Balkanreise  - Reisenotizen von Bernd Zillich   
   
 
   
   
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Die Brücke über die Drina
... Kischinau und zurück
Finale in den Karpaten
   
 
Moldawien
 
Rumänien und
Republik Moldau
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Sonntag, 8 Juni
Der Künstler
Vormittags erstatten wir Nico, einem begabten moldawischen Künstler und guten Freund von Ro­ber­to einen Besuch. Er wohnt in einer geräumigen Wohnung einer so genannten Chruschtschow-Siedlung. Die Wohnblöcke wurden in den 1950er und 1960er Jahre gebaut, als es galt, möglichst schnell möglichst viel Wohnraum zu schaffen, und ihre Namensgebung ist dem Erster Sekretär der KpdSU Nikita Chruschtschow zu verdanken. Bei schwarzem Tee und frisch gebackenen Placinta-Küchlein (kleine mit Käse gefüllte Pfannkuchen) unterhalten wir uns über Nicos Werke, Gott, Moldawien und die Welt.
Der 1977 in Moldawien gebürtige Designer, Maler, Bildhauer und Gestalter Nicolai Latunov, Ab­sol­vent des moldawischen College of Art und der Academy of Art in Kischinau kann bereits auf zahl­reiche Ausstellungen und Auszeichnungen zurückschauen. 2004 bis 2005 studierte er auch an der renommierten Florence Design Academy. Neben einer ganzen Reihe von ganz konventionellen Land­schaftsbildern die er einzig und allein zum Zweck des Broterwerbs produziert, entwirft er unter anderem auch äußerst fantasievolle, für den Karneval von Venedig gedachte Masken.
Tanz der Senioren
Mich zieht es zum Ştefan-cel-Mare-Park. Denn am frühen Nachmittag eines jeden Sonntags ver­sammeln sich dort einige Dutzende jung gebliebene Bürger, um sich nach den Klän­gen einer klei­nen Kapelle dem Tanz hinzugeben. Es scheint sich vorwiegend um russischsprachige Moldawier zu handeln, mehr kann ich, mangels Sprachkenntnisse, nicht herausfinden.
Da ich die Veranstaltung ziemlich ungeniert von allergrößter Nähe fotografiere, ziehe ich anfangs nicht wenige verwunderte Blicke auf mich. Aber bald scheint man sich an mich gewöhnt zu haben. Bei einzelnen Paare kann ich mich sogar dem Eindruck nicht erwehren, dass sie eigens für mich mit absolut perfekt aus­ge­führten Drehungen und Tanzschritten ihr Können demonstrieren wollen.
Es ist ein eigenartiges, fesselndes Schauspiel. Zwischendurch sprechen mich einige Herren mit ernstem Gesichtsausdruck an, mir wird nicht klar, ob sie sich beschweren, oder nur neugierig fragen, weshalb ich die Aufnahme mache. Gegen Ende der Veranstaltung kommt ein weißhaariger, ganz in Weiß gekleideter Herr, eine Art Dandy auf mich zu und reicht mir mit einem schüchternen Lächeln einen handbeschriebenen Zettel – auf Kyrillisch! Ich gehe aber davon aus, dass es sich um seine Anschrift handele.
Montag, 9 Juni
Reiseausklang
Im "Französischen" Café frühstücken wir mit Kuchen und Cappuccino. Erstaunlich, wie groß die Vielfalt an Backwerk und Torten ist, und wie vorzüglich sie schmecken! Als ich mir aber ein paar Notizen machen will und die Namen einiger Torten aufschreibe, kommt der Ober mit ernster Miene zu unserem Tisch, und teilt uns mit, dass dies nicht erlaubt sei. Sowjetunion-Syndrom? Angst vor Wirtschaftsspionage? Meint er, wir möchten nebenan eine Konditorei eröffnen? Es ist kaum zu fassen! Damit hat er sich um sein Trinkgeld gebracht.
Hier eine Auflistung der Spionageobjekte:
Rulada cu mac (Cremerolle mit Mohn), Torta "Shonbrunn" (!), Şarlotă cu căpşuni (Charlotte mit Erdbeeren), Torta cu Brânză si mac (Käsekuchen mit Mohn), Prăjitură croquembouche (Wind­beutel-Kuchen), Tartalită cu cremă de lămâje (Törtchen mit Zitronencreme), Tartalită cu vişine (Kirschtörtchen)
Man kann diese Stadt genießen. Sie ist beschaulich und lebendig zugleich. Wir haben heute nicht mehr vor, als gemütlich vom Café-Tisch aus das Auf und Ab der Menschen zu beobachten, noch etwas Geld zu wechseln und Wein einzukaufen. Der Weinbau hat nämlich in Moldawien eine lange Tradition und Kischinau wird nicht zu Unrecht das Bordeaux des Ostens genannt. Ich besorge mir zu einem Spottpreis einen außerordentlich guten Cabernet Sauvignon.
Apropos Alkohol: In Moldawien gilt im Straßenverkehr die Null-Promille-Grenze. Roberto erzählt, wie ihn eines Abends zwei Polizisten zum Alkoholtest aufforderten - das machten sie gerne, sagt er, um den Be­troffenen Geld abzuknöpfen, das dann gegebenenfalls in die eigene Tasche fließt. Einer der beiden ließ ihn also ins Röhrchen pusten - ohne Ergebnis. Noch immer nicht überzeugt forderte er ihn erneut zu einem - wieder erfolglosen - Versuch auf. Er solle stärker pusten, hieß es diesmal. Aber das Ergebnis blieb unverändert. Jetzt musste mein Neffe die ganze Prozedur unter der Regie des zweiten Poli­zis­ten über sich ergehen lassen. Als es auch diesmal zu keinem Ergebnis führte, wurde Roberto, mit einem letz­ten Hoffnungsschimmer, zur Geruchsprobe aufgefordert. Auch dies bei beiden Beamten. Roberto ließ das Ver­fah­ren mit großer Gelassenheit über sich ergehen, bis er letztendlich mit ei­nem unverhohlenem Grin­sen den Spruch "100% Coca Cola" von sich gab. Da mussten auch die Ordnungshüter schmunzeln und unverrichteter Dinge abziehen.
Diese liebenswürdige Stadt verabschiedet sich von mir mit einem kräftigen Gewitter. Ein derart heftiger Schauer geht nieder, dass das laute Prasseln des Regens so stark ist, als würde ein Tromm­lerregiment vorbeiziehen. Innerhalb von wenigen Minuten sind die Straßen stellenweise unter Wasser, so dass das Überqueren der Straßen zum Weitsprungwettkampf wird und das Gehen auf dem Trottoir zu Hindernislauf.
Dienstag, 10 Juni
Durch Moldawien
Was für ein Gefühl! Bleibe ich einmal mit dem Auto stehen, umgibt mich Stille. Der Wind säuselt, die Vögel zwitschern, ich bin allein mit der Natur. Es ist eine unbeschreibbare, weil völlig un­auf­fäl­lige, aber gerade deshalb herrliche Landschaft, die an mir vorbeizieht. Sie wechselt sich mit arm­se­lig, aber beschaulich aussehenden Dörfern ab, in denen alle paar Meter ein Ziehbrunnen zu sehen ist, und an jeder zweiter Ecke ein Wegkreuz. Ich erlebe wieder diese wunderbare tradi­tio­nelle Architektur mit ihren einstöckigen Häusern und kleinen Vorgärten, die sich hinter schmiede­ei­ser­nen Toren und bunt bemalten geschnitzten Holzzäunen verstecken.
Ich fahre und fahre und je näher ich an Rumänien komme, umso langgezogener und flacher wer­den die Hügel, als würde sie eine unsichtbare Kraft in die Länge ziehen.
Als ich einmal anhalte, um in einem Lokal entlang der Straße – verbotenerweise - ein Bier zu trin­ken, kümmert sich kein Mensch um mich, ich gelte offensichtlich sowohl an der Bar-Theke als auch am Tisch als unsichtbar. Bei der nächsten Tankstelle, bei der ich meine letzten Lei–Geldscheine los werde, kommt mir vom Tankwart nur ein dummer, ausdruckloser Blick entgegen, so dass ich mich ernsthaft frage, ob dieses vom modernen Leben der Hauptstadt abgekoppelte moldawische Hin­ter­land in völlige Apathie versunken ist.
Kurz vor Ungheni winkt vom Straßenrand eine junge Frau mit Kind um Mitfahrt. Einen Augenblick zögern und – schwuppdiwupp - schon bin ich ein paar hundert Meter weiter. Aber mein Herz hat bereits entschieden. Ich fahre die ganze Strecke im Rückwärtsgang zu ihr zurück. Die Kommu­ni­ka­tion beschränkt sich zwar ausschließlich auf meine Frage "Ungheni?" und ihre Antwort "Da!", aber ihre Präsenz auf dem Rücksitz ist wie ein Hauch Frühling für mich. Der zarter Duft ihres Parfums, mein kurzer Blick in ihr Dekollete, ihr sanftes, schüchternes Lächeln, der süße Fratz neben ihr, sie machen es aus. Die Vorstellung, dass es für diese junge Frau eine Fahrt in die "Stadt" ist, nicht in einen unbedeutenden Fleck auf der Landkarte, wie für mich, hat etwas Ergreifendes. Ihre Welt ist die einer fast verschundenen ländlichen Archaik, in die ich selbst einmal – wenn auch nur vorü­ber­gehend – eintauchen möchte.
Nachdem ich Ungheni verlassen habe, fahre ich in Richtung Grenze, jedenfalls versuche ich es, denn Hinweisschilder nützen nicht viel, wenn man nicht weiß, wie "Grenze" auf Rumänisch heißt. Als ich einmal eine Bäuerin nach dem Weg frage, verstehe ich von ihrem darauffolgenden Rede­schwall kein Wort. Nur ab und zu glaube ich das Wörtchen "potom" zu erkennen, das in den meis­ten slawischen Sprachen "dann" bedeutet. Die Frau ist also Russin.
An der Grenze steht noch – unbenutzt – einer der Wachtürme aus der Zeit des Eisernen Vorhangs. Diesmal gehen die Grenzformalitäten etwas schneller vonstatten. Ich muss nur eine "Local Tax" von fünf moldawischen Lei zu bezahlen, danach bleibt mir gerade noch ein Leu (etwa ein Euro- Cent) übrig – gut eingeteilt!
 
 
 
 
     
         
Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien Kischinau, Moldawien  Moldawien  Moldawien  Moldawien  Moldawien  Moldawien  Moldawien