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5. September Ankunft in Delhi (16 Uhr) Als wir aus dem Flugzeug steigen, empfängt uns die heiße Luft wie ein Faustschlag. Innerhalb von Minuten kleben die Kleider am Leib, der Schweiß läuft die Stirn herab, man muss sich dem heißen Hauch Indiens ergeben. Ein Blick in die Zeitung bestätigt es: Temperaturminimum von gestern 27 Grad, Maximum 37. Relative Luftfeuchtigkeit vermutlich nahe an 100 %. Wir übernachten im Hotel Alka am Connaught Square, wo ich schon vor Jahren gewesen war. Mittlerweile ist diese Unterkunft aber noch weiter verkommen, und wie schon damals lauern an jeder Ecke unsympathische bakschischhungrige Hotelfiguren. Ein Portier zeigt uns verschiedene unhygienisch aussehende Zimmer, macht zweideutige - war es anders zu erwarten? - Anspielungen auf uns beide und erwartet (man könnte behaupten, er fordert), ein Trinkgeld. Ein anderer (Liftboy, Türvorsteher, Zimmerdiener?) lehnt ein zu niedriges Bakschisch sogar ab und bekommt deshalb von uns - nichts. Ein "Public Relations Manager", ein Jüngling von höchstens 24, fragt mich wichtigtuerisch, ob wir etwas an diesem 3-Sterne-Hotel (!) auszusetzen hätten. Aber nein, wer wird sich denn an den Wasserflecken an der Wand stören, am Gestank im Badezimmer, am düsteren Licht der 25-Watt-Lampen? Die Vorstellungen, die diese Menschen von Komfort haben, und vor allem von den Bedürfnissen der westlichen Touristen sind einfach grotesk. Das Zahlenverhältnis Personal / Gäste ist im angeschlossenen Vega Restaurant genauso hoch wie im Hotel: zwei zu eins. Ganz im Gegensatz dazu sind aber Sauberkeit, Service, und vor allem das Essen exzellent. Man bekommt seinen Thali mit den verschiedensten vegetarischen Curries und Gerichten gepflegt und freundlich serviert. Wenn die eine oder andere Schlüssel leer ist, wird dezent nachgefüllt. Delhi 6. September Delhi ist nur Zwischenstation. Denn es geht gleich weiter: mit dem "Threewheeler" am Connaught Place vorbei, am Roten Fort, an der Altstadt, im Lärm, im Chaos, im Abgasgestank. Bei jedem Anhalten an einer Kreuzung die ausgestreckte Hand eines bettelnden Kindes vor Augen, bei jedem Starten ein Kampf aller gegen alle, um nicht von der Straße weggedrängt zu werden. Es herrscht eine regelrechte Hackordnung, man ist versucht zu behaupten, eine "Kasten"-Ordnung, der Busse gegen die Autos, der Autos gegen die Motorrikschas, und dieser gegen Fahrräder und Fahrradrikschas. An unserem Ziel, dem Busbahnhof, angekommen, werden die im Voraus ausgehandelten 30 Rupien auf wundersame, typisch indische Weise plötzlich das Doppelte. Gut, dass wir uns von solchen überzogenen Forderungen längst nicht mehr beeindrucken lassen. Im Bahnhof geht das Chaoserlebnis gleich weiter: Die Akustik der riesigen Halle wirkt wie ein Verstärker für den höllischen Lärm der hupenden, brummenden Busse und erzeugt eine ununterbrochene laute Kakophonie. Kein geringeres Durcheinander ist die Abfahrt der lokalen Busse: Dutzende von ihnen versuchen gleichzeitig loszufahren, jeder behindert jeden, jeder versucht, die anderen wegzuhupen, jede Lücke wird genutzt, der Stau verursacht sich selbst und keiner kommt voran. Unsere Abfahrt verzögert sich um eine halbe Stunde. |
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Agra, abends "Glimpses of India", mehr ist es nicht: ein Erwecken von Träumen, ein Wiederfinden von Erinnerungen, die mich, in solch einer warmen, samtweichen Abendstunde am Taj Mahal, dem, was sein könnte, aber nicht ist, ein wenig näher bringen. Es bleibt in mir eine Sehnsucht nach mehr, nach tieferen Erlebnissen, nach dem Abwerfen der Touristenmaske und der Oberflächlichkeit. Indien ist grün in dieser Jahreszeit, die Luft feucht und warm wie in einem Treibhaus. Gruppen von Frauen und Mädchen in bunten Saris und mit Blumen im Haar sitzen - dunkle Farbflecke in der Dämmerung - auf dem Rasen und plaudern. Meine Blicke wandern von ihnen zu den dunkelgrünen Bäumen, den dichten Sträuchern, den silhouettenhaften Palmen und wieder zurück zum glatten Marmor des Taj. Und während ich dieses großartigste, erhabenste aller Denkmäler beobachte, schiele ich mit den Augen der Seele auf einen Himmel, der wie in einem Aquarell zarte Pinselstriche in Blau und Rosa aufweist und vor dessen Hintergrund bedrohliche schwarzweiße Kumuluswolken haften. Weit weg von allem, wie ich bin, erlebt meine Fantasie eine tropische Dämmerung, in der unbekannte Vögel am brennenden Himmel kreisen, Tierstimmen aus der Ferne rufen und der dunkle Wald tausend Abenteuer verbirgt. Mein Herz ist dann in Afrika, in Indonesien, in den Dschungeln Asiens, mit Kipling, Hemingway, oder auf den Spuren meines Vaters. Nur zwei imaginäre Schritte weiter, in der Wirklichkeit, ist alles viel nüchterner, vor ihr retten mich nur diese wenigen Augenblicke von Schönheit und Glück. Was suchen denn die Menschen im Urlaub? Vielleicht die Überwindung der Langeweile, des Eintönigen und der Zwänge, das Vergessen. Wahr ist, dass sie ein anderes Leben wünschen, aber der Urlaub bleibt als solcher eine Täuschung, ein Ablenkungsmanöver höchstens, ohne jegliche Wirkung. Man möchte, dass er ein Teil dieses Lebens wäre, aber dazu müsste man den Urlaub als solchen aufgeben. 7. September Aufwachen mit Unlust: Während Margit sich trotz ihrer Halsentzündung noch etwas von Agra ansehen will, schreckt mich die Hitze (gestern war die max. Temperatur 38,6° C) und eine gewisse Müdigkeit davon ab, Größeres zu unternehmen. Ich lasse mich gerade noch für ein Stündchen zum Taj bringen, wo ich, während der Rikschafahrer geduldig auf mich wartet, ein paar Alibifotos knipse und von Schatten zu Schatten pilgere. Sonst sind Nichtstun und Warten auf die Weiterfahrt nach Jaipur meine Devise. Vom Hotelfenster aus sehe ich die Seidenbäume sich im Wind wiegen und unbekannte Schmetterlinge umherfliegen. Auch sieht es so aus, als könnte es noch regnen. Ich sehne mich danach! Das Hotel Amar ist preiswert und doch sind die Zimmer von sauberem europäischen Standard. Manchmal frage ich mich, nach welchen Kriterien in diesem Lande die Preise festgelegt werden. Eine kurze Zusammenfassung über Agra |
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Weiterfahrt nach Jaipur im "Super
Deluxe Bus" Der einzige Unterschied zu einem normalen Reisebus scheint mir der großzügiger berechnete Platz für die Beine zu sein, ansonsten ist der Bus weder sauberer noch komfortabler, und die Fenster schließen schlecht und klappern, wie ich es von früheren Fahrten gewohnt bin. Nur die Fahrgäste, die eher dem Mittelstand als dem bunten, chaotischen Volk mit Gepäckbündel, Hühnern und Ziegen zuzuordnen sind, geben dem Ganzen einen Hauch von gehobener Klasse. Ach ja, und der eigentliche Clou natürlich: ein Farbfernseher! Zwar werkelt der Schaffner, bis man ein vernünftiges Bild zu sehen bekommt, zwanzig Minuten lang am Gerät herum, aber dann läuft der Film ganze drei Stunden lang. Wovon er handelt? Von Allem! Der Hauptdarsteller liebt die Tochter eines eindeutig als Bösewicht einzustufenden Gegners. Mit einer List wird er daran gehindert, sie (die seine Liebe erwidert) zu bekommen, und er wird wegen versuchter Vergewaltigung eingesperrt. Es gelingt ihm dennoch (der Film ist ja erst am Anfang), mit einigen Kumpeln zu fliehen. Nach aufregenden Verfolgungsszenen entkommen alle und fahren in des Helden Heimatdorf, das von den Schergen des genannten Bösewichts zu befreien ist. Und so geht es weiter mit viel Prügeleien, Gesang und Tanzszenen bis zum unausweichlichen Happy End. Nun ja, ein grauenhafter Kitsch. Aber draußen fliegt diese erstaunlich grüne, flache Rajasthan-Ebene vorbei, mit ihren Zuckerrohrfeldern, Wiesen und Tümpeln und einer üppigen subtropischen Vegetation. Ab und zu sieht man ein paar Lehmhäuser, Frauen mit Krügen auf dem Kopf, spielende Kinder: ein friedliches Menschheitsbild in der für mich so gefährlichen Nachmittagsstimmung. Und aus den Lautsprechern lullt mich diese indische Musik ein; die Luft, die Bilder, die Wärme, die zum Fenster hereinkommt, nach einem Regenguss sogar der Duft nasser Erde tun den Rest. Mit anderen Worten, Indien hat wieder von mir Besitz ergriffen, ich werde weich, fühle mich wohl, möchte weiterfahren und dennoch überall bleiben. Das Heimweh der dritten Woche ist überwunden. In Jaipur angekommen geht die Suche nach einer Unterkunft wie gewohnt reibungslos vor sich. Wir lassen uns von einer Rikscha herumkutschieren, nennen dem Fahrer in Einfachst-Englisch unsere Ansprüche, alles andere geht von alleine. Das Hotel, in dem wir schließlich landen, überrascht uns mit einer zauberhaften orientalisch-kolonialen Ausstrahlung, die mich sofort in ihren Bann schlägt. Leider scheint auch das Huhn, das ich abends zu verzehren versuche, aus der Kolonialzeit zu stammen. Jaipur, 8. September "In the first ever massacre in a railway car in Punjab, terrorists gunned down 12 people and left six others injured in a passenger train near Amritsar." "Curfew was imposed in parts of Udaipur following incidents of violence, arson and looting during the bandh called by a section of the Muslim community." Als Reisender merkt man von all der Gewalt und den anderen Plagen dieses Landes nichts, man leidet höchstens unter der Hitze. Hier in Jaipur ist das Wetter gerade noch erträglich: 24,4 bis 35,2 Grad Celsius bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 75 %. Im Vergleich zur schwülen Hitze von Delhi und Agra atmet man auf. Hotel Bissau, abends Man betritt unsere "Suite" in dieser ehemaligen Residenz des Maharadschas von Bissau über einen kleinen Vorraum, in dem ein Teppich, zwei alte Holzsofas mit Rücken und Armlehnen aus Rohrgeflecht und Sitzkissen mit indischem Muster "Vornehmheit" vortäuschen sollen. An einer Wand hängt ein Bildnis Krishnas, an der Decke ein riesiger Kronleuchter. Die über drei Meter hohen Räume sind voll behangen: im Schlafzimmer mit drei Konterfeis von englischen Gentlemen, einer Lithographie mit der Darstellung der Schlacht bei Palestro und einem Arrangement aus einem zweieinhalb Meter langen Speer, einem Krummdolch und einem runden Prunkschild. Dies, sowie eine weiße in Holz geschnitzte Truhe und ein Deckenventilator verstärken den altmodisch-nostalgischen Charakter des Ensembles. Der brummende Airconditioner, der undefinierbare Küchengerüche hereinsaugt, die dunklen Streifen in der Badewanne (wo die Emaille abgegangen ist) und der abblätternde Putz verstärken hingegen den Eindruck von Alt und Verstaubt, von Untergang und Verfall. Es ist, nüchtern betrachtet, schäbig, und nur wenn man es in der Halbdunkelheit sieht, verfällt man in Träume von Zeiten, die vergangen sind. Der Salon im Foyer sieht besser erhalten aus: Es gibt gemütliche Sitzecken, Tiertrophäen und Waffen an den Wänden; darüber hinaus mannshohe Gemälde von Ahnen in Prunkkleidung, Familienfotos des ehemaligen Besitzers, Bilder einer Traumhochzeit aus dem Jahre 1936, eine in dunklem Holz verkleidete Bibliothek und viele Bücher. Der letzte Maharadscha von Bissau scheint ein Schöngeist gewesen zu sein: "Chacun fa a sa manière la rêve de la vie. J'ai fait ce rêve dans ma bibliothèque, et, quand mon heure sera venue de quitter le monde, Dieu veuille me prendre sur mon echelle, devant mes tablette chargees de livres". Und immer wieder überkommt mich dieses Gefühl: Es ist alles Vergangenheit; und das, was unzählige Jugendfantasien und Träume verklärt haben, ist in Wahrheit längst verschwunden. Vorbei die rauschenden Feste der herrschenden Briten, der Prunk und die Exzentrizität der Maharadschas, die sauberen Diener in Livree, die handgetriebenen Ventilatoren, die Tigerjagden; selbst das bunte Straßenbild, das ich vor Jahren kennengelernt hatte, verschwindet allmählich und zieht sich immer mehr in die Provinz zurück. Oder täusche ich mich? Haben sich meine Augen nur daran gewöhnt? Dieses Land ist so vital wie ein Ameisenhaufen und so dekadent wie ein vergilbtes Foto aus der Jahrhundertwende, es lebt von tausend kleinen Ausflüchten und einer unermesslichen Überlebenskraft, es saugt die Moderne auf, macht daraus Plagiat, Kitsch, Lumpen, siebenmal Verkommenes und gibt dabei seinen Glauben an Millionen von Göttern und Gewalten niemals auf. In Indien wird alles einmal gebaut und niemals renoviert, nicht in fünfhundert Jahren. Und der Monsun, die Hände und Füße der Millionen, die Spucke, die Pisse an den Wänden und vor allem die Gleichgültigkeit tun den Rest. Man ahnt Schönheit in jedem zweiten Haus, und sieht Dreck. Und es stinkt zum Himmel: Hundert Meter vor unserem Hotel wühlen Schweine zwischen Tierknochen und Mist. Wasserbüffel und Zebu-Rinder laufen frei herum, sie verschmutzen und reinigen zugleich, sogar Papier wird von den total abgemagerten "heiligen" Kühen aufgefressen. Und noch immer ziehen Kamele oder Pferde schwer beladene Karren langsam hinter sich her. Und es hupt und klingelt und brummt und schreit in diesem Straßenverkehr, in dem der Radfahrer den Fußgänger wegdrängt, der Fahrrahdrikscha das Fahrrad, und so weiter und so fort, nach dem bekannten Muster. Souverän und nicht aus der Ruhe zu bringen sind nur die Rindviecher, als ob sie wüssten, dass vor ihnen jeder bremsen oder ausweichen wird. "I have a friend in Germany ... where do you come from? ... please come to my shop ... no money, very cheap ... whee gate es eenen?" Straßen-Zweckkonversation. Und jeder zweite hat ein "jewellery business" und "a friend in Idar Oberstein", wo Edelsteine geschliffen und verarbeitet werden. Jaipur: Palast der Winde, City Palace of Jai Singh, die Rosa Stadt, Edelsteine und Dreck, klare Luft und Staub, knallbunte Saris, widerliche Bettler, Geschäfte, Geschäfte, Geschäfte, alles was der Mensch so braucht, vom Hängeschloss zu den Fahrradreifen, vom Sari zur ausgepressten Zitrone. Ich fahre und laufe, sitze und latsche den ganzen Tag in dieser staubigen Stadt herum, und was ich in der dünnen, trockenen Ladakh-Luft zu oft unterlassen habe, das tue ich jetzt - trinken. "One chai please, ek limka, one mousmi juice, one soda and lime please - sweet, please." frage ich immer wieder. "Ek rupia, tin rupies, sis rupies, no tourist price, indian price." Ist die übliche Antwort. War das nicht genug für einen Tag? Eine kurze Zusammenfassung über Jaipur |
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