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18. August | |||||||
Intermezzo in der Slowakei | |||||||
Und wieder hat meine Reise den Charakter einer Flucht angenommen. Ist meine Fahrt durch die slowakischen Wälder anfangs noch mit Hoffnung erfüllt – ich kann ab und zu manch ein schönes dunkles Holzhaus sehen und Pferdefuhrwerken begegnen – so folgt die Enttäuschung Schlag auf Schlag. Welch ein Abgrund von Hässlichkeit sind die Dörfer, die ich durchfahre. Es sind nur zufällig hingewürfelte Häuser, dessen Architektur nur zwischen dem tristen Grau der sozialistischen Epoche und einem kaum definierbaren Neustil schwankt. Ohne Ausnahme – das gilt jedenfalls für diesen Teil der Slowakei – sehen diese Siedlungen so aus, als hätte der Herrgott alte abgewohnte Häuser, die woanders niemand mehr wollte, willkürlich und ohne Liebe auf die Gegend verstreut. Und wie fünfzig Jahre Nachkriegsgeschichte dem Erscheinungsbild der Ortschaften die Spuren ihrer Kultur genommen haben, so beraubt das diesige Wetter nun auch die Landschaft ihrer Anmut. Es hatte Slowakei eben nicht sein sollen. So wandern die slowakischen Kronen, die ich erst wenige Stunden früher gewechselt habe, bei Trstená / Chyzne gleich wieder in die Wechselstube. |
19. August | |||||||
Stadtführung | |||||||
80 % aller außerhalb Europas lebenden Juden haben ihre Wurzeln im Polen des 16. Jahrhunderts. Denn Polen war zu dieser Zeit das einzige Land Europas, das die Juden nicht nur aufnahm, sondern auch ermunterte, sich im Land niederzulassen. Noch heute haben 40 % der Menschen in Krakau jüdische Vorfahren. Das jedenfalls behauptet unsere Reiseführerin, Jane Witoch. Solche Zahlen lassen einem ein klein wenig verstehen, wie innigst das Judentum mit Polen verwachsen war und welchen Ausmaß dadurch die Tragödie des 2. Weltkriegs in diesem Land annahm. Jane ist während der Führung außerordentlich gesprächig. Während ihr Wortschwall, die Stadtführung selbst betreffend, fast zu groß ist – die Namen aller Könige Polens gehen sowieso im Hintergrundlärm der Touristenmassen unter –, wird es schlagartig interessant, wenn sie Details ihrer eigenen Erlebnissen schildert. Erschütternd wird es, wenn sie von den Verfolgungen durch die Nazis spricht. Diese hatten bereits, noch lange vor dem Jahr 1942, als die systematische Vernichtung der Juden begann, polnische Intellektuelle, Offiziere, Zigeuner, Außenseiter, Geisteskranke und Behinderte systematisch aus den Weg räumen wollen, in einem Vernichtungswahn, der seinesgleichen sucht. Hätte ein deutscher Soldat damals, so schildert sie, einen Hund erschossen, er wäre verurteilt worden. Bei der Tötung eines Polen hingegen hätte bereits die Behauptung, dieser habe etwas gegen Hitler gesagt, gereicht, ihn straffrei ausgehen zu lassen. Als sich Janes Vater, ein hoher polnischer Offizier, vor den Nazis versteckte, wurden alle Familienmitglieder, die eine Auskunft über seinen Aufenthaltsort verweigert hatten, ausnahmslos umgebracht, und das Gleiche geschah auch ihren kleinen Geschwistern. Ihr kleinstes Brüderlein erlitt den Tod, indem es gegen eine Wand geschleudert wurde. Jane selbst überlebte nur durch Zufall. Sie erzählt auch, wie verblüfft die Deutschen jedes Mal waren, wenn man ihren Befehlen Widerstand leistete. Denn sie konnten sich kaum vorstellen, dass der Zwang zu „gehorchen“ den Menschen nicht von Gott gegeben war, sondern von ihrer Erziehung, und sich nur in den Köpfen abspielte. Und die Polen hätten nun andere Köpfe, betont Jane. Während ich schreibe, hat sich uns eine Gruppe Zigeuner mit Gitarren, Bass und Ziehharmonika genähert und will uns mit einigen Takten Musik unterhalten. Die Klänge eines Dudelsackspielers an der nächsten Ecke machen ihnen Konkurrenz und wetteifern mit ihnen um die größte Lautstärke. Was aber nicht weiter stört, denn kaum haben sie ein paar Slotys kassiert, sind sie auch gleich wieder verschwunden – um drei Tische weiter andere Gäste zu beglücken. Wie unzureichend sind meine Kenntnisse der europäischen Geschichte - insbesondere der polnischen! Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Polen drei Mal vollständig von der europäischen Landkarte verschwunden war. Zum zweiten Mal verschwand es 1795, und zwar für 120 Jahre, aufgeteilt zwischen Österreich, Russland und Preußen. Zum dritten Mal geschah es nach dem Hitler-Stalin-Pakt. |
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