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Stolberg |
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Ostharz, Bodetal
und Umgebung
(Landkarte) |
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Sonntag, 7. Oktober |
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Stolberg |
Mir kann man wirklich
nichts recht machen! Kaum bin ich im Harz angekommen,
dazu noch im schmucken Stolberg, dem sogenannten
"Rothenburg des Harzes", schon habe ich
etwas daran auszusetzen. Dabei könnte ich es mir
leicht machen und den Ort durch die rosa Brille der Tourismuswerbung
sehen. Laut dieser "liegt der kleine Kurort
idyllisch eingebettet in den Tälern der Lude,
Thyra und Wilde im südlichen Teil der Harzer Berge".
Und auch: "Die nostalgischen Fachwerkhäuser
der Stadt laden zu jeder Jahreszeit zu
einem kleinen Streifzug durch die Geschichte des Ortes
ein. Weit sichtbar über der Stadt erhebt sich das
Schloss des Grafen zu Stolberg". Noch einen Satz
zur Geschichte und die "politisch korrekte"
Beschreibung wäre komplett: "Stolberg erhielt
im 13. Jahrhundert Stadtrecht und ist seit jenen Tagen
als Bergbauort (Eisen-, Kupfer- und Silberbergbau) weltweit
bekannt. In späterer Zeit machte sich der kleine
Harzort auch einen Namen als Bier- und Branntweinhersteller". |
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Aber nein! Irgendetwas
stört mich in diesem kleinen Ort. Etwas, was seine
wunderbaren Fachwerkhäuser nicht unmittelbar
wettmachen können. Die etwas bedrückende Enge
des Tals allein kann es nicht sein, denn das Fehlen offener
Aussichten kann einem Ort auch die Aura des Heimeligen
und des Verborgenen geben. Was also? Es sind der lärmende
Verkehr, die Rotten von Motorradfahrern und die zahlreichen
Ausflügler, über die man dauernd stolpert,
die meine ersten Eindrücke ausmachen. Eigentlich
besteht die Stadt außer dem Schloss nur noch aus
ein paar Gassen und einer Durchfahrtsstraße. Und
durch letztere kriecht ein ununterbrochener Strom von
Autos. Sonntagsverkehr! Solch ein Phänomen nimmt
der schönsten Kulisse ihren Charme
und dem Reisenden die Illusion von erhalten gebliebener
Vergangenheit. Die Bilder uralter Märchen werden
dadurch rabiat weggewischt. |
Es sind die Automobile, diese Drachen der Neuzeit,
die den historischen Straßenräumen,
die der Bewegung innerhalb des Ortes, aber auch dem
geschäftigem Leben der Menschen dienten, eben dieses
genommen haben. Ferner wird der Welt auch viel von ihrem
Ebenmaß genommen, durch die permanente "Stadtmöblierung",
die die Autos darstellen, durch den Lärm, den sie
erzeugen, die Straßen, die ihretwegen die Landschaft
auffressen, und die Menschenmengen, die sie überall
hinbefördern. Egal, wo man hinkommt, der Rest der
Welt ist bereits da! Jeder Ort ist erreichbar, nahe,
von einem Tsunami von Erlebnishungrigen überflutet,
weil sich heutzutage jeder diese motorisierten
Monster leisten kann. Man muss sich nicht anstrengen,
braucht keinen Verstand, keine Initiative und keine
Ausdauer. Man kommt trotzdem überall hin.
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Jetzt könnte
ich natürlich in meine Reisetrickkiste greifen und
diese düsteren Gedanken verjagen. Das hieße
dann: Eine Unterkunft suchen, mich in ein Kaffeehaus mit
meiner Reiseliteratur verkriechen und – abwarten. Denn
Ausflügler sind wie das Meer. Es gibt eine Flut und
eine Ebbe. Letztere kommt unausweichlich jeden Abend,
wenn nur noch die Übernachtungsgäste geblieben
sind. Dann nimmt der Verkehr ab, und nicht nur in den
Seitengassen zieht etwas Stille ein. Aber obwohl Stolberg zweifelsohne bezaubernd ist, so völlig
von Wäldern umgeben und so intakt in seiner Bausubstanz,
wie es ist, und mit einem Stadtbild, das fast ausschließlich
von alten Fachwerkhäusern aus dem 15. bis 18. Jh.
geprägt ist, kann ich meine Unruhe nicht abschütteln,
es zieht mich weiter. Ich nehme aber eine subtile Wehmut
mit, weil ich diesem Ort fürs Erste keine Chance
gegeben habe. |
Harzlandschaften |
Nach der stechend
klaren Luft des frühen Nachmittags verschwindet jetzt
die Sonne immer häufiger hinter einer undurchsichtigen
Wolkenschicht, was der Landschaft, die im Unterharz ziemlich
flach ist, fast jeden Reiz nimmt. Ich fahre eine Zeit
lang völlig ziellos herum, streife ohne jeglichen
Elan mir nichts sagende Ortschaften wie Harzgerode
und Alexisbad, steuere schließlich mein Auto
wieder in Richtung Westen, nach Hasselfelde, fühle
mich aber auch hier kaum zu Begeisterungsäußerungen
motiviert. Ich bereue es fast, nicht doch in Stolberg geblieben zu sein. Aber sobald die orangefarbene
Oktobersonne auch nur für einen Augenblick wieder
hervorguckt, verliert sich dieser trübe Eindruck
auf einen Schlag und ich sehe nur noch eine sanfte, von
Bächen durchzogene Hügellandschaft, die in der
Abendsonne leuchtet. |
Endlich, als ich
zu guter Letzt bei Wendefurth von der Hauptstraße
ins Bodetal abzweige, ist das sehnsüchtig
erhoffte Kribbeln plötzlich da. Es geht auf leicht
abschüssiger Straße inmitten von herbstverfärbten
Mischwäldern zum Tal der Bode hinunter, während
sich vor meinen Augen eine ursprüngliche, einsam
anmutende Landschaft erstreckt, die vergessen lässt,
dass der fast unbewohnte Harz mit seinem 1142 m hohen
Brocken nur eine Insel im Meer des norddeutschen Tieflands
ist, nur ein Katzensprung von dicht besiedelten Ballungsräumen
entfernt. |
Altenbrak im Bodetal |
"Altenbrak,
die Perle des Bodetals, liegt in geschützter Tallage
inmitten von romantischen Mischwäldern"
(Originalton Werbeprospekt). Viel ist dem nicht hinzuzufügen,
denn, so kitschig es auch klingt – es stimmt. Wiewohl
dem ersten Anschein nach die "geschützte"
(sprich: enge) Tallage nur eine Umschreibung für
das Fehlen von weiten Aussichten ist. Hinzu
kommt, dass das Tal von der Hauptstraße durchzogen
wird, was zur Folge haben muss, dass Altenbrak dem lästigen
Autoverkehr ausgesetzt ist. Gleichwohl: Zu dieser späten
Stunde ist der Luftkurort, wohin Theodor Fontane 1884
einen Ausflug machte, bereits in Düsterheit getaucht,
still, fast gespenstisch leer, und es geht ein merkwürdiger
Zauber von ihm aus. An manchen Ecken kann man sich mühelos
– selbst ohne große Fantasie – in längst vergangene
Zeiten zurückversetzen. So ist es nur eine Frage
von Augenblicken, bis auch mein letzter Zweifel verschwunden
ist und mein Entschluss, die nächsten paar Tage hier
bleiben, feststeht. |
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Idyllische Ecke in Altenbrack |
Pension "Harz Residenz" in Altenbrak |
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Und siehe da, in wenigen Minuten
ist eine Unterkunft gefunden. In herrlicher Hanglage
am Waldrand gelegen und trotzdem mit einem weiten Blick
über Wiesen und Wälder versehen, ist die Pension
Harzresidenz []
genau das, was ich mir vorgestellt habe. |
In der Jägerbaude |
Nein, ich habe weder
Appetit auf "Bärlauchrisotto" noch
auf "Carpaccio von Langostinos mit Limonenmarinade"!
Denn genauso wie ich auf Reisen gerne abwechselnde Landschaften
und ortstypische, traditionsgebundene Architektur erlebe,
so verzichte ich auch gerne auf die Gastro-Globalisierung.
Ich habe Lust auf bodenständige Gerichte. Und dafür
ist dieses rustikale Gasthaus zweifellos der
passende Ort. Himmlisch, wie ein frisches Härke
dunkel vom Fass (eigentlich aus Niedersachsen, aber immerhin aus dem Norden) zu dem gedünsteten Fischfilet
in Dillrahmsoße passt. Nur bei der Nachspeise
hört das Eigenständige leider auf: Oder möchte
jemand behaupten, dass Apfelstrudel – besonders
die Sorte, die direkt vom Mikrowellenherd
auf den Tisch kommt – zu den regionalen Spezialitäten
des Harzes gehört? |
Das würzige
dunkle Bier macht's. Es hilft mir dabei, die ewige Wiederholung
meines Schicksals als Reisender, dieses anstrengende,
Stunden und Stunden verschluckende Fahren, oft kilometerweit
an landschaftlicher Langeweile oder Hässlichkeit
vorbei, in Wohlwollen aufzulösen. Denn bin ich erst
mal an meinem geografischen Ziel angelangt und sitze
in einer Wirtschaft, berauscht durch einen Geruch, der
aus der Küche kommt, oder durch den ersten Schluck
Bier (oder Wein), dann löst sich jedweder Trübsinn
in meinen Gedanken fast von alleine auf, und ich kann
vielem von dem, was noch kurz davor meine Nerven strapaziert
hätte, positiv begegnen. Dann – erst – bin ich wirklich
angekommen. |
Die anderen Gäste
des Restaurants: allesamt kleine Leute mit wenig Allüren,
in deren Anwesenheit meine eigenen Unzulänglichkeiten
an Gewicht verlieren. Am Tisch links von mir sitzt ein
älteres Paar schweigend beim Abendbrot: Die Frau
trägt ein mit glitzernden Fäden
durchwirktes rosa Strickhemd und schaut mit einem wie
in Stein gemeißelten Lächeln
ins Leere. Ein Verlegenheitslächeln ohne jegliche
Heiterkeit, nur aufgesetzt, um der Welt ein
"anständiges" Bild vom eigenen Befinden
zu vermitteln. Düster, fast abweisend, der Blick
ihres Partners, eines Mannes mit graublauen Augen und
nach unten gezogenen Mundwinkeln. Trotzdem bin ich den
Beiden irgendwie zugetan. Ist es denn nicht so, dass das
Leben einem oft alles bringt, nur nicht das, wovon man
geträumt hat? Und am Ende sitzt man da,
hat kaum noch etwas zu sagen, und der Elan
ist ein für allemal weg. |
Wie herzerfrischend hingegen
die Szene am anderen Ende meines Tisches: Mit welch leuchtenden
Augen erzählt der alte Herr seiner Gefährtin
Episoden aus seiner Kriegszeit; mit welch zärtlicher
Geste legt sie ab und zu ihre Hand auf seinen Unterarm.
Ja, mein lieber Mann, denkt sie vielleicht, wie oft hast
du mir das schon erzählt. |
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