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Im Restaurant in Gulmarg, wo wir Abdul zum Essen
eingeladen haben, ist seine Selbstsicherheit mit einem Schlag wie
verschwunden; plötzlich wirkt er leise und verlegen. Er schielt so
unsicher auf die Speisekarte, als ob er befürchten müsste, selbst
zu zahlen, oder sonst etwas. Kann es sein, dass wir unbewusst irgendeinen
Fauxpas begangen haben? Bald aber steht wieder ein breites Grinsen in
seinem Gesicht, und der Wortschwall geht weiter. "An jenem Tisch dort
hinten", erklärt er uns, "sitzen Moslems aus Kaschmir. Am Fenster
hingegen, das sind Bengalen, und weiter in der Ecke, ja, das könnten
Hindus aus der Gegend von Delhi sein." Er
erkennt sie an der Sprache, an den Gesichtszügen, an der Kleidung
und an der Gestik.
Während der Rückfahrt, im weichen Nachmittagslicht, erscheint
mir die hügelige Landschaft besonders lieblich, luftig, grün.
Nussbäume, Chinar-Bäume (den Platanen ähnlich, nur
mit spitzeren Blättern), Pappelalleen, zartgrüne Reisfelder,
weiße Gewitterwolken auf den entfernten Bergspitzen ein
bisschen Paradies im Vorbeifahren.
Zum Abschluss trinken wir einen Kaffee im Garten des Nobelhotels
Dar-es-Salam,
direkt am Nagin-See. Auf dem grünen Rasen kniet ein Mann in blauer
Kurta und betet. Neben ihm sitzt ein zweiter Mann und sticht Unkraut
in mühevoller, systematischer Arbeit aus. Im Hintergrund glitzert
das Wasser.
Dann lassen wir uns auf den weichen Polstern einer Shikara nieder und
versinken in der Ruhe des späten Nachmittags. Vergessen sind die
Anstrengungen des Tages wie das Rütteln und Schütteln des Taxis,
es zählt nur noch das langsame Gleiten auf dem Wasser, nur noch der
Himmel und die Sonne.
Nach dem Abendessen
Seit neuestem besorgen wir uns die Rupien auf dem Schwarzmarkt. Man wird
an jeder Ecke darauf angesprochen und kann kaum vermeiden, dass man sein
Geld zu einem 10 % besseren Kurs als auf der Bank wechselt; also was soll's,
die Vorsicht der ersten Tage ist längst vergessen. Ebenso schnell
lernen wir auch, dass man für 50$-Scheine einen besseren Kurs aushandeln
kann als für die kleineren Scheine. So etwas sollte in den Reiseführern
erwähnt werden.
Und weil ich bei den Reisetips bin: An die britischen Straßenverkehrsregeln
haben wir uns noch immer nicht gewöhnt. Beim Überqueren einer
Straße müsste man zur eigenen Sicherheit zuerst nach
rechts schauen, dann nach links; man tut es aber gewohnheitsgemäß
genau umgekehrt. So werde ich um ein Haar von einem Fahrrad (wie die meisten,
ohne Beleuchtung unterwegs) angefahren, was Margit zur spöttischen
Bemerkung: "Den Radfahrer hättest du beinahe übersehen."
verleitet. Aber die Götter sind mir wohlgesinnt: Einen Augenblick
später ist sie selbst dran. Rasch muss sie zur Seite springen. Wir
lachen beide, der Abend ist gerettet.
Wie kann ich das Licht Kaschmirs beschreiben? Jeder Tag ist anders, einmal
fängt er grau und mit Regen an, ein anderes mal mit leichten Nebelschleiern
auf der Wasseroberfläche und mit einem runden Mond, der
sich im Wasser spiegelt; dann kommt ein diesiger Tag, oder es wird plötzlich
klar. Ein Tag kann kühl sein, der andere wieder fast sommerlich,
aber gegen Abend wird es immer klar und leuchtend. Heute brachten dunkle
Gewitterwolken sogar ein paar Tropfen Regen; langsam zogen sie kleine
Kreise auf der Wasseroberfläche des Sees.
Einmal krönen weiße Kumuluswolken den Himmel, ein anderes Mal
ist der Sonnenuntergang wie ein all umfassendes rotes Muster,
dann wieder eine gelbe Kugel aus scharf blendendem Licht, das auf einen
Schlag in eine blasse Dämmerung übergeht, ohne jene Wolken,
die man fragen möchte "Was verbirgt sich hinter euch, hinter dem
weiten Himmel?".
Es ist Wochenende: Indische Gäste befinden sich an Bord, Highlife
im Salon: sie essen, trinken, reden und erfreuen sich an Lata Mangeshkars
(einer bekannten Sängerin) Stimme aus dem Radio.
Man kann sich als Europäer nur bescheiden zurückziehen. Die
indischen Gäste scheinen die Bootshändler nicht wie wir
als Belästigung zu empfinden. Stundenlang können sie schauen,
verhandeln und palavern, um letztlich doch nichts zu kaufen - Zeitvertreib
auf Indisch.
Gestern noch ließ der Mann mit dem Arafat-Gesicht sich, seiner Frau
und seinen vier Töchtern alle möglichen Pelzwaren auf der Veranda
vorführen, heute sitzen sie im Salon und verhandeln über ein
Objekt, das möglicherweise eine aus Holz geschnitzte Moschee darstellt,
aber vielleicht auch nur eine Wasserpfeife ist.
29. August
"Hello laundry" sagt der Wäschereimann zur Begrüßung
an Bord.
John hat ein "Jewellery"-Boot bestellt. Der Händler kommt an Bord
und breitet seine Ware auf den Boden des Salons aus. Um Missverständnisse
zu vermeiden, legt John gleich am Anfang fest, dass er für
höchstens 10 US$ einkaufen würde. So kommt er zu seinem Spass
und schont sein Budget.
Für den heutigen Tag haben wir uns nicht viel vorgenommen. Ich möchte
noch einen Wandteppich und einige Geschenke kaufen, vielleicht ein paar
Fotos machen, die Atmosphäre genießen oder einfach
ziellos von Geschäft zu Geschäft bummeln.
Ich schaue einer Gruppe junger Leute beim Rabob-Spiel zu und verewige
einen Musikanten auf 24x36 mm. Welch mitreißende,
monotone Melodie kann er ausseinem Instrument herauslocken und mit seiner Stimme würzen.
In einem der Läden entscheide ich mich, nach kurzem (nicht sehr erfolgreichen)
Feilschen, für zwei Wandteppiche mit zwei Varianten eines gleichen
und sehr beliebten Motivs, eines Lebensbaums (ich zahle dafür
ganze 100 US$).
Einen kleinen Schreck bekomme ich, als der Händler einen meiner
50 US$ Scheine nicht annehmen will, weil darauf der Text In God
we trust fehlt (es handelt sich um einen alten Schein von 1955). Hat
man mir vielleicht eine Blüte zugesteckt, aber wo? Ich kann es mir
nicht vorstellen, aber das ungute Gefühl, betrogen worden zu sein,
wird mich erst dann verlassen, als ich selbst kurz vor der Abfahrt die
Banknote beim Manager unseres Hausbootes wieder los werde.
Am Abend vor der Weiterfahrt gönnen wir uns noch ein paar träumerische
Stunden auf einer Shikara auf dem Nagin-See. Die Luft ist nicht so klar
wie sonst; die Abendwolken sehen wie übereinander gezogene Schleier
am Himmel aus, in blassen Farbnuancen von Gelb, mit einer Handvoll daraufgeworfener
dunkler Fetzen und Kleckse aus tiefem Blau. Aus der Ferne ruft der Muezzin.
"I have four children", sagt der Bootsmann - vermutlich in der Hoffnung,
dass das Trinkeld üppiger ausfallen würde - und fügt hinzu,
mit einem breiten Grinsen, "trying more".
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