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Sonntag, 21.
August |
Zum Dartmoor |
Fahren, fahren, fahren. Zwar sind die
Entfernungen nur gering, aber dafür werden wir
von zahlreichen Hindernissen (dem Verkehr, den Ampeln,
den engen, von Hecken flankierten Straßen) dauernd
verlangsamt. Allein in Bovey Tracey, einem hübschen
Städtchen, das sich "das Tor zum Dartmoor"
nennt (was zahlreiche andere Orte auch von sich
behaupten!) verlieren wir, weil wir uns verfahren, mehr
als eine halbe Stunde. |
Und endlich sind wir da. In
der wilden, fast unberührten Landschaft im Südwesten
Englands, in der traurigen Moorlandschaft von Dartmoor,
die schon seit grauer Vorzeit eine große Faszination
auf die Menschen ausübte und ob ihrer Düsterkeit
die Fantasien beflügelte. Berühmte Schriftsteller
wie Sir Arthur Conan Doyle ("Der Hund von Baskerville")
oder Eden Phillpotts siedelten dort ihre Spuk- und Geistergeschichten
an.
Von dieser in der
Literatur zelebrierten düsteren Atmosphäre,
die auf die laut Statistik zweihundertachtzehn Regentage
im Jahr, und noch mehr auf dem zähen Nebel beruht,
der den Rest des Jahres die Gegend verhüllt, erleben
wir indes nichts. Denn ein herrlicher, sonniger Tag mit
strahlend blauem Himmel lässt die Landschaft aufleuchten
und lieblich erscheinen. Und auch von Verlassenheit ist
nichts zu spüren. Dafür sorgen die Menschenmengen,
jedenfalls hier bei Widecombe in the Moor,
die an diesem schönen Sonntag das gleiche Ziel wie
wir hatten. So sind die ungewöhnlichen Steinformationen,
die auf den ersten Blick fast wie von Riesenhand geschaffene
Festungen aussehen, zum profanen Picknickplatz verkommen. |
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Nach einem ausführlichen
Spaziergang - erstaunlich wie schnell sich die Menschenmengen
auflösen, wenn man sich auch nur 500 Meter vom Parkplatz
entfernt - wird es Zeit, etwas gegen unsere knurrenden
Mägen zu tun. Das erste Restaurant, das wir finden,
ist idyllisch an einem kleinen Teich gelegen, hat aber
einen entscheidenden Fehler: Unmengen von Autos haben
bereits jede freie Fläche in Beschlag genommen. Ich
kann mir sehr gut den Dampf und den Geruch vorstellen,
die das Braten von Hunderten Portionen Fish and Chips
im Inneren des Lokals erzeugt hat. Am Ufer, gleich neben
den Autos, sitzen Ausflügler in langen Reihen beim
Picknicken. |
Wir müssen weitersuchen.
Leider können wir nicht von mitgebrachten Speisen
am Ufer eines idyllischen Baches zehren (vorausgesetzt
wir fänden dort noch einen Sitzplatz). Denn wir haben
unseren Picknickkorb in München gelassen. Endlich
wieder eine Gaststätte, The Forest Inn, und
noch dazu in wunderschöner Lage am Waldrand - sogar
mit Parkgelegenheit. Auf der Speisekarte entdecken wir
"Homemade Lasagne, served with chips or salad",
eine "exquisite" Mischung, die unsere an italienische
Küche gewöhnten Herzen schneller schlagen lässt.
Die Freude ist aber nur von kurzer Dauer. Denn es ist
bereits 14:30. Die Küche ist geschlossen. Nicht einmal
ein Sandwich ist noch zu haben. |
Einen letzten Anlauf - es ist
bereits 15 Uhr - nehmen wir im kleinen Städtchen
Tavistock. In der Brasserie (!) The East Gate
gibt es zwar keine warme Küche mehr, aber immerhin
bekommen wir zum hervorragenden Tee ein fruit scone
und eine Himbeertorte (raspberry tart), die beide
gar nicht so schlecht schmecken. |
Tintagel |
Während sich der Himmel
langsam eintrübt, fahren wir weiter in Richtung Northern
Cornwall, ans Meer. Unser Ziel ist der kleine Weiler
Tintagel, wo die vermeintlichen Ruinen
des Schlosses von König Artus stehen. Diese Annahme
hat aus dem Ort eines der beliebtesten Touristenziele
Englands gemacht, einen Anziehungspunkt mit
dem üblichen Unwesen von Schnellimbissen, Souvenirbuden
und kurzbehosten, dickbäuchigen Touristen. Dennoch
kann man der Stätte eine gewisse Atmosphäre
nicht absprechen. Eine steife Brise weht, der Himmel ist
düster, die zerklüfteten Klippen fallen
steil ins stürmische Meer ab, wahrscheinlich gibt
es in ganz Großbritannien keinen romantischeren
und wilderen Ort, der besser zur Konig-Artus-Sage passen
würde. |
Zu Artus-Ehren kam der Ort
erst im 12. Jahrhundert, als Geoffrey of Monmouth in seiner "Geschichte der Könige Britanniens",
einer Mischung aus Geschichtsschreibung, walisischen
Märchen und romantischer Erzählung, Tintagel
Castle zur Residenz von König Artus
erklärte.
Unterhalb der Festung Tintagel befindet sich noch heute
die Merlin-Grotte. Dort soll Merlin nach der Legende gelebt,
und den kleinen Artus einst am Strand gefunden haben.
Gesichert lässt sich heute über die Existenz
von Artus nicht viel sagen. Wenn er gelebt hat, dann vermutlich
zwischen 450 und 537 n. Chr. Manche Historiker gehen davon
aus, dass Artus in Wirklichkeit kein König, sondern
ein erfolgreicher Heerführer war. |
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Gleich gegenüber dem
Guest House, in dem wir eine Bleibe gefunden haben, thront
hoch auf den Klippen das Hotel "Camelot", ein
düsterer, altmodischer Bau mit ebenso düsteren,
dem Mittelalter nachempfundenen Räumen - fast fühle
ich mich veranlasst, ehrfurchtsvoll von "Gemächern"
zu sprechen! Entsprechend interessant müsste ein
Aufenthalt in diesem, in atemberaubender Lage an der zerklüfteten
Felsenküste gelegenen Hotel sein. |
Da es bereits spät ist,
begeben wir uns schleunigst auf die Suche nach einer Gaststätte.
Aber nur keine Experimente! Wir essen wieder - vorzüglich!
- indisch.
Durch das angenehme Ambiente des Restaurants beflügelt,
sinnieren wir darüber, dass bis jetzt nichts wirklich
schief gelaufen ist auf unserer Reise. Selbst der kulinarische
Aspekt machte uns keine Probleme. Das Wetter war ausnahmslos
zufriedenstellend, die sprichwörtliche
Höflichkeit der Briten hat sich völlig bestätigt. |
Schmunzeln muss ich nur im
Rückblick auf eine Situation, die uns beim Autofahren
zugestoßen ist. Ich hatte gegenüber Julian
gerade geäußert, dass Engländer nicht
aggressiv hupten, da widerfuhr uns, bei einem etwas ungeschickten
Spurwechsel in einem Kreisverehr, genau dieses.
Wieder einmal der Effekt der "letzten berühmten
Worte"! |
Montag, 22. August |
Bewältigen können
wir es schon, das Frühstück. Aber nur, weil
wir wieder auf die Bratwürste verzichten. Toasts,
drei Scheiben Bacon, zwei (gewendete) Spiegeleier,
allerlei Jogurt und Cornflakes, Orangensaft und reichlich
Tee geben Energie für einen ganzen Tag. |
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König Artus' Burg |
Eisiger Wind, grauer
Himmel, graugrünes Wasser, Schaumkronen, das Steigen
und Sinken der großen Silbermöwen mit ihren
fast miauenden Schreien - eine tolle Stimmung, bei der
die Besichtigung der Artus-Burg, genauer gesagt, deren
Ruinen, zum Erlebnis wird. Der Blick von den Mauerresten
hinüber zu dem etwa hundert Meter entfernten, hoch
auf den Felsen gelegenen Hotel Camelot verstärkt
diesen düster-unheimlichen Eindruck noch mehr. |
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