Balkanreise  - Reisenotizen von Bernd Zillich   
   
 
   
   
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Die Brücke über die Drina
Von Klöstern und Sintflut
Finale in den Karpaten
   
 
 
Das Gedächtnis
der Karpaten
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Rumänien. Mehr als
Dracula und Walachei
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Donnerstag, 12. Juni
Sonne
Heute fällt das mic dejun kürzer aus als gestern. Die Sonne brennt wieder auf die Landschaft, die Welt zwitschert, trillert, bellt und muht ihre Lebensfreude in alle Richtungen und ich habe ein volles Programm. Ich packe meine Koffer und fahre los. Aber es scheint nicht früh genug gewesen zu sein. Kaum bin ich ein paar Kilometer unterwegs in Richtung Piatra Neamţ, schon verraten mir die Wolken wieder ihre unlautere Absichten.
Von Klöstern, Häusern und Sintflut
Der Regen hat nachgelassen, doch dem dunkelgrauen Himmel ist nach wie vor nicht zu trau­en. Er hat noch nicht alle seine Pfeile verschossen. Am Straßenrand winkt eine mit Einkaufstüten bela­de­ne Nonne schüchtern um eine Mitfahrgelegenheit. In einer Anwandlung von Nächstenliebe lasse ich sie einsteigen, sie nimmt Platz, und dennoch scheint sie nicht wirklich hier zu sein, denn sie schaut mir kaum ins Gesicht und bekreuzigt sich mehrmals in rascher Abfolge, als möchte sie den Teufel verjagen. Aber vielleicht will sie sich nur beim Herrn für diese unerhoffte Hilfe bedan­ken.
Bald sieht es tatsächlich so aus, als hätte mich die Vorsehung geschickt, denn es sind kaum ein paar Minuten vergangen, da öffnet der Himmel wieder seine Schleusen und es prasseln Was­ser­mas­sen auf mein Auto, dass die Windschutzscheibe in Sekundenschnelle einem zugezogenen Vorhang gleicht. Die eingeschüchtert wirkende Nonne blickt mit leicht gesenktem Kopf nur nach vorne und bekreuzigt sich alle paar Minuten, ihre Einkaufstüten fest auf dem Schoß haltend. Ab und zu blitzt und kracht es, dass es einem mulmig werden könnte. Die Wassermengen überfluten bald die leicht ansteigende Straße, die zum Frauenkloster Varatec führt, und es ist, als würde ich im Kiesbett eines Baches fahren. Das Erlebnisgefühl ähnelt ein wenig jenem einer Schlauch­boot­fahrt, nur dass ich jetzt flussaufwärts fahre.
Beim Kloster angekommen will mir die Nonne einen Geldschein reichen – dieser Kostenbeitrag von Seiten der Anhalter scheint hier üblich zu sein, auch die Frau mit Kind in Moldawien handelte so -, aber ich fühle mich bereits allein durch ihre Anwesenheit reichlich belohnt.
Als ich aussteige, hat der Regen nachgelassen, ich kann mich aber auf dem Platz vor dem Kloster­ein­gang kaum fortbewegen, denn er hat sich in einen See verwandelt. Weil das Licht aber gerade besonders fotogen ist, ziehe ich es vor, mit nassen Schuhen die Umgebung zu erforschen, um ja keine Gelegenheit auszulassen. Ein alter Spruch besagt, dass es kein schlechtes Wetter gebe, nur unpassende Kleidung. Aus der Warte eines Fotografen gibt es kein schlechtes Wetter, nur un­güns­tige Beleuchtung.
So tat ich mich heute Mittag schwer, das wunderbare Ensemble des Frauenklosters Agapia zufrie­den­stellend abzubilden, so knochenhart war das Licht in der Mittagsstunde, und nutzte hingegen die drama­ti­sche Beleuchtung, die sich zwischen einem Regenguss und dem anderen immer wieder ergab, um einige dieser wunderbaren Häuser zu fotografieren, die diese Gegend (den Neamţ) eigentlich zum Eldo­rado für neugierige Architekten machen müssten.
Im Kloster Sihastria
Ich wollte es ja nicht anders! Während ich geduldig vor mich hin fröstle, trommelt heftiger Regen unaufhörlich auf das Dach dieser Herberge! Seit zwanzig Minuten warte ich darauf, dass jemand zum Empfang kommt. Zwei schwarzgekleidete Gestalten, ein Priester und eine Nonne, stehen wie ich unter dem Vordach und flüstern sich heilige Worte zu. Ein Gespräch, an dem ich, selbst wenn es die Sprachbarriere nicht gäbe, nicht teilhaben könnte, so offensichtlich ist die Gleichgültigkeit der Beiden dem fremden Gast gegenüber. Nach einer Weile, auf der Suche nach jemanden, der mich aus dieser unwirtlichen Nässe in ein freundliches Zimmerchen lotsen könnte, steige ich die Treppen zu den Hauptgebäuden des Klosters hinab. Dort beteuert mir ein junger Mönch, der etwas Französisch spricht, dass sehr bald jemand kommen würde, ich solle nur wieder hinauf gehen und warten. Während der Regen an Intensität zunimmt, eile ich also wieder die Treppen hoch.
Endlich kommt jemand. Der joviale rotwangige Geistliche führt mich zu meiner Schlafstätte, einem sauberen Dreibettenzimmer mit einem anheimelnden, wenn auch nicht geheizten Kachelofen und gibt mir die wichtigsten Anweisungen: Um sieben könne ich am Abendessen teilnehmen, den Zimmerschlüssel möge ich morgen früh unter den Fußabstreifer legen, mic dejun gebe es nicht, Morgenfasten sei angesagt. Als ich nach den Übernachtungspreis frage, meint er, es gebe keinen festen Preis und ich solle nach meinem Ermessen etwas geben. Als ich ihm fünfzig  Lei (etwa 14 Euro) reiche, nickt er zufrieden. Dieser Informationsaustausch erfolgt auf Basis von Handzeichen, dem bisschen Rumänisch, das ich mir inzwischen angeeignet habe, und viel, viel Fantasie.
Der Regen hat nachgelassen. Das Kloster leuchtet in all seiner Schönheit auf. Punkt sieben Uhr stehe ich vor dem Hauptgebäute und warte auf Einlass. Unglücklicherweise bin ich diesmal nicht allein, eine ganze Schülerklasse schnattert ihre Lebensfreude in die Umgebung und wartet mit den sie beglei­ten­den Lehrern auf das Essen. Ich werde in einen kleinen schmucklosen Raum direkt neben der Küche mitgeschleust und sitze dann in der Menge eingepfercht und ziemlich ent­täuscht vor einem Blechnapf, einer Gabel, einem Löffel und einer riesigen Schüssel voller rosa­far­be­nen Suppe. Es soll sich um Borschtsch handeln, behauptet eine der Lehrerinnen auf Französisch. Dazu in Scheiben geschnittene mamaliga (Maisbrei). In einer weiteren großen Schüssel die Nach­speise, die aus gesüßter Milch besteht, in der kurzgeschnittene Spaghetti schwimmen.
Gefühlsmäßig kaum gesättigt begebe ich mich zurück zu meinem Nachtquartier. Als mich aber der joviale Mönch auftauchen sieht, fragt er mich verwundert, weshalb ich denn nicht zum Essen er­schie­nen sei, und führt mich prompt – Widerrede gibt es nicht - wieder die Treppen hinunter und hinein in den schönen großen Saal. Es folgt mein zweites Abendessen. Diesmal ist es eine dicke Spinatsuppe mit Kartoffeln - Fleisch zu verzehren ist im Kloster verboten -, dann eine Art süßer Nudelauflauf, der von eingedickter, saurer Milch begleitet wird. Ich drohe zu platzen. Im Saal befinden sich nur noch wenige Mönche, allesamt schweigend und mit einem derart teilnahmslosen Gesicht, dass ich mich frage, ob religiöse Übungen wirklich zu innerem Frieden führen. Der einzige Mönch, der etwas Lebendigkeit ausstrahlt, ist der junge, blauäugige und kurzbärtige Mann, der mir die Speisen reicht. Er fragt mich sogar, woher ich komme. Als ich "Germania" antworte, kontert er "Frankfurt", womit aber sein Geographie- und Fremdwörterpensum bereits erschöpft ist. Immerhin sind er, Woody Allen und der joviale rundgesichtige Zimmerwart die einzigen Menschen, die mich wahrgenommen haben. Ich konnte es mir im Laufe des Nachmittags trotzdem nicht verkneifen, ein paar Mönche nach einem Foto zu fragen, und ich akzeptierte es, dass ihre Reaktion darauf, wenn auch freundlich, immer abweisend war.
 
 
 
 
     
         
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