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Donnerstag, 11. August 2005 |
Die Anfahrt |
München,
Stuttgart, Karlsruhe, Straßburg, Metz, Reims. Endloses
Fahren. Wie groß ist dieses Frankreich! Eine mitteleuropäische,
weite, entlang dieser Strecke nur selten leicht hügelige
Landschaft mit gelegentlichen Brachflächen, ausgedehnten
Feldern und dunkelgrünen Laubwäldern mit Buchen,
Eichen und Eschen. Es ähnelt einem in die Breite
gezogenen aber spärlicher besiedelten Niederbayern.
Auffallend ist besonders die Leere, die in Deutschland
nirgendwo mehr zu finden ist, die aber die Ausdehnung
dieses größten westeuropäischen Landes
beispielhaft veranschaulicht. |
Cambrai |
Die tausend Kilometer
bis zum Ärmelkanal schaffen wir nicht ganz. Besser
gesagt: Ich wollte nicht hungrig, müde und gereizt
in allerletzter Minute nach einer Unterkunft
suchen müssen, deshalb erschien mir das etwa 130
km von Calais entfernte Cambrai - es ist
auf der Straßenkarte mit einem Stern gekennzeichnet,
soll also einen Umweg wert sein - ein guter Kompromiss.
So verlassen wir die Autobahn und steuern auf das kleine
Städtchen zu. Während das Abendlicht blau und
blauer wird, erreichen wir die Altstadt, wo wir eine recht
eigenartige Atmosphäre auffinden. Denn
mitten auf dem Hauptplatz, der Place Aristide Briand,
die dem pompösen Rathaus vorgelagert ist, stehen
eine Achterbahn, Schießbuden und Kettenkarussells,
und alle möglichen Buden und Stände einer Kirmes.
Viel Rummel ist zwar gerade nicht, aber das verstärkt
eher die wunderliche Atmosphäre des Ortes.
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Zweimal auf und abfahren und
eine Übernachtungsmöglichkeit ist gefunden.
Das Hotel Le Mouton Blanc liegt gleich neben dem
Bahnhof, nur fünf Minuten zu Fuß vom Zentrum.
Laut Eigenwerbung hat dieses um die Jahrhundertwende gebaute
Hotel den Charme eines altehrwürdigen Domizils
im Laufe der Jahre gut erhalten können. Unsere beiden
kommunizierenden Zimmer (als apartement familiale
ausgegeben) versuchen allerdings vergeblich mit ornamentalen
Kronleuchtern, schwerem Mobiliar mit geschnitzten
Verzierungen, sowie Porzellan-Handtuchhaken und holzeingerahmten
Spiegel im Badezimmer sich etwas Patina zu geben. |
Als wir auf der Suche nach
einer Gaststätte wieder auf dem Hauptplatz eintreffen,
ist noch weniger los als bei unserer Ankunft. Eine große
Auswahl an Restaurants scheint es auch nicht zu geben.
Es ist kühler geworden und wir fragen uns, ob wir
draußen sitzen sollen. Schließlich entscheiden
wir uns für die paar Tische im Freien
einer Brasserie. Mir gefällt es, das langsam Überhand
nehmende Kunstlicht der Läden und Schaubuden zu beobachten
und die wenigen Menschen, die auf dem Platz umherschlendern.
Das gefällt mir viel mehr als die Betriebsamkeit
einer Großstadt.
Wir essen vorzügliche Steaks mit pommes frites,
das häufigst vorkommende
Gericht auf französischen Speisekarten. |
Freitag, 12. August |
Nach dem Frühstück geht's los. Um 14 Uhr 15
startet die Fähre, für die ich einen Platz gebucht
habe. Genug Zeit also? Obwohl wir uns in Cambrai verfahren
und dadurch nicht gleich zur Autobahn kommen und wir zudem
mehrmals Schlangen an den Mautstellen vorfinden, kommen
wir fast zwei Stunden früher am Hafen in Calais an.
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Calais |
Am
Check-in der französischen Reederei SeaFrance
(welche die Überfahrten zwischen Calais
und Dover anbietet) können wir gegen eine Bezahlung
von acht Euro eine frühere Fähre benutzen. |
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Auto geparkt,
Handbremse gezogen, mit dem Aufzug auf die oberen Decks
gefahren. Nachdem alle Passagiere das Parkdeck verlassen
haben, werden die Türen zu diesem gesperrt. Aus Sicherheitsgründen
wird der Zugang zum Laderaum erst nach der Ankunft
in Dover wieder freigemacht. Als die Fähre endlich
ausläuft, gibt es ein minutenlanges Gehupe von Diebstahlsicherungen,
die durch die Erschütterungen ausgelöst wurden.
Ich kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken |
Seltsamerweise
sind die Passagierdecks trotz der Hochsaison ziemlich
leer. Auch an den Bars und Cafeterias ist der Andrang
der Fahrgäste eher bescheiden. Interessanter als
die nicht besonders verlockende Aussicht - denn der Himmel
ist diesig-grau - ist das Ambiente der verschiedenen Salons,
die ein wenig an die verwaisten Restaurants mancher Seebäder
in der Nachsaison denken lässt. Die kleinen Spielsalons
mit ihren leuchtenden Automaten verstärken noch diesen
Eindruck. |
Die Überfahrt
dauert nur etwas mehr als eine Stunde. Wegen des erwähnten
wenig klaren Wetters ist die Annäherung an die englische
Küste und die berühmten weißen
Klippen von Dover leider nicht gerade spektakulär.
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Dover |
Zum erstes Mal (selbst) links
fahren! [] Ich wundere mich, wie leicht das geht. Auf der Autobahn
(wo es keinen Gegenverkehr gibt) gewöhnt man sich
sehr schnell daran, dass man auf der linken Spur fahren
und rechts ausscheren muss, wenn man überholt. Etwas
ungewohnter sind die Autobahnauffahrten, die selbstverständlich
auch links liegen. Da flitzen die auffahrenden Fahrzeuge
mit Tempo von der "falschen" Seite auf einen
zu. Straßen mit Gegenverkehr verlangen noch mehr
Aufmerksamkeit. Sich an die anderen Vehikel zu halten,
das ist die erste Regel. Dass man beim Abbiegen versehentlich
die Spur wechselt, kann aber leicht passieren, und dass
man beim Einfädeln in ein Kreisverkehr (roundabout
genannt) nach rechts schauen muss, das fällt mir
anfangs noch sehr schwer. Gut, dass wir zu zweit sind.
Als wären wir auf einer Rallye unterwegs, spielt
Julian meisterhaft die Rolle des Beifahrers. Noch
etwas, an das wir uns gewöhnen müssen: Die Entfernungsschilder
geben alle Meilen statt Kilometer an. |
Entlang der A205 fahren wir
quer durch das südliche London.
Zitat Julian: "Das sind doch die gleichen Häuser
wie in den Harry-Potter-Filmen!" Tatsächlich
muss ich mich wundern, wie durchlaufend diese Architektur
von (viktorianischen? edwardianischen?), mit viel Backstein
versehenen Einfamilienhäusern dieses
Stadtgebiet charakterisiert. Sogar direkt an der Hauptstraße!
Auffallend ist auch, dass fast nur Schwarze und Asiaten
auf den Straßen dieser durchaus bürgerlich
aussehenden Gegend zu sehen sind. |
Angekommen |
Anhand der von
mir mühsam zusammengestellten Computerausdrucke eines
Routenplaners kommen wir problemlos bei unserer (übers
Internet gebuchten) Bed-and-Breakfast-Herberge an. |
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Parklands Road. Eine entzückende
Straße. Ein Puppenhäuschen neben dem anderen,
deren Baustil laut Sally, unserer Gastgeberin, "Edwardian"
ist, also aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Das
Haus, in dem wir wohnen werden, ist innen zwar eher unscheinbar,
unser Zimmer nicht allzu groß, dafür hat alles
aber einen sehr familiären Charakter. Das fängt
damit an, dass wir die Schuhe gleich ausziehen
und in der Diele gleich neben der Tür stehen lassen
sollen. |
Ich ruhe mich eine Weile aus
und Julian hängt währenddessen vor dem Fernseher
(immerhin: Englisch!), ehe wir zum ersten Spaziergang
nach Tooting Bec aufbrechen. Dort soll es
ein kleines Stadtteilzentrum mit Läden und Restaurants
geben. Wir nehmen Sallys Empfehlungen mit auf dem Weg,
der durch bezaubernde kleine Einfamilienhäuserreihen
führt, denen die Gewitterwolken, wie Rauch aus den
Schornsteinen, einen von der Zeit losgelösten, fast
Dickenssches Charakter verleihen (wenn man einmal von
den Autos absieht). Die Hauptstraßen rund um dem
U-Bahn-Bahnhof Tooting Bec sind hingegen von einer
ganz gegenwärtigen kunterbunten Nachlässigkeit
geprägt - Arbeitermilieu. Wieder sieht man Massen
von Schwarzen und Indern auf den Straßen. Turbantragende
Sikhs, halbstarke Jugendliche, Inderinnen in Sari oder
Punjabi, Araberinnen mit verschleiertem Kopf, pralle
rabenschwarze Frauen. Ein merkwürdig anregendes Gefühl,
sich plötzlich inmitten dieser so heterogenen Menschenmenge
zu bewegen. |
Mich ziehen meine Vorurteile
gegen die englische Küche (und der Mangel an Auswahl)
rasch ins Lahore Karahi, ein Pakistanisches Restaurant.
Julian zieht das Essen etwas schärfer vor als ich.
Beide sind wir zufrieden. |
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