|
Mittwoch, 17. August |
Bei sonnigem, leicht diesigem
Wetter fahren wir in Richtung Südwesten. Auf dem
Weg nach Devon möchten wir ein weiteres touristisches
Muss Südenglands besichtigen, die Steinkreis-Anlage
Stonehenge in der Nähe von Salisbury. Sie ist aufgrund
ihrer monumentalen Ausmaße und der unvorstellbaren
Leistung der Erbauer, in der ganzen Welt bekannt. |
|
In den Worten des für
seine brillanten, witzigen Reiseberichte bekannten Schriftstellers
Bill Bryson: "So beeindruckend Stonehenge auch
ist, ungefähr elf Minuten nach der Ankunft kommt
der Moment, in dem man feststellt, dass man so ziemlich
alles gesehen hat, was einen interessiert". Wir
bleiben nur deshalb mehr als elf Minuten, weil ich darauf
erpicht bin - nichts leichter als das -, äußerst
originelle, einmalige Photos der Stätte zu machen,
die mir zweifelsohne alle Bücher- und Zeitungsverlage
nur so aus der Hand reißen würden. Wichtigste
Voraussetzungen wären allerdings: Ich müsste
die Aussperrung der Touristenmassen, die
die Stätte kontinuierlich bevölkern, erwirken,
mein Zelt hier aufschlagen, mehrere Monate bei
jeder Tageszeit und Wetterlage hier verweilen und - enorm
viel Glück haben. Dann erst könnte ich vielleicht
die Bilder erhaschen, die Millionen Fotografen
aus aller Welt vor mir noch nicht geschaffen haben. |
|
Wir fahren weiter
in einer flachen, in Dunst getauchten Landschaft, die
so wenig "englisch" aussieht, dass man sich
eben so gut in Italien wähnen könnte. Im Auto
schwitzt man wie im heißesten Sommer. Kaum ist man
aber draußen, merkt man, dass die Luft doch ein
paar Grad kühler ist. Mittagspause in Mere,
einem kleinen Ort irgendwo, den ich vermutlich nur mit
Mühe auf der Landkarte wieder finden würde.
Im "Tea Garden" eines kleinen Cafés sättigen
wir uns mit exzellenten Schinken- und Thunfischsandwichs. |
Je mehr
wir uns der Südküste nähern, desto idyllischer
wird die Landschaft. Da wir die Schnellstraßen vermeiden
und, auch weil wir uns oft verfahren, meist auf kleineren
Nebenstraßen fahren, offenbart sich uns das traditionelle
England in all seiner Beschaulichkeit: Hecken, galerieartige
Alleen, Straßen die sich stellenweise
derart verengen, dass man bei Gegenverkehr stehen bleiben
muss und nur bei den entsprechend breiteren Ausweichstellen
voran kommt. |
Wie müssen
wir lachen, als wir ein Auto vorbeifahren sehen, bei dem
ein Hund am Steuer zu sitzen scheint. Denn wir vermuten
den Fahrer selbstverständlich auf dem linken Sitz! |
Sidmouth |
Unser erster Eindruck von
Sidmouth: ein Altersheim! War Oxford von hübschen
Jugendlichen bevölkert, so wechseln sich hier fast
ausschließlich ältere Paare auf der Esplanade
(Strandpromenade) ab. Sie sitzen schweigend in den angereihten
Liegestühlen und lesen, ruhen sich aus, lösen
Kreuzworträtsel. Die Liegestühle befinden
sich - wohlgemerkt - auf der Esplanade, nicht auf dem
Strand, wo nur wenige Menschen in Badekleidung verweilen
und kaum jemand ins Wasser geht.
Die Bänke der Esplanade sind auch beliebte Picknickstätten.
In der Reihe sitzen ganze Familien mit aufgeklappten
Styroporschalen beim Vertilgen von fettigem fish
and chips. Chips ist übrigens die englische
Bezeichnung für Pommes frites. |
|
Die Straße zum Gästehaus,
das uns vom Tourist Board vermittelt wurde, führt
durch ansprechende Wohngebiete, die den Charme der Architektur
des 18. und frühen 19. Jahrhunderts fast ohne Einbußen
beibehalten haben. An einer Stelle quert die Straße
einen nicht überbrückten Bach, weshalb wir durch
15 cm tiefes Wasser fahren müssen. |
|
Im Ryton Guest House angekommen, werden wir von den Inhabern Gail und Peter
Bradnam aufs Herzlichste empfangen. Was uns überrascht,
ist, dass von den hohen
Preisen, die wir von London gewohnt waren, hier nichts
mehr zu merken ist. Für
nur 25 Pfund pro Person und Tag - das üppige Frühstück
inbegriffen - bekommen
wir ein geräumiges, helles Zweibettzimmer mit anheimelndem
Ambiente.
Das Bad ist zwar nicht "en Suite", steht
aber nur uns zur Verfügung und liegt direkt gegenüber
unserem Zimmer. Selbstverständlich erwarten
uns auch hier alle Zutaten
für einen kräftigen five o'clock tea. |
Der leicht diesige Himmel
ließe einen heißen Sommertag vermuten, aber
als wir am späteren Nachmittag ausgehen, empfängt
uns draußen ein kühles Herbstlüftchen.
Der Wettervorhersage des Tourist board nach heißt
es ja: "We are going to have a little bit of rain". |
Es reicht uns ein kurzer Rundgang,
um feststellen zu können, dass die Stadt kaum etwas
für die Unterhaltung bietet. Schon gar nicht für
die Jugend. Sie ist ausschließlich
da für ihre Schönheit und ihren Strand. |
|
Als es Zeit fürs Abendessen
ist, trauen wir uns wieder nicht, "englisch"
zu essen, auch wenn der frittierte Kabeljau und die chips
and peas vom Nachbartisch im Restaurant The Mocha
sehr appetitlich aussehen. Einem "pie"
gegenüber sind wir unseren Erfahrungen entsprechend
besonders verschlossen. Schließlich entscheiden
wir uns für "mexikanische" Gerichte: Tortillas
mit Krabben und Mangos, bzw. Hühnchen. |
Ein Spaziergang
durch die Connaught Gardens und auf dem inzwischen menschenleeren
Strand in der Abenddämmerung beschließt unseren
erlebnisreichen
Tag. |
Donnerstag, 18. August |
Das
erste, was ich nach dem Aufwachen höre, ist das Jaulen
der Möwen. Es hört sich fast wie ein Miauen
an und ist nicht sonderlich melodiös. Es geht einem
durch Mark und Knochen. |
Wir mussten uns gestern den
Wecker stellen, um rechtzeitig (um 8:30 Uhr) beim Frühstück
erscheinen zu können. Diesmal sind die Spiegeleier
auf einem in Fett ausgebackenen Toast gelegen, dazu gibt
es Frühstücksspeck, ein paar Champignons
und eine ziemlich abschreckend aussehende dunkle Bratwurst.
Kalorien für den ganzen Tag! Als ich für den
morgigen Tag eine reduzierte Portion (also ohne Bratwurst)
bestelle, ist mir, als würde ich einen leicht enttäuschten
Ausdruck im Gesicht unserer
Gastgeberin erkennen. |
|
Unsere erste Begegnung mit dem englischen Humor: Beim
Geldwechseln muss ich meinen Ausweis herzeigen. Als
ich etwas verwundert nach dem Grund frage, kontert
die junge Kassiererin mit einem Schmunzeln: "Ich
verlange nur danach, weil ich so gerne über die
Passfotos lache!" |
Diesig bis grau wird der Tag.
Denn das Wetter will sich partout nicht für einen
reinigenden
Regen entschließen. Wir schlendern durch den Ort
zwischen Massen von altmodisch,
aber elegant angezogenen alten Menschen (auffallend viele
von ihnen mit einer Gehhilfe) und schlecht angezogenen
Kleinfamilien. Am Strand surfen ein paar Kinder, andere
bauen Sandburgen. |
Vor lauter Langeweile nehmen wir uns in den Connaught
Gardens zwei Liegestühle und fragen uns, ob
sie denn gebührenpflichtig seien. Dabei erleben
wir wieder das Phänomen der "berühmten
letzten Worte". Denn kaum hat Julian den Satz ausgesprochen,
dass wir wohl um das Bezahlen kommen würden, da
kommt auch schon ein "Wärter" und kassiert
0,90 Pfund. Die aber dann für den ganzen Ort gelten. |
Gegen Abend wird
der Wind stärker und es beginnt zu tröpfeln.
Das Wetter schlägt um, die Luft wird deutlich klarer.
Wieder gehen wir am Strand spazieren, wieder essen wir
im The Mocha Restaurant und zum erneuten Mal traue
ich mich nicht den homemede cottage pie zu probieren.
Aber immerhin ringen wir uns zu fish and chips
durch. Deep fried battered plaice (Scholle) ich,
filetted cod (Kabeljau)
Julian, natürlich mit chips and peas als Beilage.
Und es schmeckt, wie es ausgesehen hat, - ausgezeichnet!
Ein letzter Strandspaziergang beendet unseren Aufenthalt
in diesem entzückenden (aber ein bisserl langweiligen)
Sidmouth. |
|