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Samstag, 13. August |
Kew Gardens |
Seit langem lockt mich ein
Besuch des berühmten botanischen Gartens Kew Gardens.
Und da Julian in letzter Zeit sein Interesse an der Biologie
entdeckt hat (Leistungskurs fürs Abitur), wird es
zu unserem heutigen Ziel. Wir fragen Sally, wie am Einfachsten
hinzukommen sei. Ergebnis: Wir fahren mit dem Auto. Zur
Hilfe bekommen wir von Sally einen Ausdruck vom Routenplaner:
Bis auf die erneute Linksfahrer-Herausforderung scheint
es völlig unkompliziert. Und so ist es tatsächlich
auch. Zuerst fahren wir über Tooting Bec nach
Norden und dann im-mer geradeaus der South Circular
205 entlang in Richtung Westen. Ich schaffe es sogar
noch, etwas von der Umgebung mitzubekommen. Auffallend
sind die vielen Grünflächen, hauptsächlich
Parks und Sportplätze, die wir entlang der Route
sehen. Bemerkenswert an dieser Stadtgegend ist auch, dass
man fast nur Weiße sieht. Also doch Ghettos, auch
wenn sie im Wesentlichen von der sozialen Schicht bestimmt
werden? |
Und auch heute immer wieder
diese Harry-Potter-Architektur - mit viel Backstein. Es
freut mich, zu sehen, wie sehr die Engländer ihre
(architektonische) Tradition bewahren. Den Hang zum Altmodischen
erkennt man auch an den Taxis, die, selbst wenn es sich
um neugebaute Autos handelt, die altmodische Kastenform
haben, die man von vielen alten Filmen so gut kennt. Allerdings
hat die Moderne auch seine Spuren auf den Taxis hinterlassen
- in Form von grellbunter Werbung. |
London
ist teuer! Aber am teuersten sind die Tickets und Eintrittskarten
für Rundfahrten, Museen, königliche Paläste
und ähnliche nicht frei zugängliche Sehenswürdigkeiten.
Kew Gardens: 20 Pfund (30 Euro) für zwei
Personen! Wenn ich daran denke, dass eine Tageskarte
für den Botanischen Garten in München lediglich
drei Euro kostet, dann liegt der Gedanke an Wucher nicht
fern. Das "Thank you very much indeed"
des freundlichen Angestellten an der Kasse ist das Mindeste,
was man als "Entschädigung" erwarten
kann. |
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Die Royal Botanic
Gardens von Kew zählen mit ihrer einzigartigen
Mischung aus Architektur und Natur zu den schönsten
(und ältesten) botanischen Gärten Europas. |
Drei viktorianische Gewächshäuser,
herrliche Beispiele der Eisen-Glas-Architektur, präsentieren
u.a. die weltweit größte Orchideensammlung
und auch die höchste "Zimmerpflanze" der
Welt, eine fast zwanzig Meter hohe Palmenart. Botanik
als Wissenschaft und der Park als architektonisches Kunstwerk
sind hier eng miteinander verbunden. Das
zwischen 1841 und 1849 errichtete Palm House (Tropenhaus)
ist das älteste noch existierende viktorianische
Gewächshaus. Seine ästhetisch perfektionierte
Ingenieurarchitektur diente als Vorbild für
Gewächshäuser in ganz Europa. Das Palmenhaus
im Park von Schönbrunn in Wien sei hier als ein Beispiel
erwähnt. In Kew wurden auch erstmals neue
Gewächshaus-Konstruktionen ausprobiert.
Das Temperate House von 1898 ist eines der ersten
industriell gefertigten Glashäuser. |
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Und apropos Nachahmung. Als
das englische Königshaus in Kew Gardens eine
chinesische Pagode errichten ließ, wollte auch Bayerns
damaliger Regent Karl Theodor nicht zurückstehen
und ließ in Münchens Englischem Garten den
berühmten "Chinesischen Turm" bauen. |
Der einzige, aber große
Nachteil von Kew Gardens ist, dass der Garten direkt
in der Einflugschneise des wichtigsten Londoner Flughafens
Heathrow liegt. |
Stundenlang marschieren
wir, bei lauer Temperatur und zeitweise klarem Himmel,
durch die riesigen Anlagen. Wobei mich besonders die Gewächshäuser
begeistern. Mich fasziniert die tropische Atmosphäre
dieser dschungelähnlichen Pflanzenagglomeration
mit ihrer feuchten, leicht modrig riechenden Luft. Besonders
zweckmäßig ist es, dass die Besucher über
eine Wendeltreppe bis knapp unters Dach steigen können
und dort entlang einem mit schmiedeeisernen Brüstung
versehenen Laufgang (eine Art Balkonkorridor) gehen
können, von dem aus ein berauschender Blick
auf die außerordentlich üppige Vegetation und
die Pracht der Baumkronen möglich ist. |
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Wir wären nicht in England,
wenn der tägliche Regen ausbliebe. Die Wolken sind
im Laufe des Nachmittags dichter und dunkler geworden
und was anfangs nur ein Tröpfeln war, wird bald zum
starken Regen. In allerletzter Minute können wir
noch einen Platz im Trockenen in der Cafeteria ergattern.
Unser täglicher four o'clock tea war sowieso
fällig. |
Die Londoner und der Regen:
Auf dem Rückweg zum Auto gehen wir an einer Kleinfamilie
vorbei, die unter einem Baum um einen kleinen Klapptisch
versammelt ist und dabei, als schiene noch die
wärmste Sonne, seelenruhig picknickt. Das Klischee
der Engländer, die jederzeit mit Schirm (Charme und
Melone) unterwegs sind, hält einer genaueren Beobachtung
sowieso nicht Stand. Stattdessen strafen sie den Regen
mit Missachtung und nehmen mit britischer Gelassenheit
das Nasswerden in Kauf. Die Radfahrerin, die ungeachtet
des starken Regens mit geschulterter Golftasche verbissen
auf die Pedale tritt, ist nur ein Beispiel unter vielen. |
Wieder zu Hause warten wir
ein Stündchen, bis der Regen vorbei ist, dann machen
wir uns wieder auf den Weg nach Tooting Bec. So
schnell die Gewöhnung an den Linksverkehr beim Autofahren
vonstatten gegangen ist, als Fußgänger macht
er uns noch etwas zu schaffen. Man schaut beim Straßenüberqueren
partout in die falsche Richtung (also links). Dafür
sind aber die Ampeln fußgängerfreundlicher
als bei uns: Kaum drückt man auf den Aufforderungsknopf
und schon schaltet es auf grün. |
Unentschlossen, wie wir sind,
und mangels wirklicher Alternativen, landen wir wieder
beim gestrigen pakistanischen Restaurant. Während
wir dort im Trockenen sitzen und unser Chicken Tikka
Masala genießen, wird es draußen noch
einmal dunkler und ein heftiger Regenguss macht die Straßen
zeitweise zu Sturzbächen und prasselt schonungslos
auf die (natürlich regenschirmlosen) Passanten. |
Als wir zurückgehen,
dunkelt es bereits. Die kleinen Häuserreihen sehen
in der klaren Abendluft derart friedlich aus, dass man
die in einem Fenster ausgehängte Mitteilung der Polizei
"Crime prevention advice: Burglars are active
in this area. Keep doors and windows closed"
kaum nachvollziehen kann. |
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