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Südböhmen
Böhmerwald
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Samstag abend, 27. August 1994 |
Während ich in der
Dunkelheit zurück nach Lipka fahre, in den Fünf-Häuser-drei-Pensionen-Ort,
in dem meine Unterkunft ist, fliegen mir, wie Gespenster in
einem Spukschloss, leichte, durchsichtige, nur
durch die Autoscheinwerfer sichtbar gemachte Nebelschwaden entgegen.
Es sieht so aus, als möchten sie mein Fahrzeug umhüllen,
verführen, nur um hinter ihm wieder schnell und spurlos
zu verschwinden. Ein Gemisch an Freude und Melancholie und eine
seltene Klarheit durchdringen meine Gedanken. Ich fühle
mich fast so weit weg von meiner gewohnten Welt wie einmal in
Ronda, Andalusien, und empfinde eine ähnlich erstaunliche
Nähe zu den Dingen, wie damals in Kargil, in den Bergen
Kaschmirs, als ich jene mir verschlossene Welt fremder Menschen
beobachtete. |
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Ich
frage mich, welche Eigenschaft des Reisens es ist, die
solch eine Faszination auf mich ausübt, was es denn ist,
das in mir so intensive Gefühle auslöst. Allein
das "Neue" an den Eindrücken kann es doch nicht
sein. Ich denke an den gestrigen Tag, an die Fahrt
durch diese Landschaft, die ich so sehr mit dem amerikanischen
Bergriff "big sky country" umschreiben könnte,
denn die Hügeln des Böhmerwalds sind
weitläufiger, größer, bewaldeter als
die im benachbarten, in vielen Aspekten doch so ähnlichen
Bayern. |
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Man findet stellenweise
eine Leere, ein Licht und eine Stille, die mich an die unendlichen
Weiten von Amerikas Westen, wie ich es aus unzähligen Filmen
kenne, erinnern. Ich habe das Gefühl, durchatmen zu können,
mein Blick kann von einer Seite dieser unendlichen Leinwand,
auf der ich meinen "Western" anschaue, bis zur anderen
schweifen, ohne dass meine Augen ermüden, ohne
dass ich das Bedrohliche einer wilden zerklüfteten Berglandschaft
erlebe oder das Hässliche einer von den Menschen zersiedelten
Natur. |
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Man
hat anfangs den Eindruck, es gäbe nicht viel zu sehen,
was aber nur daran liegt, dass man es nicht auf einmal sieht,
dass die Überraschungen einen immer nach der
nächsten Kurve erwarten, hinter dem nächsten Berggipfel,
oder am nächsten Morgen. Einmal sind es die Ebereschen,
die ihr leuchtendes Rot in den Alleen am Straßenrand
zur Schau stellen, ein anderes Mal ist es der Wind,
der den Himmel klargefegt hat, und die raschelnden Blätter
der Silberpappeln immer wieder so wendet, dass man
ihre Silberseite sieht. |
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Dann sind es wieder verwilderte
Kornfelder, in denen nur wenige Ähren daran erinnern,
das dies einmal Kulturlandschaft war; hier haben die gelben
Gräser die Vorherrschaft gewonnen, das Rispengras,
die Kratzdisteln, der Bährenklau und viele, die mir unbekannt
sind. Am frühen Morgen ist es eine Freude, knietief in
solch einem Feld zu stapfen. Kein Bauer in Sicht - ist es überhaupt
Bauernland? -, der einem das verbietet. Ein Reh, durch
mein Erscheinen aufgeschreckt, läuft wenige Meter vor mir
davon. Was für ein Geschenk diese weder gebrauchte
noch verbrauchte Landschaft! |
Winterberg |
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Man
kann freilich auch unangenehme Überraschungen
erleben, wie heute, als an der Peripherie von Vimperk
(Winterberg) plötzlich eine Reihe hässlicher
Wohnsilos vor meinen Augen erschien. Ich war
noch von den Wäldern und Wiesen im goldenen Spätnachmittagslicht
völlig berauscht, als diese heruntergekommenen Symbole
des sozialistischen "Fortschritts" wie aus dem
Nichts auftauchten, fast unwirklich in dieser
Umgebung und nur grässlich, nur klotzig,
nur absurd. |
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Nichts wie weiterfahren,
dachte ich, und als kurz darauf auch noch ein für den kleinen
Ort völlig überdimensionierter Verkehrsknoten auf
mich zukam, konnte ich nicht anders als meinen Blick abwenden
und fest auf das Gaspedal drücken. Doch die Wege der Göttlichen
Vorsehung sind unerforschlich! Weil nämlich die Straße
nach Kubova Hut (Kubohütten) direkt an der Altstadt
von Vimperk vorbeifährt und mein Blick deshalb unvermeidlich
auf die mächtige Burganlage fallen musste, brauchte die
Stadt keine zwei Minuten, um meine Neugierde zu wecken, mich
für einen Abstecher von der Straße abbiegen zu lassen
und mich schließlich für sich zu gewinnen. |
Lipka |
Da ich keine Übernachtunsnöglichkeit
fand, fuhr ich weiter. Bereits wenige Kilometer südlich
der Stadt lockte mich ein Wegweiser in eine kleine Nebenstraße,
und sofort - ich sah mich inmitten einer idyllischen Landschaft,
streckenweise durch kleine Wäldchen und an einzelstehenden
Gehöften vorbeifahren - erwachten meine Lebensgeister
wieder.
Endlich ein kleiner Ort, Lipka, mit "Hotel".
Ein Kellner mit ausdruckslosem, unterwürfigem Gesicht.
"Zimmer?" Er schüttelte den Kopf! Der Ort bestand
nur aus wenigen Häusern, einem Sägewerk und - zwei
Hinweisschilder sagten es mir - zwei Pensionen. Ein paar hundert
Meter Autofahrt, wieder ein paar Absagen aber dann hatte ich's. |
Koffer ausgepackt, mich
schnell erfrischt und umgezogen, und schon saß ich wieder
im Auto, wieder unterwegs zum fünf Kilometer entfernten
Winterberg. |
Wieder in Winterberg |
Woraus ergibt sich die
Faszination eines Ortes? Ich gehe in Gedanken die Schritte nach,
die mich durch Winterberg führten. Geschwind, noch bevor
es vollends dunkel wurde, marschierte ich, vom Parkplatz unterhalb
des Schlosses ausgehend und links an einem alten Fabrikgelände
vorbei, den Weg hinauf zur Burg. Der mächtige Bau ähnelte
dem von Krummau, er war nur nicht so langgezogen,
der Innenhof nicht restauriert und für Touristen aufpoliert,
und es lag ein Hauch von Verfall über den Mauern, Türen,
Türmchen, überdachten Außentreppen und kleinen
Nebenhöfen. In jener Stunde der Dämmerung war kein
Mensch zu sehen, alles wirkte verlassen, als ob es seit einer
Ewigkeit nicht mehr betreten worden sei, und ich versuchte mich
gedanklich in diese Ewigkeit zurückzuversetzen. |
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Laut
Reiseführer befindet sich im Schloss ein kleines, liebenswertes,
aber in dieser Jahreszeit geschlossenes Museum mit
einer Sammlung von Flora und Fauna des Böhmerwaldes, einer
Glasaustellung und einer Ausstellung über
die Entwicklung der Buchkunst. Denn hier in Winterberg gab es
eine der ersten Buchdruckereien Böhmens, und in den darauf
folgenden Jahrhunderten hatte die Druckereikunst eine Lange
Tradition. Wenn man vom Weg zur Burg hinunter auf
die Altstadt sieht, wird der Blick durch keine verschandelnde
Aussicht entstellt. Die Betonklötze sind auf der anderen
Seite vom Berg, entlang der Ausfahrtsstraße hinter
der Biegung des Flusses. Es gibt eine Perspektive
der Schönheit und eine der Ernüchterung. |
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Wieder am Parkplatz zurück
nahm ich nun den kurzen Weg links hinauf zum Stadtplatz. Auch
hier begegnete mir kein Mensch, es war schon fast dunkel, und
der Himmel war metallblau und klar. Die Fassaden der Häuser
verschwanden gerade in diesem Dunkelblau und verwandelten sich
langsam in Silhouetten, bei denen nur die beleuchteten
Fenster etwas sichtbares verkörperten. Aus einem dieser
Fenster gelang Klaviermusik ins Freie. Ich blieb stehen. Ich
konnte niemanden sehen, niemanden hören, nur die mir
unsichtbare menschliche Präsenz hinter den Wänden
der Wohnungen wahrnehmen. In diesem stillen, unwirklichen Augenblick,
als nicht einmal meine Schritte mehr zu hören waren, tauchte
ich in die Musik und in die Monotonie der mir unverständlichen
Worte, die aus dem offenen Fenster herauskamen, ein. Die Luft
war lau, kein Auto brummte die Ruhe aus den Gassen, kein Geräusch
lenkte mich von der Musik und vor den Gedanken an die Menschen
in diesem Zimmer ab. |
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Dass
ich eine allerorts auftretende Situation wie Musik, die aus
einem Fenster kommt, überhaupt als etwas Besonderes erleben
konnte, gibt mir Anlass zum nachdenken. Wenn man von zu
vielen Eindrücken bombardiert wird, kann man
die meisten von ihnen nicht mehr wahrnehmen. Tausendfache
Ablenkung lässt Ereignisse, Situationen und Personen
verschwinden. Die Arbeit an Konzentration, die
man erbringen müsste, um dies zu vermeiden, wäre derart
groß, dass man die Einzelheiten in der Realität
meistens gar nicht sehen würde. So war es nur die Stille,
die die Musik in den Vordergrund meines Bewusstseins
projizieren konnte.
Oft sind es Erinnerungen, die das Faszinierende eines Augenblickes
ausmachen! Diese Musik vergegenwärtigte
mir schlagartig und mit ungewöhnlicher Klarheit die
Atmosphäre manch träger Mittagsstunde im sommerlichen
Italien. Die Rolläden sind halb heruntergelassen,
um die Mittagshitze nach draußen zu bannen, im Halbduklen
liegt man bei der Siesta, liest oder lässt nur seine Gedanken
durch die Luft schwirren. Und von draußen, eher leise
als penetrant, eine aus irgendeinem Fenster strömende
Musik: alte Schlager, süße, honigklebrige Lieder,
die man heute nicht mehr hört. |
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Nachdem ich ein paar Augenblicke
lang mit diesen Gedanken innegehalten hatte, ging ich die letzten
Schritte hinauf zum Hauptplatz. Das untere Ende von diesem leicht
abfälligen, länglichen Platz wird durch den Stadtturm
begrenzt, in der Mitte stehen einzelne knorrige Bäume und
ein trockener Brunnen (vielleicht ist es eine ehemalige Waschstelle),
während sich am oberen Ende der Weg rasch in der freien
Natur verliert. |
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Bei
keinem der zwei- bis dreistöckigen Häuser war
- wie es im Westen Usus ist - die Fassade durch Ausgestaltung
mit riesigen, unansehnlichen Schaufenstern und
Geschäften entstellt worden. Wenn nicht ein Dutzend Autos
auf dem Platz gestanden wären, hätte man nicht
gewusst, in welchem Jahrhundert man sich befand. Und selbst
diese Autos, die alten Skodas, Renaults und Ladas, sie
verkörperten eher eine "alte" vergangene Welt.
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Das Fehlen von neuen, dicken,
protzigen Autos der oberen Klasse ließ erkennen, dass
der Platz nicht zu einer musealen Fassade für nostalgische
Neureiche verkommen war. Es lebten "wirkliche" Menschen
hier, die Stadt spielte kein Theaterstück für Touristen,
um ihnen einen halbstündigen Einblick in eine wiederhergestellte
künstliche Vergangenheit zu gewähren. |
Aus einem Gasthaus drangen
Stimmen angetrunkener Menschen zu mir, eine Gruppe von Passanten
eilte desinteressiert vorbei, während ich mit Bedacht und
Genuss die Fassaden beobachtete, die gespenstisch von Straßenlampen
mit orange-gelbem Licht angestrahlt wurden. Am oberen Ende des
Platzes, das zugleich das Ende der Stadt ist, hörte ich
wieder Stimmen aus einem Fenster, ich sah, ohne die Menschen,
die darin wohnten, selbst zu sehen, gelb beleuchtete Zimmer,
Lampen, Bücherregale, Bilder an der Wand, Stuck an der
Decke - eine altmodische Welt. Es war so, als würde ich
in die alten Wohnungen der Herrnsdorferstraße im Wien
meiner Kindheit schauen, seit Jahrzehnten unverändert,
verstaubt, aber von jungen Leuten bewohnt. Die Alten haben nur
ein wenig ihrer vergangenen Welt hinterlassen, ihre Formen und
Dekorationen, sie selbst sind weggestorben und die
Jungen haben das Inventar unverändert übernommen.
Mit Altem assoziiere ich Beständigkeit, Sicherheit, gewissermaßen
ein Quäntchen Unsterblichkeit. |
Sonntag, 28. August 1994 |
Koubany-Urwald |
Eier, Wurst, Käse
und Kuchen, daraus besteht mein üppiges Sonntagsfrühstück.
Ich kann nur einen Bruchteil dessen, was mir aufgetischt worden
ist, verzehren. "Kleine Essen weg" wiederholte
daraufhin mein Gastgeber mehrmals; und als ich immer noch nicht
verstand, brachte er mir zwei Butterbrotpapiere zum Einpacken
und Mitnehmen der Frühstücksreste. Überrascht,
aber erfreut und etwas nachdenklich packe ich meinen "Proviant"
für den Tagesausflug ein. |
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Das
trifft sich gut, denn mein heutiges Ziel ist der Boubín/Kubany-Urwald.
Der Kubany (1362 m) ist ein Berg, der seit über
140 Jahren unter Naturschutz steht und dadurch einen urwaldähnlichen
Charakter angenommen hat. An sich unterscheidet sich
der Wald nicht sehr von denen, die anderswo in der
Gegend zu finden sind, die Stämme sind lediglich ein wenig
umfangreicher. Es ist die Mischung aus Fichten,
Tannen und Buchen und einer Vielzahl von teils riesigen
Farnen, die diesen Wald gegenüber den mir bekannten
Fichtenplantagen hervorheben. Ich kann freilich nicht
beurteilen, ob die Flora hier besonders artenreich
ist.
Besonders interessant finde ich den kleinen Kernbereich,
der heute eingezäunt ist, um die Besuchermassen
- und somit leider auch mich - fernzuhalten. Hier versetzt
mich tatsächlich die Mächtigkeit der älteren
Stämme in Erstaunen, und vor allem die Unzahl gefallener
Bäumen, die zerfallend, vermodernd, mit den ausgerissenen
Wurzeln gespenstisch in die Luft ragend, kreuz und quer seit
Jahren und Jahrzehnten im ansonst recht lichten Wald herumliegen. |
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Winterberg, letzter Besuch |
Gegen Abend zieht es mich
aufs neue nach Winterberg. Ich will noch einmal das faszinierende
Eintauchen in die Vergangenheit genießen, das Zurückziehen
in die stillen Gassen und in eine Welt anderer Gedanken und
Gefühle als jene, die ich im Alltag in mir herumtrage. |
Warum, frage ich mich,
bin ich nur derart von alten Gemäuern fasziniert, warum
üben alte Fabrikgelände, verstaubte Werkshallen,
eingeschlagene Fenster und abbröckelnder Putz eine so starke
Anziehung auf mich aus, wie es kein architektonisch noch so
gelungener Glaspalast der Moderne je schaffen könnte? Warum
schlägt mein Herz stärker beim Betrachten von alten
Mauern, deren Ritzen bewachsen sind, von Steintreppen, die durch
zigtausend Tritte speckig-glatt geworden sind, beim Ansehen
von alten Türen, von Kopfsteinpflaster, von rußgeschwärzten
Fassaden? Es spricht daraus eine Sehnsucht in mir nach etwas,
was ich nicht mit Worten erklären kann. Vielleicht muss
ich immer wieder hierher kommen, mir die Zeit nehmen, diese
Eindrücke wiederholt auf mich einwirken lassen und immer
und immer wieder in mich hineinblicken, um die Gefühle
zu finden, die die Quelle solcher Sehnsucht sind. |
Dunkle Nacht |
Inzwischen bin ich wieder
bei der Pension zurück. Hinter dem Haus, wo die Hausbeleuchtung
nicht hinreicht, taucht man in die Dunkelheit ein. Der Himmel
ist noch klar von dem heftigen Spätnachmittagsgewitter,
die Luft noch halbwegs warm, und es ist absolut still. Meine
Ohren sausen zwar noch ein wenig von der Autofahrt, ich höre
mein Herz klopfen und die Grillen zirpen, aber sonst kann ich
nichts wahrnehmen. Zwei gerade noch wahrnehmbare Kondensstreifen
vorbeigeflogener Flugzeuge verschwinden langsam am dunkelblauen
Abendhimmel und die Sterne schauen auf mich herab. |
Im Wohnzimmer platze ich
in eine familiäre Atmosphäre hinein, die ich in einem
der klotzigen Hotelbunker für gut zahlende Westler
kaum gefunden hätte. Zwei Kinder (Mädchen) laufen
in langen Nachthemden herum, die Mutter bereitet in der kleinen
Küche das Abendessen vor. |
Als ich später noch
vom Balkon hinauschaue, ist es pechdunkel, es sind nur die Sterne
und ein paar schwach beleuchtete Fenster in der Ferne zu sehen.
Es ist absolut still.
Anders als bei Kindern, die sich unentwegt von neuen Eindrücken
angezogen fühlen und gar nicht satt werden von alledem,
was sich bewegt, Lärm macht, farbig ist und sich um sie
herum bemerkbar macht, neige ich beim älter werden
immer mehr dazu, das Wesentliche auszusuchen, und den ganzen
Schrott, den meine Sinne gezwungen sind in ununterbrochener
Vergewaltigung ihrer selbst zu schlucken, abzuwehren: die kontinuierliche,
omnipräsente Berieselung durch Musik, oder was andere erstaunlicherweise
darunter verstehen, die penetrante, abstoßende Werbung,
den Verkehrslärm, die Flut von Dingen, die man
nur braucht, weil man meint, dass man sie braucht, oder schlimmer
noch, weil andere meinen, dass wir sie brauchen. Wenn man daran
denkt, dass seit Hunderttausenden von Jahren oder mehr, seit
es die Menschheit gibt, das Meiste, was man heute benutzt, nicht
existiert hat, dann ist die Frage sehr schnell beantwortet,
ob man darauf verzichten könnte. |
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