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Montag, 18. Mai |
Bosnien |
In Izacic, nicht weit hinter der kroatisch-bosnischen-Grenze bei Bihać, strahlen mich die funkelnagelneuen Minarette einer Moschee an, und bereits nach der dritten Straßenkurve bergabwärts sehe ich eine alte Frau in Pluderhose und türkischer Tracht, die sich langsam in meine Richtung schleppt – zweifelsohne bin ich in der Föderation Bosnien und Herzegowina angekommen. |
Kurz darauf fahre ich mitten in einer hügeligen, dicht mit Laubbäumen bewaldeten Hügellandschaft, einer der unzähligen Varianten von mitteleuropäischer Landschaft, die sich von den anderen nur durch die kaum vorhandene Besiedlung unterscheidet. Gäbe es statt des diesigen Himmels eine stimmungsvollere Beleuchtung, könnte die Landschaft ohne Zweifel als „schön“ beschrieben werden. Bei dem unentschlossenen Vorsommerwetter zerfließt diese Schönheit aber in ein konturloses, langweiliges Bild. |
Kljuc |
Als ich durch die Stadt fahre, ist mein Deja-vu-Erlebnis bedrückend, obwohl ich ähnliche Trostlosigkeit bereits kenne. Ein Ort, wie vom Himmel heruntergeschissen, die alten Gebäude im Zustand des Verfallens und mit abbröckelndem Putz, die neuen planlos, bezuglos irgendwo hinplatziert, oft klotzig und stillos. Immerhin ist eine rege Bautätigkeit nicht zu übersehen. Wer es kann, stellt sich ein Häuschen irgendwohin und lebt! |
Als ich am Ortsrand ankomme, überrascht mich die grüne, urwüchsige Landschaft am Fluss Sana derart, dass ich nicht umhin kann, mich in eine von der Vorsehung ans Flussufer herbeigezauberte Bar zu setzen und auf den Wasserlauf und die Berge zu starren. Dabei stelle ich mir unwillkürlich die Frage, weshalb ich diese Szenerie so faszinierend finde. Ist es das Grollen eines fernen Gewitters, das intensive Graugrün des Wassers, der sommerlich-schwüle Nachmittag? Ich liebe es, wenn es bewölkt und trotzdem warm ist, wenn die Sonne die Intensität des Lichtes und die Kontraste nicht bis ins für die Augen Unerträgliche steigert. |
Kurz hinter Kljuc beginnt die Republika Srpska, die serbisch geprägte Teilrepublik von Bosnien. Sollte ich es nicht gemerkt haben, sagen es mir die Verkehrstafeln: Сарајево, Јајце? Ob ich mich verfahren habe? Aber nein: Es handelt sich nur um die kyrillische Bezeichnung für Sarajevo und Jajce. |
Vinac |
Und sie bauen und bauen und bauen. Als seien alle in diesem Land besessen davon, ein Eigenheim ihr eigen nennen zu können. So schießen die Häuser wie Pilze in die Höhe, dass ich mich fragen muss, woher denn das Geld dafür stammt. Jedes dritte Haus steht unverputzt, im Rohbau oder kurz vor der Fertigstellung irgendwo im Ort. Ich muss mir auch die Frage stellen: Wenn es die Jungen nicht mehr im Dorf hält, wenn sie alle längst in den Städten oder im Ausland sind, für wen sind dann diese Häuser? Mein erster Versuch, mich über dieses Phänomen zu erkundigen, scheitert an der Sprache. |
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Mehr Glück habe ich beim Wirt der einzigen Gastwirtschaft im Ort. Ja, bestätig mir der Mann in gebrochenem Deutsch, die Menschen würden nur für das Eine arbeiten. Die Tatsache, dass so viele unfertige Häuser zu sehen sind, sei nur auf das fehlende Geld zurückzuführen. Deshalb dauere das Bauen auch bis zu zehn Jahre, wenn nicht sogar länger. Kaum hätten die Menschen etwas Geld, schon kauften sie weitere Backsteine, Dachziegel, Röhre, Wandpaneele oder Fliesen, Stück für Stück, und arbeiteten an ihrem Eigenheim weiter. Das meiste Geld komme von den Auswanderern. EU-Gelder landeten sowieso nur in den falschen Händen. Die Familien hielten hier sehr zusammen, meint mein Gesprächspartner, und dieser Traum von Familie und Heimat materialisiere sich letztlich im Bauen. |
Wenn ich in der lauen Stille der Abendstunden durch so eine Häuseransammlung – wie ein richtiges Dorf sieht es nicht aus – spaziere und dabei eine Familie unter der Pergola vor ihrem Haus zusammensitzen sehe, oder eine alte Frau im kleinen Gemüsegarten nebenan beobachte, wie sie tief nach vorne gebeugt harkt und zupft, dann schwächt sich in meinen Gedanken dieser Eindruck von Trostlosigkeit etwas ab. Es wird mir bewusst, wie wenig es bedarf, um heimatliche Gefühle zu empfinden. |
Dienstag, 19. Mai |
Ein wunderbares Frühlingswetter macht die Fahrt in Richtung Süden zum Vergnügen. Eine einsame, weite und grüne Berglandschaft begleitet mich bis zum Makljen-Sattel (1123m), von wo die Aussicht überwältigend ist. Weiter unten zum Tal hin sind die zahlreichen Windungen der Straße zu sehen, im fernen Hintergrund schneebedeckte zweitausender (die 2260 m hohe Cvrtnica). Ich bekomme Lust aufs Wandern. Ich mache einen Abstecher zum Ramsko Jezero und bin derart begeistert von der landschaftlichen Schönheit, dass ich einen Versuch mache, eine Unterkunft zu suchen – leider Fehlanzeige! |
Jablanica |
Höchste Zeit, dass ich mich ein wenig mit der Sprache befasse, denn nur deshalb auf das typisch bosnische Gericht Pizza Margherita oder gar auf die Notlösung Sendvič zurückgreifen zu müssen, weil ich die Speisekarte nicht entziffern kann, das kommt gar nicht in Frage. Aber was sind nun diese Peksimeti, die offensichtlich die einzige Alternative darstellen, die diese kleine Bar bietet? Ich erfahre es erst, als das Gericht vor mir auf dem Tisch liegt. Es handelt sich um eine Art kleiner gesalzener Krapfen, nur viel lockerer als diese, die man mit Käse- oder Schinkenhäppchen begleiten kann. Von einem guten Glas Sarajevsko Pivo begleitet bilden sie ohne Zweifel einen idealen kleinen Mittagsimbiss. Zubereitet wird der Teig für Peksimeti aus Weizenmehl, Eiern, Joghurt oder Sauerrahm sowie Backpulver. |
Ich weiß, dass ich während der Fahrt kein Alkohol trinken sollte, aber Mostar ist nur noch 40 km entfernt und die schwüle Hitze lässt mir gar keine andere Wahl als ein kühles Bier! Außerdem muss ich mich noch vom Schreck erholen, den ein Lastwagenfahrer erlebt haben muss, als er von einer Brücke bei Jablanica 20 Meter in die Tiefe fiel. Kein Scherz! Als ich von der Brücke in die Tiefe schaute und weit unter mir im Flussbett den zerschellten Laster sah, da wurde es mir ganz mulmig. Ich versetzte mich für einen Augenblick in den Fahrer, als er das Brückengeländer mit seinem Fahrzeug durchbrach und hinab stürzte! Ich schätze, seine Panik dauerte nicht mehr als 10 Sekunden. Überleben konnte er sicher nicht. |
Die Schlacht an der Neretva |
Das kleine, 75 km südwestlich von Sarajevo gelegene Stadtchen Jablanica in der Föderation Bosnien-Herzegowina ist dafür bekannt, dass von Februar bis März 1943 in seiner näheren Umgebung die sogenannte Schlacht an der Neretva stattfand. In unmittelbarer Nähe des Ortes ist noch immer die zerstörte Eisenbahnbrücke als Teil einer Museumsanlage zur Schlacht zu sehen. Der 1969 Oscar-nominierte Kriegsfilm „Die Schlacht an der Neretva“ stellt die Ereignisse Anfang des Jahres 1943 nach. |
Weil die Achsenmächte Anfang 1943 eine Invasion der Alliierten auf dem Balkan vermuteten, entwickelte die deutsche Führung einen strategischen Plan, um das Gros von Marschall Titos Befreiungsarmee im Süden Kroatiens und im Westen Bosniens zu vernichten. Die am 20. Januar 1943 angelaufene Militäraktion „Operation Weiß“ dauerte bis April 1943. Fünf deutsche, drei italienische und zwei kroatischen Divisionen wurden dabei von mehreren antikommunistischen serbischen Tschetnik-Verbänden und kroatisch-faschistischen Ustascha-Einheiten unterstützt. |
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Etwa 150.000 Soldaten auf Seiten der Achse standen der um ein Vielfaches kleineren, von Marschall Tito geführten Partisanen-Streitmacht gegenüber. Unter den Partisanen befanden sich auch etwa 4000 Verwundete, weshalb die Schlacht auch „Die Schlacht zur Rettung der Verwundeten“ genannt wurde. Drei Wochen benötigte Titos Hauptarmee, um sich durch die italienischen Stellungen über das zentralbosnische Hochland zum Neretva-Fluss durchzuschlagen, wo sie fast einen Monat lang in einen Existenzkampf mit den gegnerischen, von Panzerbrigaden unterstützten Streitkräften verwickelt wurde. |
Um sich in Sicherheit zu bringen, hätten die Partisanen über die Eisenbahnbrücke das östliche Ufer der Neretva erreichen müssen. Angesichts der militärischen Überlegenheit der Achsenstreitkräfte hätte ihnen allerdings die Zeit gefehlt, alle Menschen über die Brücke zu bringen. So griff Tito zu einem raffinierten Täuschungsmanöver. Er ließ von seinen Pionieren die einzige Fluchtmöglichkeit, nämlich die Brücke über die Neretva, sprengen. Die Zerstörung der Brücke wurde vom deutschen Kommando falsch interpretiert. Weil man annahm, dass Tito seine Kämpfer an der Flucht hindern wollte und einen Vorstoß am westlichen Neretva-Ufer in Richtung Norden plante, leitete man eine Umgruppierung der Truppen der Achsenmächte ein. |
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Dies verschaffte den Pionieren der Partisanen kostbare Zeit, um die Brücke behelfsmäßig zu reparieren. So konnten die Partisanen, trotz heftigem Bombardement der Luftwaffe, den Großteil ihrer Leute ans östliche Ufer der Neretva retten. Nachdem den Partisanen die Flucht gelungen war, wurde die schwache Brücke wieder unbrauchbar gemacht, um die weitere Verfolgung zu verhindern. Das internationale Aufsehen, das die Schlacht an der Neretwa erregt hatte, führte dazu, dass der britische Premierminister Winston Churchill beschloss, Tito und seine Partisanen zu unterstützen. |
Die Stadt Jablanica beherbergt das Museum „Bitka za ranjenike na Neretvi“ („Schlacht um die Verwundeten an der Neretva“), das in den 1970er Jahren eingerichtet wurde. Auf der Gedenkanlage und im Museum wird der „Schlacht an der Neretva“ gedacht. |
Gewalt |
Ibrahim, der neben mir in einer kleinen Bar sitzt, schüttelt den Kopf. Während des Bosnienkrieges hätten die Einwohner von Vinac (99% Muslime) Hals über Kopf und in der Nacht über den Berg nach Travnik flüchten müssen. Er selbst sei mit einer serbischen Frau verheiratet und könne sich den Ausbruch eines solchen Hasses nicht erklären. Die Bewohner des Balkans, grinst er, bräuchten eben alle 20 Jahre einen Krieg! |
Die britische Schriftstellerin und Journalistin Rebecca West schrieb: „Gewalt war in der Tat alles, was ich über den Balkan wusste, alles, was ich über die Südslawen wusste". |
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