26. März
Zurück aufs Festland
Bevor ich die Fähre zurück zum Fest­land nehme, gönne ich mir noch ein Bierchen (begleitet von einer Portion Congrio) in einem Restaurant an der Anlegestelle in Chacao.
Restaurant Canal de Chacao
Ich habe keine Eile! Puerto Montt kenne ich be­reits. Se­hens­würdigkeiten gibt es so gut wie kei­ne. Es sei denn, man findet Ge­fallen am Chaos der modernen Gebäude und den wenigen üb­rig­ge­blie­be­nen klei­nen Holzhäusern aus der Epoche der frü­hen Einwanderer. Die Ha­fenstadt Puer­to Montt wurde vor gut 150 Jahren von deut­schen Einwanderern er­rich­tet. Hotels und Lokale der Stadt tragen hier nicht selten deut­sche Namen, sie ser­vie­ren sogar Schwarz­wälder Kirsch­tor­te und das Wort „Kuchen“ ist auf jeder Speisekarte zu finden.
Im Salon de Té Rhenania
Das Fehlen schöner historischer Straßenzüge beruht auf das verheerende Erdbeben, das die Stadt am 22. Mai 1960 zu großen Teilen zer­stör­te. Das dreiminütige Beben mit Epi­zen­trum in Valdivia und einer Stärke von 9,5 Grad war das Erdbeben mit der weltweit größten je­mals aufge­zeich­ne­ten Ma­gni­tu­de und das schwers­te Erd­be­ben des 20. Jahr­hunderts.
Puerto Varas
In Puerto Varas schließe ichden Tag mit einem langen Spaziergang an der „costa­nera". Herrlich der Blick auf den Vulkan Osorno und den See.
Abend am Lago Llanquihue
27. März
Auf der Panamericana nach Norden
Ab Osorno wird die Ruta 5 (ein Teil der Pan­ame­ri­cana) ziemlich eintönig, nämlich zur schnur­ge­raden Autobahnstrecke in einer flachen, leicht be­sie­delten Landschaft. Zudem kommt Nebel auf. Erst als ich etwa auf der Hö­he von Valdivia bin, wird die Ge­gend wieder etwas anregender. Sie wird einsam und dicht bewaldet und weckt daher gleich wieder meine Aben­te­uer­lust. Ab und zu reißt der Nebel auf und ein paar Sonnenstrahlen zau­bern an­spre­chen­de Licht-Schatten-Muster auf die Landschaft.

BUCHEMPFEHLUNG
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Um mein Ziel zu erreichen, müsste ich bei der Ausfahrt „Los lagos“ nach Osten ab­zwei­gen. Leider wird sie zwar angekündigt,aber es fol­gen dann nur Hin­weise auf klei­ne Ortschaften, die auf meiner Straßenkarte nicht zu fin­den sind. Endlich dann ein Hinweisschild nach Malihue, das auf der Strecke liegt. Nach wenigen Kilo­me­tern ist es aber aus mit dem As­phalt – „fin de pa­vi­men­to“ –, und es warten 37 km „camino de tierra“ (Schot­ter- oder Erdstraße) auf mich.
In Argentinien gibt es Zehntausende von Ki­lo­metern davon, in Chile viel­leicht we­ni­ger: von den harmlosen aus fest gestampfter Erde, die auch hö­he­re Ge­schwin­dig­ke­iten erlauben, zu denen mit lo­cke­rem Schotter, bis hin zu jenen mit großen, halb aus dem Boden ragenden und nicht selten scharf­kan­ti­gen Steinen, die die Reifen mürbe machen und ölwanne und ähnliche empfindliche Auto­tei­le stark gefährden.
Als ich an einem ver­fal­lenen Haus vor­beifahre und in einer fast absoluten Stille das Kreischen der Tero Tero (Sporn­ki­bitze) höre, macht sich bei mir die Hoffnung breit, in ein nicht allzu sehr „er­schlos­se­nes“ Gebiet angekommen zu sein. Aber meine Freude hält nicht lange an. Offen­sicht­lich habe ich nur ver­fahren
Am Ende der Schotterstraße führt mich eine bestens aus­ge­bau­te Straße weiter in Richtung Panguipulli, einer Gemeinde in der Pro­vinz Valdivia. Und dass dieser Ort nicht von Touristen über­lau­fen ist, ist wohl nur der späten Jahreszeit zu verdanken. Mir soll es recht sein! Die Stadt Panguipulli liegt direkt am Westufer des gleich­na­mi­gen tiefblauen und glasklaren Sees und ist ein be­lieb­tes Tou­ris­muszentrum, das besonders von Anglern sehr gerne besucht wird.
Die Turmkirche von Panguipulli
Es werden hier unter anderem Forellen und Lachse gefangen. Lohnenswert ist ein Besuch der Kirche, die 1947 vom Kapuzinermönch Bernabé de Lucerna (aus Luzern) gebaut wurde und einen markanten Schweizer Einfluss aufweist. Es war vor allem seine Holz­bau­wei­se, die der Kir­che half, die beiden ver­hee­ren­den Erdbeben von 1960 und 2010 zu überstehen.
Das Naturschutzgebiet Huilo Huilo
Der Valdivianische Regenwald ist ein weltweit einzigartiges immergrünes und kalt­ge­mäßigtes ökosystem, das zwischen der chilenischen Pa­zi­fikküste und den Anden liegt. Die Temperatur liegt im Jahresdurchschnitt nur zwischen 11° und 12° C, und die Niederschlagsmengen betragen bis über 2400 mm im Jahr. Entsprechend hoch ist die jährliche Anzahl von Regentagen, bei ständig hoher Luftfeuchtigkeit. Inmitten der ur­sprüng­li­chen Natur dieser süd­chi­le­nischen Kalt­re­gen­wälder liegt das 100.000 Hek­tar große Na­tur­schutz­ge­biet Huilo Huilo, dass im Jahr 2007 zum Bio­sphä­ren­re­ser­vat der UNESCO erklärt wurde.
Gut ausgebaute Schotterstraße
Unter den Tieren, die in diesem Naturreservat geschützt wer­den, befinden sich der Huemul (Hippocamelus bisulcus), die Chilenische Wald­katze (Leo­pardus guigna), die Pampaskatze (Leo­pardus colocolo), der Andenschakal (Lyca­lopex culpaeus) und die Chiloé-Beu­tel­ratte (Dromiciops gliroides).
An dieser Stelle muss ich ehrlicherweise zu­ge­ben, dass es nicht die Ur­sprüng­lichkeit dieses Regenwalds und die exotischen Tiere waren, die mich in diese Gegend gelockt haben, sondern ein äußerst extravagantes Hotel, das ich unbedingt sehen wollte:  die „Montaña Magica“ (deutsch: der Zauberberg).
In den 1970er Jahren war  die Gegend um den Vulkan Mocho Choshuenco in Gefahr geraten, ihren natür­li­chen Zustand zu verlieren. Wald wurde gerodet, autochthone Tiere wurden durch einge­schlepp­te Arten verdrängt, und die Dorf­be­wohner mussten immer häufiger weg­zie­hen, um Ar­beit zu finden. Es war der Ge­schäfts­mann Victor Pe­ter­mann, der 1990 ein etwa 100.000 Hektar großes Areal  kaufte, um daraus zu­sam­men mit Naturschützern ein privates Na­tur­re­servat zu machen, das 1999 schließ­lich eröffnet wurde.
Die Lodge Montaña Magica
Victor Petermann hatte auch die Absicht, eine Form von nachhaltigem Tou­rismus zu ent­wi­ckeln und die Ge­mein­den vor Ort zu stärken. Ein Hotel muss­te her, das in die Natur ein­gebunden und extra­va­gant ge­nug sein musste, um Tou­ris­ten anzu­locken. So ließ er mitten im Wald die skur­ri­le Lodge Montaña Magica errichten, die der Form ei­nes Vul­kankegels nach­ge­baut ist, und an des­sen  grün be­wach­se­nen Außen­mau­ern ein Was­ser­fall hi­nun­ter rinnt. Erst wenn man genauer hin­sieht, ent­deckt man zwi­schen Klet­ter­pflan­zen und Moos die Fenster der Zimmer.
Stil der Montaña Magica
Das Konzept war erfolgreich. Es gelang sogar, den fast ausgestorbenen Huemul neu an­zu­siedeln. Die Dorf­be­woh­ner wurden zu Na­tur­schützern, Reise­füh­rern und Hotel­an­ge­stellten ausgebildet,und das außerge­wöhn­li­che Hotel war schon kurz nach seiner Errichtung kein Ge­heim­tipp mehr. So wurde ein weiteres Hotel gleich da­ne­ben ge­baut, das Hotel Baobab, das später auf Nothofagus umbenannt wurde, den wissen­schaft­li­chen Namen einer Familie von einheimischen Bäumen wie Ñire, Lenga und Coihue.
Hotel Nothofagus
So beschreibt es die Werbung: „Hervorragend ein­ge­passt in das Bio­sphä­ren­re­servat von Huilo-Huilo, bietet das Hotel Nothofagus spekta­ku­läre Ausblicke auf den Kalt­re­gen­wald und auf Vulkane des Vorandengebirges. Den Gast er­war­te­t eine gelungene Mischung aus Natur­nähe und An­nehm­lichkeiten eines ge­mütlichen und stil­vollen Hotels.“ Unnötig zu sagen, dass sich der Preis in dünner Luft bewegt. Unter 200 US$ für das Einzelzimmer geht gar nichts. Zu meinem Glück ist kein Zimmer mehr frei und ich muss mit einer „cabaña", einer mit allem Kom­fort ver­se­he­nen Blockhütte, vorlieb nehmen.
Meine cabaña
Das dritte Hotel im Bunde, die Lodge Reino Fun­gi, setzt die architektonische Linie des ethni­schen Surrealismus der beiden anderen fort. Es hat die Form eines Pilzes.
Im Restaurant des Hotel Nothofagus
"Salmon grillado posado en pastelera de choclos, bañado en mantequilla de luche y cebollitas gla­seadas“ (Gegrillter Lachs an Creme von Mais­kör­nern mit Algenbutter und glasierten Perl­zwie­beln). „Semifrìo de Membrillo en salsa de Toffe, espuma de Murtas y Crocante de Sesamo“ (Quitten-Parfait mit Ka­ra­mellcreme, Murta-Schaum und Sesamkrokant). Keine Frage, dass bei sol­chen Gerichten die Rechnung üppig ausfällt. Für hiesige Maßstäbe, versteht sich. Die Lautsprecher flüstern die dazu pas­sende sanfte Musik in den Raum.
Das Nothofagus gleicht einem riesigen aus­ge­höh­lten mehrstöckigen Zylinder, dessen Einrichtung komplett in Naturholz ist, und in dessen Mitte, wie in ei­nem über­ho­hen Patio, ein Baum wächst. Von meinem Tisch in Res­tau­rant kann ich den plätschernden Wasserfall im Par­terre sehen und die Rampe, die von Stockwerk zu Stockwerk zu den Zimmern führt.
Das Paradoxe: Die letzten dreißig Kilometer zu diesem Hotel der Superlative führten wieder über eine unbefestigte steinige Straße, ein äußerst holpriges und staubiges „camino". Dieses fan­tastische Hoteltrio, mitten im tiefsten Ur­wald ge­le­gen, war von der Straße aus zunächst kaum zu sehen. Ebenso die ganz in der Nähe gelegenen – preis­werteren aber umso ori­gi­nel­le­ren - Baum­häu­ser des Canopy Village.

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28. März
Hochnebel, Wolken? Die wundersamen Hotels sind an diesem Morgen in ein ge­spen­s­tisches Grau getaucht. So kann ich mir die Zeit nehmen, um ohne Zeitdruck gemüt­lich zu frühstü­cken. An dem reichlich gedeckten Buffet drängen sich noch zahlreiche Gäste. Die Meisten von ihnen seien Teilnehmer eines Kongresses, erklärt mir Herr Morales, den ich gestern kennen gelernt habe, und der es wissen muss, denn seine Frau ist Teilnehmerin eines On­ko­logie-Kongresses. Das erklärt auch, wes­halb die teu­re Herberge aus­ge­bucht ist. Herr Morales schwärmt unentwegt von Valdivia, vor al­lem von den Häusern mit typisch deutscher Bauweise, die er mir aus seinem Note­book zeigt. Mehr als eine Halbe Million Chilenen stammen von Deutschen ab und ihr Haupt­sied­lungs­ge­biet war genau hier im Kleinen Süden von Chile.
Der Urwaldpfad
Zum tiefen „Erleben“ des Regenwalds komme ich kaum, zu düster ist die vom Nebel verschlungene Natur. Der Bewuchs ist so stark, dass man ohne Machete den Weg gar nicht verlassen könnte. Wäre der Pfad hinunter zum „Salto Leo­na“ (Wasserfall der Löwin) nicht so gut be­schildert, mit Lauf­ste­gen ver­se­hen und z.T. mit Holzge­län­dern gesichert, könn­te dieses Ambiente meine Fan­ta­sie anregen und mich Ge­fahren und Abenteuer ge­dank­lich erleben las­sen, als seien sie Realität. In der Tat, wenn ich einmal stehen bleibe, so­dass meine Schritte kein Geräusch mehr er­zeugen, überfällt mich eine wun­der­ba­re Stille, die zu dieser Stunde nicht einmal von Vo­gelstimmen gebrochen wird. Ich fühle mich in die Urzeit zurück­versetzt, aber ohne deren Gefahren.
Puerto Fuy
Ich fahre weiter nach Puerto Fuy, am Pirehueico See. Trotz der auffälligen Ur­sprüng­lichkeit der Landschaft befinde ich mich in einer Tou­ris­mus­ge­gend. Die Hotels sind nur unauffällig in die Landschaft integriert. Es werden Ka­nu­fahr­ten, Ritte, Rafting und Fischpartien angeboten. Nur der späten Jah­res­zeit verdanke ich, dass ich diese pa­radiesische Gegend fast für mich allein habe.
Hotelschwimmbad in Puerto Fuy
Eine Fähre stehtim kleinen Ha­fen an der Anlegestelle. Um ein Uhr nachts könnte ich mit dem Auto zum Ost­ufer übersetzen, und käme damit ganz nahe an die ar­gentinischen Grenze heran, etwa auf der Höhe von San Martin de los Andes. Leider erfahre ich, dass der Grenz­über­gang geschlossen ist. So muss ich wohl oder übel zurück über Osorno und den Cardenal-Samoré-Pass.
Graues Wetter über dem Panguipulli-See
Während der Rückfahrt trübt sich das Wetter ein, und es setzt zeitweise ein heftiger Regen ein. Chilenisches Wetter, also.