Hotel in traditioneller Bauweise, klein im Volumen, ganz in dunklem Holz gebaut und mit spitzem Dach. Wenn man aber etwas weiterliest: „Borovec ist ein moderner und, vor allem im Winter, lebhafter Urlaubsort", dann sollte man stutzig werden. Der Verdacht liegt nahe, dass hier Wohnraum für große Menschenmengen hochgezogen wurde. Ich werde es kurz machen. Der Ort bekommt von mir den ersten Preis in der Kategorie „die scheußlichsten Urlaubsorte". Es steht ein Klotz neben dem anderen, die alle als einziges Zugeständnis an die Tradition ein schräges Dach aufgesetzt bekommen haben. |
Mir kommen Tränen in den Augen, wenn ich die grandiose Landschaft betrachte, in der dieses Ungetüm [] eingebettet ist. Dagegen wirken ja die protzigen Hotels des Ötztals fast noch wie eine alpine Idylle []. |
Govedartsi |
Also Kehrtwende! Zurück nach Samokow und von dort ins idyllisch anmutende Tal des Cherni-Iskar-Flusses. Auch in diesem Tal sieht man die Berge nur aus der Ferne. Dafür erlebt man aber eine Weite, die allein vom Ansehen die Lunge durchatmen und den Geist schweben lässt. Was für eine Emotion, aus dem Auto zu steigen und einen Feldweg entlang zu gehen, Unruhe und Ungeduld abzulegen und unter diesem großen Himmel anfangen zu träumen. |
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Ein Reichtum an Blumen, das in Mitteleuropa längst verschwunden ist. Erinnerungen an Klatschmohn und Kornblumen aus der Zeit meiner Kindheit werden wach. Aus und vorbei. |
Es ist nicht ganz leicht eine Unterkunft zu finden, zumal in der frühen Jahreszeit noch viele Pensionen geschlossen sind und ich viel Wert lege auf ein (in meinen Augen) „authentisches“ Ambiente. Schließlich werde ich im 1300-Seelen-Ort Goverdatsi mit dem Hotel Krusharskata Kashta [] fündig. Was mich vor allem begeistert, ist die Aussicht, die ich von meinem Zimmer aus genieße. Wäre ich noch am Anfang meiner Reise, bekäme ich alleine wegen dieser Aussicht Lust, hier mehrere Tage zu verweilen. |
Abends |
Im Fernsehen läuft gerade das Länderspiel Bulgarien - Irland für die WM 2010 Qualifikation, aber ich könnte nicht behaupten, dass sich die Gäste besonders dafür interessierten. Wiederholt hört man den Namen des Trainers der irischen Mannschaft, Trapattoni. Ich muss schmunzeln jedes Mal, wenn ich seinen Namen höre. Und somit ist auch automatisch entschieden, für welche Mannschaft ich Partei ergreife. |
Neue Gäste treffen ein. Sie setzten sich offensichtlich gezielt an einen Tisch, von dem man das Spiel gut im Auge behalten kann. Kaum kommt die erste Torchance, schon sind alle Blicke auf den Fernseher gerichtet. Aber au weh, es sind die Iren, die ein Tor geschossen haben! |
Aber der Fußball muss warten. Ich will auf den Abendspaziergang nicht verzichten. Ich würde mogeln, wenn ich – um die herrliche Einsamkeit dieses Gebietes zu betonen – behaupten würde, es fuhren überhaupt keine Autos vorbei, aber in der Tat ist die Stille fast unheimlich. Ich gehe querfeldein, ohne wirklich zu sehen, wo ich hineintrete, und höre fast nur das Rauschen des Černy Iskar und das ferne Quaken von Fröschen, das wie das Geschrei von verrückt gewordenen Hexen klingt. Da ist diese Stille, diese Größe, ein kaltes Lüftlein, das sich durch die laue Luft durchmogelt, dass ich mir fast einbilde, ich wäre gerade in einem Abenteuer in der wilden Natur verwickelt. |
Sonntag, 7. Juni |
Berghütte Maljoviza |
Ein guter Ausgangspunkt für Wanderungen ist der kleine Ort Maljoviza (Мальовица), wo die Straße in einem großen, in dieser Jahreszeit glücklicherweise leeren Parkplatz endet. Eigentlich besteht der Ort nur der aus einer Bergretterschule, einem Hotel und einem kleinen Skigebiet. |
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Knappe 12 Kilometer von meinem Hotel entfernt liegt der Komplex bereits auf 1700 m. So ist die Wanderung zur Berghütte Maljowiza nur ein bequemer Spaziergang. Oben angekommen komme ich ins Gespräch mit einem jungen Architekten, der sehr kritisch von der politischen Situation seines Landes berichtet: |
„Während der kommunistischen Zeit“, behauptet er, „habe es weniger Korruption gegeben und keinen Hunger. Jeder habe etwas bekommen, auch wenn es nur wenig war. Heutzutage, im Kapitalismus, hätten vor allem die alten Menschen das Gefühl, dass es ihnen im Kommunismus besser gegangen sei. Es gebe in Bulgarien noch immer keine breite Mittelschicht. Nur die extrem Reichen und die extrem Armen!“ |
Am Abend
kann ich mich kaum vom Fenster losreißen, so sehr beeindruckt mich die Landschaft vor meinen Augen. Gleichzeitig aber überkommt mich eine starke Melancholie, die bei mir typisch ist für das Ende einer Reise. Auch der Gedanke an die ewig lange Rückfahrt ist nichts, was zur Fröhlichkeit animiert. Ich stelle mir die Frage, weshalb ich so fasziniert bin von diesem Teil Südosteuropas. Sind es seine extremen Gegensätze? Die tiefen, unberührten Schluchten, die sich mit weiten offenen Sanddünen abwechseln, die dichten und dunklen Wälder und die großen Seen sowie die bizarren Karstgebirge, ein Europa also, das anderswo bereits verschwunden ist? Oder sind es die Reste einer „rückständigen“ Welt, in der nicht jeder Quadratmeter bebaut, gepflegt und seines Naturzustands beraubt wurde, die einen derart tiefen Eindruck auf mich machen? |
Montag, 8. Juni |
Serbische Landschaften |
Wieder diese Weiten mit den Bergen als ferne Kulisse. Grün, Brache, Landwirtschaft im Miniaturstil mit freilaufenden Hühnern, kleine beschauliche Dörfer. Maisfelder, ein merkwürdiges Licht, ein heller Streifen im Westen, Gewitterwolken über den Hügeln. Viele kleine Felder mit angeschlossenem Onkel-Tom-Häuschen. Bukolische Landschaft von anno dazumal. Ein Bauer stapelt Heu mit der Gabel auf. Dann, zwei Straßenzüge weiter, eine beeindruckende Schlucht. Augenblicke des Glücks! |
Übernachten in Kroatien |
Die Hunderte von Kilometern, die ich auf der langweiligen Autobahn von Nis über Belgrad nach Kroatien gefahren bin, brauche ich gar nicht näher zu beschreiben. Irgendwann musste ich mich entscheiden, von der Autobahn herunterzufahren und eine Unterkunft zu suchen. Zunächst versetzte mich das sanfte Nachmittagslicht in einen fast euphorischen Zustand. Die Dörfer Slawoniens, die vor nicht allzu langer Zeit von einem schrecklichen Krieg verwahrlost wurden, schienen mir jetzt der Inbegriff einer heilen Welt zu sein. Haus um Haus reihte sich entlang der Dorfstraßen, sauber, adrett, richtig dimensioniert. Menschen saßen in Cafés, Kinder spielten in kleinen Gärten. Aber weit und breit war kein Schild „Zimmer" – bzw. „Sobe“ – zu sehen!
Da stand ich nun, es war kurz vor Sonnenuntergang, und ich wusste weder ein noch aus. |
Da sah ich ein Schild mit Hinweis auf ein „Turisticko obitelsko gospodartsvo". Bald führ ich eine schmale Straße entlang, die von bescheidenen Einfamilienhäusern gesäumt war. Als mir ein junges Mädchen entgegen kam, barfuß mitten auf der Straße, in kurzen Hosen und einem locker fallenden, tiefe Einblicke gewährenden Hemd, als wäre sie direkt aus dem Film „Ich denke oft an Piroschka“ aus der ungarischen Puszta hierher versetzt worden, da wusste ich bereits, dass ich an der richtigen Stelle war. Das Mädchen führte mich zu dem, was offenbar ein Reiterhof war, eine Art Ferien auf dem Bauernhof auf Kroatisch. |
Zuerst kam die Mama zur Stelle, nur um festzustellen, dass sie kein Wort verstand, von dem, was ich sagte. Der Mann wurde herbeigerufen, ein jovialer, rotgesichtiger Mann in Bauernkleidung. Immerhin wussten sie jetzt, dass ich ein Bett für die Nacht suchte. Der Sohn wurde hinzugerufen, ein großer, hagerer junger Mann, mit nachdenklichem, etwas schiefem Gesicht, der etwas Englisch sprach. Auf ihrem Hof sei leider kein Zimmer frei, war die etwas beunruhigende Quintessenz. Ich wurde aber eingeladen, an ihrem Tisch Platz zu nehmen, und sofort bekam ich einen Kaffee serviert. Dann kam die Mama mit Wein und Sliwovitz. Einen Blick auf den fahler werdenden Himmel ließ mir aber keine Ruhe. Prompt wurde herumtelefoniert, aber, nein, auch bei den Nachbarn sei kein Zimmer zu haben. Ein vorbeifahrender Traktor wurde angehalten, der Fahrer gesellte sich zu uns. Und bald kritzelte er auf einen Zettel den Weg zum nächsten Motel, der direkt an der Autobahn lag. Ich fuhr also seinem Traktor hinterher, zuerst auf der Hauptstraße, dann auf einem Schotterweg und schließlich auf einem Feldweg, in dem wir fast stecken blieben. Wir waren aber da. Der Hotelmanager öffnete das Gatter zum Garten und schon hatte ich das Auto geparkt und ein Zimmer sicher. |
Nun könnte man meinen, eine Übernachtung in einem Motel an der Autobahn sei nicht gerade das Höchste aller Gefühle. Aber der Karpfen schmeckte ausgezeichnet, die paar Tische vor dem Hause hatten etwas Gemütliches, die in einer Reihe geparkten Lkws hielten etwas von dem Lärm der Autobahn von uns fern, und hinter dem Hotel fing gleich diese tolle bäuerliche Landschaft an, mit Obstbäumen, kleinen Gemüsefeldern und der Nacht, der lauen Nacht des Südens. |
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