Karibische Inseln. Kultur -
Reiseführer. Von Cuba bis Aruba
von Gerhard Beese
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Cuba - Reiseführer
Das komplette Reisehandbuch
von Thomas Schlegel
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An
der Nordküste
Als
wir nach einigen Stunden nicht besonders inspirierender
Fahrt in Caibarién ankommen, einem
unauffälligen, überschaubaren Ort an
der Nordküste, offenbart uns Omar, dass er
hier jemanden kennt, der uns behilflich sein könnte.
Er klopft an manche Tür, fragt hier und dort,
kutschiert uns von einer Ecke des Orts zur anderen,
schaut in manchen Laden hinein, bis er endlich
fündig wird.
In einer Bar in der Nähe der Plaza Mayor
trifft er auf den Freund. Umarmung. Palaver.
Alle ins Auto steigen. Und dann geht es wieder
um siebzehn Ecken mit dem Auto durch den Ort,
bis wir endlich auch in diesem Kaff, wo sich vielleicht
Füchse aber keinesfalls Touristen gute
Nacht sagen, eine casa particular finden.
Wir wollen die Entscheidung, ob wir hier übernachten
oder nicht, aber noch offen lassen. Denn ursprünglich
hatten wir mit dem Gedanken gespielt, einen Tag
auf dem Cayo Santa Maria, einer kleinen
Insel in der Bahia Buena Vista zu verbringen.
Aldo war hier auf Hochzeitsreise und hat uns die
Insel, die herrlichen, noch unberührten kilometerlangen
Traumstrände, die Mangrovenhaine und Flamingolagunen
und die Hotel-Anlage in schwärmenden Tönen
empfohlen.
Was uns zweifeln lässt, ist nicht so sehr
die Tatsache, dass wir kein Hochzeitpärchen
sind, das es sich für schwerverdiente US-Dollars
ein paar Tage in romantischer Zweisamkeit gut
gehen lassen will, sondern es ist das kaum verheißende
Wetter. Grau und gewittrig dämpft es unsere
Begeisterung. Einige Mal hat es während der
Fahrt bereits geregnet, es sind die Ausläufer
eines Tiefs, die vielleicht noch mehrere Tage
das Wetter bestimmen werden.
Besuch im Touristengetto
Cayo
Santa Maria ist die letzte einer Reihe von
Inseln, die mittels eines 48 Kilometer langen
aufgeschütteten Damms und über fünfzig
Brücken mit dem Festland verbunden ist, so
ähnlich wie bei Key West an der Südspitze
von Florida.
Der Zugang zur Straße erfolgt über
einen Checkpoint, an dem wir neben dem Bezahlen
von 2 $ Maut auch unsere Pässe herzeigen
müssen. Omar muss sich auch ausweisen. Als
Kubaner darf er nur passieren, weil er nachweislich
für den Tourismus arbeitet. Das spricht Bände:
Wir fahren also in ein ausgesprochenes Touristengetto.
Dessen ungeachtet hat der Augenblick, in dem wir
auf den Damm fahren, etwas außerordentlich
Prickelndes für mich. Das trübe Wetter
verleiht der Situation sogar einen Anflug von
Bedrohlichkeit. Tropische Stürme, schäumendes
Meer, Untergangsstimmung nisten sich in mein Bewusstsein:
In meiner Fantasie sehe ich mich den schmalen
Damm entlang fahren, fast wie auf einem Schiff
mitten im Meer, rechts und links nur der Ozean,
vor mir ein schmaler, unsicherer Streifen, der
zum unendlichen Horizont führt, der trotz
allen Fahrens immer in weiter Ferne bleibt.
Was so viel versprechend klingt, entpuppt sich
wegen des grauen, kraftlosen Lichts, der ruhigen
Wasseroberfläche und der flachen Perspektive
leider als enttäuschend. Durch die Anwesenheit
von Hunderten von mit Mangrovenwäldchen bewachsenen
Inseln verschwindet auch recht bald das Gefühl,
mitten im Meer verloren zu sein.
Nun mehr aus reiner Neugierde besuchen wir eine
Hotelanlage auf dem Cayo Las Brujas, eine
sehr dezent in die Landschaft eingefügte
Bungalowanlage (80 $ pro Übernachtung) mit
einem schmalen, palmenlosen, eher
unscheinbaren Strand. Es weht ein kühler
Wind und die Anlage ist geisterhaft leer.
Etwas interessanter ist der Hotelkomplex
"Sol Cayo Santa Maria", der eine
krasse Gegenwelt zu all dem verkörpert,
was wir bisher in diesem Land erlebt haben. Es
ist eine architektonisch sehr gelungene
Anlage mit verschiedenen Schwimmbecken, Bungalows,
palmenüberdachten Bars und Restaurants,
kleinen Brückchen über die Pools und
einem wunderbaren, kilometerlangen weißen
Strand. Der ist zwar wegen des bedeckten Wetters
völlig verwaist, aber gerade wegen dieser
Verlassenheit fast in ein Kunstwerk verwandelt,
denn das weiche Licht, der bleierne Himmel und
die schwachen Strahlen der sporadisch durchdringenden
Sonne, verleihen ihm den anmutigen Charme eines
zarten, pastellfarbenen Aquarells.
Ein Mann vom Sicherheitspersonal
holt uns aus dem Träumen zurück und
macht uns dezent darauf aufmerksam, dass der Aufenthalt
in diesem Areal nur für die Gäste des
Hotels erlaubt ist. Was mir zuerst als eine
unnötige Schikane erscheint, wird verständlich,
als er hinzufügt, dass hier alles, von den
komfortabel ausgestatteten Zimmern
bis hin zu den Sportanlagen und den Getränken,
im Preis inbegriffen ist. So ähnlich wie
beim Club-Med, in anderen Worten.
Befinden wir uns wirklich auf Kuba? Oder sind
wir vielleicht auf der Insel Djerba in Tunesien?
Oder gar auf den Kanarischen Inseln? Das Ambiente
könnte nicht künstlicher sein, nicht
ferner vom wirklichen Leben der Menschen dieses
Landes. Doch birgt diese fast absurde Künstlichkeit
paradoxerweise auch etwas Faszinierendes in sich.
Deluxe-Zimmer mit Hydromassage, Fun-Pub-Disco,
Piano-Bar, Fitness-Center, Buffet-Restaurant,
Pizzeria, Sauna, Animationsangebote, Billardtische
unterm Palmendach, Tischtennis ... Habe ich etwas
vergessen? Es ist eine virtuelle Realität,
die mich in die Lage versetzt, mit bloßer
Gedankenkraft und in Sekundenschnelle von einem
künstlichen Urlaubsgefilde auf der Welt zum
einem anderen, austauschbaren Ziel zu gelangen.
Und wirken jene zwei korpulenten, hellhäutigen
Holländer beim Bocciaspiel nicht wie Gestalten
aus einem Film von Jacques Tati?
Wir sind hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis,
zurück ins "wahre" Kuba zu fahren,
und dem unausgesprochenen Wunsch, doch ein paar
Tage Dolce-far-niente in so einer Enklave einzuschieben.
Wer weiß? Wäre das Wetter nicht so
ungemütlich, würden wir uns vielleicht
für die zweite Alternative entschließen.
Zurück
in Caibarién - zurück in Kuba
Das
fotogene Wohnzimmer mit Tigermotiv-Wandteppich,
die gesprächige señora Virginia
Rodriguez Cabrera, die immerfort lächelnde
mollige cocinera (Köchin), der esposo
(Ehemann), der allein über eine Preisermäßigung
zu entscheiden hat und uns musica cubana auf der
Stereoanlage vorspielt, der schnauzbärtige
Nachbar, der sich wie aus dem Nichts heraus auf
dem Schaukelstuhl vor dem Haus materialisiert,
die hagere, ältere, unscheinbare Frau, die
immerfort die Musik lauter stellt, die unser Gastgeber
kurz davor leiser gestellt hat - das ist wieder
Kuba!
Das reichliche Abendmenu mit einer köstlichen
sopa de pescado (mehr Gemüse- als
Fischsuppe), rauen Mengen von Reis, Garnelen und
Krebsen in scharfer Soße wird zu unserem
Luxus im Kleinen. Während ich, um meinen
noch angeschlagenen Magen etwas zu schonen, wenigstens
den Versuch unternehme, mich zurückzuhalten,
schlägt Roberto ungehemmt zu. Schließlich
haben wir ja das Mittagessen ausgelassen. Das
Einzige, was uns fehlt, ist der gewohnte frisch
gepresste Orangensaft und das Obst als Abschluss.
Trotz unserer beherzten Attacke auf die üppige
Mahlzeit bleiben in der großen Schüssel
am Ende noch große Mengen davon übrig.
Als wir uns etwas später ins Wohnzimmer begeben,
finden wir dort Omar, den schnauzbärtige
Nachbarn und die Köchin und señora
Virginia, jeder in einem Teller mit Reis schaufelnd.
Die vorsorglich berechneten Mengen waren also
groß genug. Alle plaudern lautstark und
grinsen uns dabei schelmisch an.
Erstaunlich mit welcher Offenheit über persönliche
Belange gesprochen wird. Es ist, als wären
wir bereits Familienmitglieder. Auf dem Couchtisch,
neben zahlreichen Porzellanfigürchen, zieht
das Foto eines herzigen, blondlockigen kleinen
Mädchens die Aufmerksamkeit auf sich. Es
sei die zweite Tochter ihrer
Schwester, meint Virginia stolz. Bei der älteren
Tochter, die aus der ersten, sehr bald gescheiterten
Ehe, sei mehr das Erbgut des Vaters herausgekommen,
sie sei trigueña (von dunklerem
Teint). Aber diese Tochter aus der zweiten Ehe,
ja, die sei muy rubia (sehr blond), betont
Virginia.
Mit erstaunlicher Ungeniertheit werden die Menschen
mit Dutzenden von Bezeichnungen
für die feinsten Nuancierungen der Hautfarbe
und der somatischen Merkmale klar eingeordnet:
vom blanco (Weißen) zum trigueño,
hin zum mulato claro (hellen Mulatten),
zum mulato de cabello lacio (Mulatten mit
glattem Haar), und weiter über dem javado
(Weißen mit krausem Haar) zum mulato
und mulato oscuro (dunklen Mulatten), und
zum negro claro (hellhäutigen Neger),
um beim negron (Schwarzen mit ausgeprägten
negroiden Merkmalen) zu enden. Weiter betont man
die eventuell vorhandenen chinesischen Elemente
durch den Zusatz chino. Also doch ein unterschwelliger
Rest von Rassismus in diesem jede Diskriminierung
leugnenden Staat? Immerhin habe ich in Virginias
Worten den Stolz gespürt, dass das kleine
Mädchen von hellem Teint sei.
Wir kommen vom Hundertsten ins Tausendste und
landen schließlich beim Wetter. Und von
hier zu den Wirbelsturm-Erlebnissen ist es nur
ein kleiner Schritt.
Der schlimmste Zyklon sei der von 1985 gewesen,
darüber sind sie sich alle einig - und beginnen
sogleich, sich gegenseitig mit Angaben über
die verheerende Wirkungen dieses Sturms zu übertrumpfen,
angefangen mit dem Fall des Segelschiffs im Hafen
von Cienfuegos, das vom Sturm in die Luft gerissen
und einen Kilometer weiter wieder abgesetzt wurde,
bis zum Kind, dass, weit hinauf in die Luft gewirbelt,
wie durch ein Wunder unverletzt blieb. Detailliert
wird auch geschildert, bei welchen Freunden oder
Verwandten und wie hoch das Wasser in den Häusern
gestanden war.
Irgendwann, als uns das Gespräch zu anstrengend
wird, beschließen wir, einen Abendspaziergang
zu machen - nach dem üppigen Mahl genau das
Richtige. Wir schlendern eine Weile völlig
ziellos in der lauen, aber windigen und ungemütlichen
Nacht herum. Es ist dunkel und durch den ständigen
Wind wird es mir etwas kalt. Während die
gespenstischen Wolken zeitweise den Vollmond durchscheinen
lassen, ihn aber sogleich wieder verbergen, erfüllt
die spärliche Straßenbeleuchtung
kaum ihren Zweck. Jegliches Leben scheint von
der Straße weggefegt worden zu sein und
ich fühle mich so weit weg von allem wie
seit langem nicht mehr.
Caibarién,
1. März
Familienbild
in der casa particular
Ich
hatte es mir vom Anfang an vorgenommen: Das typische
kubanische Ambiente dieser casaparticular
auf einem Foto einzufangen. Es war so zu sagen
Liebe auf den ersten Blick. Wenn ich das technische
Problem mit dem nicht ausreichenden Licht in den
Griff bekäme, könnte das ein interessantes,
sehr aussagekräftiges Bild abgeben, dachte
ich mir.
Zuerst nehme ich mir noch die Zeit, gemütlich
zu frühstücken.
Dann lege ich einen Film mit höherer Empfindlichkeit
in meine Nikon ein und studiere noch einmal die
Bedienungsanleitung wegen der Automatik, die ich
sonst kaum verwende. Schließlich montiere
ich ein Weitwinkelobjektiv auf die Kamera, diese
auf das Stativ, und stelle letzteres im Wohnzimmer
gegenüber der Sitzgruppe auf. Dann reiße
ich alle Türen und Fenstern auf, um so viel
Tagelicht wie möglich einzufangen, und richte
das Blitzlichtgerät gegen die Zimmerdecke,
damit das Licht gestreut wird und dadurch natürlicher
erscheint.
Jetzt fehlen mir nur noch die Akteure, dann kann
es los gehen.
Aber wo ist jetzt Virginia? Hatten wir gestern
nicht ausführlich darüber gesprochen,
dass ich heute diese Aufnahmen machen würde?
Ich werde etwas unruhig. Aber es hilft nichts.
Etwas verlegen gesteht mir der Ehemann, dass seine
Frau in die Stadt gefahren sei. Sie würde
heute bei der Post aushelfen.
War also alles umsonst? Der Mann schmunzelt. Da
müsse halt die Köchin für das Foto
herhalten. Ob das für mich in Ordnung wäre?
Gesagt, getan. Schon sitzen sie wie ein altes
eingespieltes Ehepaar auf der Couch, scherzen,
lächeln, schauen sich an, lachen in die Kamera.
Mich dünkt, dass sich Virginia nicht übermäßig
über die Fotos freuen würde.
Ich benutze lange Belichtungszeiten, um das Tageslicht
besser wirken zu lassen, und knipse, ändere
mehrmals die Einstellung, knipse weiter. Roberto
unterhält sich mit dem Paar, damit es nicht
in die übliche verlegene Erstarrung gerät
und spontan bleibt. Aber nichts fällt den
beiden leichter als das.
Das letzte Mal auf den Auslöser drücken
- es ist geschafft.
Die
Reise geht dem Ende zu
Jetzt
müssen wir ans Weiterfahren denken. Großer
Abschied mit "Vaya con Dios",
Küsschenwechsel mit der Köchin - jetzt
bin ich bereits ein Experte -, zuerst rechts,
dann links, und schon sind wir wieder unterwegs.
Obwohl wir noch einige Tage in Havanna verbringen
werden, habe ich das Gefühl, als wäre
unsere Reise bereits am Ende. Roberto geht es
nicht viel anders. Wir benutzen wieder die langweilige
Autobahn nach Havanna. Die Landschaft ist flach,
die Straße staubig und der Himmel diesig.
Als würde es bald wieder zu regnen anfangen.
Das einzig Aufregende scheint wieder die Fahrweise
von Omar zu sein. Dauernd müssen wir ihn
mahnen, doch etwas langsamer zu fahren. Er befolgt
eine Zeit lang unsere Anweisung, dann drückt
er wieder auf das Gaspedal, als hätte er
es besonders eilig, nach Hause zu kommen. Neue
Mahnung. Gleiches wie gehabt. Weitere Mahnung.
Dasselbe. Am Ende geben wir es auf.
Die
Panne
Irgendwann
ist es dann da - das Geräusch. Als ob etwas
am Rad hinge und mitgeschleift würde. Tschik-tschik-tschik-tschik.
Wenn wir etwas langsamer fahren, nimmt die Frequenz
des Geräusches ab. Wenn wir beschleunigen,
wird es wieder schneller. Beunruhigt halten wir
am Straßenrand. Omar werkelt an einer Radkappe
herum. Eine Weile fahren wir dann extrem langsam
und hören nichts mehr. Prompt drückt
Omar auf die Tube und - tschik-tschik-tschik-tschik-tschik.
Als Roberto während der Fahrt vom Fenster
aus ganz genau auf das Hinterrad schaut, fällt
es ihm auf. Mit Schrecken müssen wir feststellen,
dass das Rad eiert. Es sitzt nicht fest auf der
Achse. Und es ist zu befürchten, dass es
abbricht.
Was tun? Wir müssen schleunigst von
der Autobahn herunter und den Autovermieter
anrufen. So steuern wir in Schrittgeschwindigkeit
San Jose de las Lajas, die nächste
Ortschaft, an, fast schon an der Peripherie Havannas.
Während Omar und Roberto ein öffentliches
Telefon suchen, schieße ich noch ein paar
Fotos vom lebendigen Treiben in San Josè.
Schließlich gelingt es Omar, Herrn Ruiz
zu erreichen und mit ihm einen Treffpunkt (noch
etwas näher an der Stadt) auszumachen, wo
er uns in etwa einer halben Stunde erreichen will.
Und nun muss ich ganz ehrlich sein und etwas gegen
die vermeintliche Ineffizienz dieses sozialistisches
Landes bemerken. Herr Ruiz kommt, einigermaßen
pünktlich und in Begleitung eines Mechanikers
- und mit einem zweiten Gefährt. Sie schauen
sich den Schaden an, machen einen kurzen Versuch,
ihn uns in die Schuhe zu schieben, indem sie Omar
nach seiner Fahrweise befragen und kurz etwas
von kaputten Radlagern und Achsenbruch sprechen,
aber dann übergeben sie uns anstandslos das
zweite Auto, lassen uns die Übergabepapiere
unterschreiben, und die Geschichte ist erledigt.
Noch am frühen Nachmittag kommen wir in Havanna
bei Lenin an.