Wie
man's macht, macht man's falsch. Will man den Morgenstress vermeiden
und gönnt sich genügend Zeit bei café au lait
und Croissants, kommt man am Abend bei der Unterkunftssuche in Bedrängnis.
Mon Dieu, ist dieses Frankreich groß! Und wie ich solch ein
Brettern auf der Autobahn hasse, dieses Fahren und Fahren ohne etwas
wirklich zu sehen. Wenn ich aber von der Autobahn herunter fahre,
um die Schönheit der Landschaft gemächlich von den Nebenstraßen
aus zu genießen, dann merke ich erst recht, wie schnell die
Zeit wegrennt. Einmal ist es ein Traktor, den ich ewig lange nicht
überholen kann, dann ein Lkw-Konvoi, der mir auch noch stinkenden
Russ in die Lunge pustet, oder es ist die Hitze, die mich zu einer
Rast zwingt. Vorausgesetzt, ich finde überhaupt eine offene
Bar oder ein Restaurant.
In Frankreich scheint sich tatsächlich alles auf die Ferienmonate
Juli und August zu konzentrieren. Jetzt, Ende Juni, sind die Campingplätze
verwaist und viele Restaurants und Pensionen noch geschlossen.
Ich fahre, fahre und fahre. Zur Abwechslung wieder einmal mit der
Absicht, vorwiegend Landstraßen zu benutzen. Ich möchte
über Aurillac und Figeac nach Montauban
gelangen, von dort weiter zur Autobahn nach Toulouse,
und von dort schließlich weiter in Richtung Pyrenäen
kutschieren. Und es gelingt mir sogar, ungeachtet der heißesten
Stunde des Tages, die das Fahrzeuginnere in einen Ofen verwandelt,
die Strecke einigermaßen zu genießen: Im wildromantischen
Tal des Cèle stoße ich auf das pittoreske Dorf
Espagnac-Sainte-Eulalie, eine Etappe auf dem Pilgerweg nach
Santiago de Compostela, mit dem alten Kloster, das auch
als Herberge für die Pilger fungiert; ein paar Kilometer weiter
fahre ich durch St. Sulpice mit seinen in den Fels gebauten
Häusern, die wie Adlerneste unter dem überhängenden
Felsen in der Wand hängen; in Marcilhac nehme ich schließlich,
in der Hoffnung, etwas zu essen zu bekommen, unter den Lauben eines
Restaurants du Tourism Platz. Leider ist die Küche aber bereits
geschlossen und ich muss mich mit einem Eis am Stil begnügen.
Ich kenne kaum einen besseren
Zeitvertreib, als entspannt und mit offenen Augen an immer unterschiedlichen
Plätzen zu sitzen, mich ausgiebig dem Beobachten der
Menschen zu widmen – bird watching – und mit
meinen Gedanken, die Atmosphären wie einen süßen
Duft, der die Fantasie stimuliert, einatmend, ins lokale Ambiente
einzutauchen.
Bis auf eine belgische Kleinfamilie (ein
zur Fülle neigendes, bieder wirkendes Elternpaar mit einem Baby und zwei blonden Buben
mit schokoladeeisverschmiertem Mund) und
zwei ältere Paare in Wanderkluft ist kaum etwas vorhanden,
was meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte. Aus der nach
außen offenen Küche gelangt Knoblauch-Geruch und der
Dampf von heißem Abspülwasser zu mir. Ohne mir das Phänomen
genauer erklären zu können, merke ich, wie diese "Düfte"
mit dem Babygeruch und den Körperausdünstungen der Wanderer
zu einem merkwürdigen Gemisch verschmelzen, der von Sommer,
Süden, Hitze, menschlicher Nähe und Bauernstuben spricht.
Etwas später, endlich auf der Autobahn in Richtung Toulouse
unterwegs und mit der zackigen Kette der Pyrenäen bereits gut
sichtbar in der Ferne, fühle ich mich ganz nahe am Ziel. Welch
ein Schauspiel bietet sich an diesem kristallklaren Sommertag meinen
Augen. Es ist ein merkwürdiges, Glück bringendes Gefühl,
das sich meiner Seele bemächtigt, ein starkes, mir wohl bekanntes
Gefühl, dass ich nicht zum ersten Mal erlebe. Wenn ich bei
einer nicht ganz alltäglichen Wetter- und Lichtlage in die
Richtung entfernter Berge fahre, ist es mir, als würde ich
einer Traumwelt entgegen schweben, in der die Abenteuergeschichten
meiner Kindheit lebendig werden und ich einer Freiheit begegne,
die beglückende Entdeckungen verspricht.
Und dann sind sie da, die grünen, bewaldeten, einsamen, in
goldenem Licht getauchten Berge, zum Greifen nahe. Die Landschaft
hat in diesen späten Nachmittagsstunden, bei einer Luft, die
nicht klarer sein könnte, und bei einem Himmel, der keine einzige
Wolke aufweist, einen Höhepunkt an Schönheit erreicht.
Und ich kann kaum Siedlungen erblicken, die die Einsamkeit dieser
Berge stören.
Aber so viel ich auch fahre, ich komme den Bergen nicht näher.
Denn die Autobahn fährt genau parallel zu ihrer Hauptkette.
So verlasse ich die Autobahn und versuche es auf der Landstraße.
Aber die Berge bleiben weiterhin eine Fata Morgana, ich komme ihnen
immer noch nicht näher. Die Strecke fährt jetzt parallel
zur Autobahn und die Orte sind eine Folge von nichts sagenden, offensichtlich
erst in den letzten vierzig Jahren entstandenen Anhäufungen
von Häusern, die mehr Vorort- als Dorfcharakter haben, sehr
zersiedelt sind und kräftig durchwachsen mit "Gewerbegebieten",
Tankstellen und Supermärkten.
Die Zeit fliegt. Einmal versuche ich es mit einem Abstecher zu einem
abseits der Straße gelegenen einsamen kleinen Dorf. Es ist
bäuerlich, auf seine Art schön, wirkt aber auf mich wie
ein Geisterdorf: keine Menschen auf der Straße, keine Wirtschaft,
keine Pension, keine Zimmer. Etwas später, in Mauvezin,
folge ich hoffnungsvoll dem Schild "Auberge du Château"
und finde schließlich eine Burg, von der man eine herrliche
Aussicht auf die majestätische Bergwelt hat. Was für ein
herrlicher Abendspaziergang könnte daraus werden! Aber das
nahe gelegene kleine Hotel ist geschlossen. Aus der Traum! Die Saison
hat noch nicht begonnen. Also fahre ich, bereits etwas ungeduldig
geworden, weiter, während mein Magen knurrt und meine Laune
zaghaft anfängt, von ihrem Höhenflug herunterzukommen.
Kaum zu glauben: Für knappe 400 km habe ich einen ganzen Tag
gebraucht. Um 11 Uhr bin ich losgefahren und kurz vor 9 Uhr abends
habe ich in Bagnères de Bigorre, einem kleinen Städtchen
etwa 20 Kilometer von Lourdes entfernt, gerade noch ein Hotel gefunden. |