Lonely Planet Kuba (Deutsche Ausgabe)
von Brendan Sainsbury
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De la Sierra del Escambray al
Congo: En la Voragine de la Revolucion Cubana
(From the Escambray to the Congo: In the Whirlwind of
the
Cuban Revolution)
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National Geographic Traveler
- Kuba
v. Christopher Baker
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Trinidad,
27. Februar
In
die Sierra del Escambray
Ich
wache mit einem sehr schweren Magen auf und fühle
mich, am Rande einer Übelkeit, matt und lustlos.
Beim Frühstück bringe ich kaum einen
Bissen hinunter, und ich muss ständig überlegen,
ob ich den geplanten Ausflug zu den Wasserfällen
nicht sein lassen soll.
Als Omar auf die Minute pünktlich erscheint,
spiele ich erst auf Zeit, bestelle ihn für
elf Uhr wieder und lege mich anschließend
noch einmal hin. Meine Übelkeit nimmt zu,
dann glücklicherweise wieder ab. So reiße
ich mich zusammen und beschließe, doch etwas
zu unternehmen. Als Omar wieder kommt, fahren
wir los. Tagesziel ist die Sierra del Escambray,
bei der Topes de Collantes.
Entlang der holprigen Straße, die sich in
zahlreichen engen, aber nicht allzu steilen Kurven
den Berg hinauf schlängelt, flutscht die
Landschaft an mir vorbei, ohne dass ich sie in
meinem kraftlosen und benebelten Zustand wirklich
wahrnehmen kann. Aber ist es nur meine Schlappheit,
meine Unlust oder mein Zuviel-bereits-gesehen-haben,
weshalb sie mich auch hier kaum vom Hocker reißt?
Ich denke nicht. Denn es fehlt ihr tatsächlich
an zerklüfteten Felsen, nuancierten Farbschattierungen,
skurrilen Formen, an deutlich unterscheidenden
Merkmalen.
Der Weg zum Wasserfall, dem Salto Vega Grande,
als gefährlicher,
besonders anstrengender Weg von Omar angekündigt,
wird uns vor Ort als eine etwa fünfhundert
Meter lange per Auto befahrbare Strecke
und ein anschließender eineinhalb Kilometer
langer, steiler Fußpfad beschrieben. So
schwinden meine letzten Bedenken, ich
könnte in meinem geschwächten Zustand
Probleme bekommen und wir marschieren
los.
Kaum tauchen wir in den Wald ein, schon wird aus
dem, was mir aus der Ferne nur als eintönige,
grüne Struktur erschienen war, plötzlich
eine faszinierende Wildnis. Streckenweise sind
die Bergrücken ganz und gar mit Gestrüpp
überzogen, einem stacheligen, undurchdringlichen
Buschwerk, dann wiederum beeindrucken mich Zedern,
Pinien und andere gewaltige Bäume, deren
Stämme teilweise dicht mit Flechten und Kletterpflanzen
bewachsen sind.
Der Weg, der uns zum besagten Wasserfall bringen
soll, führt unentwegt und mit sanftem Gefälle
bergab. Es marschiert sich also leicht. Nach etwa
einer halben Stunde treffen wir auf einen Mann,
der unter einem Felsvorsprung ein Tischchen aufgestellt
hat und frischgepresste Fruchtsäfte verkauft.
Es scheint mir strategisch eine gute Stelle zu
sein und ich schätze deshalb, dass wir etwa
die halbe Strecke hinter uns gebracht haben.
Dann geht es weiter abwärts, jetzt streckenweise
etwas steiler im feuchten, dichten und dunklen
Wald. Mücken stechen mich, der Schweiß
rinnt mir den Rücken hinunter, und
ich fühle, wie ich ganz und gar nicht auf
der Höhe meiner Kräfte bin. Im Gegenteil:
Beim Gedanken, den ganzen, langen, anstrengenden
Weg wieder hinauf schnaufen zu müssen, werden
meine Zweifel und meine Schlappheit nur noch größer.
Dazu kommt, dass wir einem sich bereits auf dem
Rückweg befindenden, eher korpulenten Briten
begegnen, der uns, tiefrot im vor Schweiß
glänzenden Gesicht und sichtlich schwer atmend,
eindringlich vor dem Weitergehen warnt. Wir hätten
noch einen 20-Minuten-Marsch vor uns bis zum Salto,
sagt er, und wenn wir nicht wirklich "in
good shape" seien, könnte der Aufstieg
zum Alptraum werden.
Ich würde mir freilich ziemlich dumm vorkommen,
wenn ich so mittendrin einfach kehrt machen würde,
zumal ich in Normalzustand ausreichende Kondition
besitze. So lasse ich mich nicht entmutigen, und
wir marschieren tapfer weiter.
Nach etwa einer halben Stunde ist es soweit: Der
Wasserfall kündigt sich mit einem Rauschen,
dass bei jedem Schritt lauter und verlockender
wird, endlich an. Meine Neugierde gibt mit Kraft,
lässt meine Schritte schneller werden, und
in wenigen Minuten sind wir da. Was sich mir aber
zeigt, ist lediglich ein eher enttäuschendes
Rinnsal. Von etwa 60 Meter Höhe fließt
es über einen schrägen, nicht allzu
steilen Felshang herunter. In der Regenzeit mögen
hier ja beeindruckende Wassermassen herunterströmen,
einen Wasserfall jedoch hatte ich mir anders vorgestellt.
Während ich meine Enttäuschung und meine
Müdigkeit mit Gleichgültigkeit ertrage
und schnell zwei Fotos schieße, klettert
Omar wie ein unternehmungslustiger Lausbub die
Böschung hinauf, um sich dort oben, als winzigen
Punkt neben dem herunterstürzenden Wasser,
von mir ablichten zu lassen. Ich muss hoch und
heilig versprechen, ihm das Foto zu schicken.
Frisch ausgeruht starte ich nun mit Omar zum Rückweg,
einem unter den gegebenen Umständen sehr
mühsamen Aufstieg. Und aus dem endlosen Hinunter
des Hinwegs wird jetzt ein schweißtreibendes,
noch endloseres Hinauf, ein Vorwärtstrotten
im Schneckentempo auf zahllosen Treppen oder entlang
steiler Pfaden, das kein Ende zu nehmen scheint.
Bald wünschte ich, ich hätte ganz am
Anfang der Tour eines der Pferde gemietet, die
für die Touristen parat stehen. Und während
ich daran denke, kommen kurz darauf tatsächlich
ein paar Reiter, ein Führer und zwei Reisende,
in raschem Tempo den Berg hinauf. Meine Blicke
verfolgen sie mit Neid. Zwei Liter Schweiß
später - ich bin inzwischen noch langsamer
als eine Schnecke geworden - werfe ich meinen
Stolz über Bord und überreiche Omar
meinen Rucksack. Und endlich, irgendwann nach
Tausenden von mühsamen Schritten, hat die
Plackerei dann tatsächlich ein Ende.
Zurück in Trinidad kann ich mich nur noch
aufs Bett werfen und den Rest des Nachmittags
kraftlos durchdösen - während mein Magen
nur ganz langsam wieder zur Ruhe kommt.
Von Essen kann kaum die Rede sein, ich schaffe
es gerade noch, an ein paar Keksen vorsichtig
herumzuknabbern.
Mit letzter Kraft raffe ich mich gegen neun Uhr
noch auf, begebe mich für kurze Zeit ins
Internet-Büro, um (für zwei US $ die
Viertelstunde) eine E-Mail nach Hause zu senden.
Trinidad,
28. Februar
Es
geht mir schon wesentlich besser. Duschen, frühstücken,
die Rechnung begleichen, gleich kann
es weiter gehen.
Abschied
von Trinidad
Als Omar um Viertel vor zehn noch immer nicht
erschienen ist, mache ich mich auf den Weg, ihn
zu suchen. Es trifft sich gut, dass er mir gestern
gezeigt hat, wo sein Übernachtungsquartier
ist. Dort finde ich ihn auch in der Küche
beim Kaffeetrinken, wo er völlig überdreht
und mit einem breiten Grinsen im Gesicht unentwegt
kichert und mit der Inhaberin, einer jovialen,
molligen Enddreißigerin, auf sehr
vertrauliche Art schäkert. Leider ist mein
Spanisch nicht gut genug, um alles mitzubekommen.
Die Wände sind mit Graffiti von Gästen
beschmiert, die ihren Aufenthalt hier verewigen
wollten. "Venir en Triniad y no vivir
aqui es como quitar el ron da el Mojito. Muchas
gracias para todo" (Nach Trinidad zu
kommen und nicht hier zu wohnen, ist wie den Rum
beim Mojito wegzulassen. Vielen Dank für
alles), heißt es auf einem von ihnen. Die
Räumlichkeiten strahlen eine wirre Schlampigkeit
(Unordnung, ungemachte Betten, herumstehendes
Geschirr ...) aus, die in den offiziellen casas
particulares für Touristen niemals aufzufinden
wäre. Dafür zahlen Kubaner vermutlich
in Pesos kaum mehr als das, was wir in $ bezahlen.
Hat Omar einen sitzen? Etwas verunsichert frage
ich ihn danach. Ist er überhaupt noch in
der Lage, Auto zu fahren? Aber ja, erwidert er
lachend und versucht mich zu beruhigen. Seine
Überdrehtheit sei nur auf die erfreuliche
Tatsache zurückzuführen, dass er gestern
Nacht endlich zwei (2!) Mädchen aufgerissen,
und in die Herberge mitgenommen habe. Von übermäßigem
Alkoholgenuss kann überdies nicht die Rede
sein, es wäre ihm doch viel zu teuer gekommen.
Fehle ihm lediglich etwas Schlaf.
Jedenfalls kommt mir sein darauf folgendes Fahrverhalten
wie das einer wild gewordenen Sau vor. Ungeachtet
des schlechten Zustands der Fahrbahn, der Schlaglöcher,
der unübersichtlichen Kurven und des Gegenverkehrs,
das erfreulicherweise eher spärlich ist,
rast er mit über hundert km/h über die
Landstraße. Ich muss ihn dauern einbremsen.
Entsprechend schnell sind wir wieder in Cienfuegos,
wo Roberto in der casa particular des Señor
O'Bourke, in der wir schon einmal waren, bereits
auf uns wartet. Man erkennt mich, begrüßt
mich und ist wieder überfreundlich. Die Alte,
die für uns damals gekocht hatte, umarmt
mich herzlichst beim Abschied. Inzwischen weiß
ich ja, dass man zuerst die rechte Wange reicht.
Und schon brettern wir weiter in Richtung Santa
Clara, der Stadt, in der die Überreste von
Che Guevara bestattet sind.
Zuckerrohrland. Landschaft, die sich wieder unscheinbar
und trocken präsentiert. Diesig bis grau
der Himmel. Die Palmen, die wie Zahnstocher einzeln
oder in kleinen Hainen die Langeweile etwas mildern,
schaffen es kaum, meine Fantasie zu beflügeln.
Schon eher können es die guajiros,
die zu Pferd vereinzelt am Rande der Straße
vorbei ziehen, oder die unzähligen kleinen
Szenen, die alle unsere Fahrten begleiten, und
die Menschen, die an jeder Straßenabzweigung
mit manchmal grimmigen oder aggressiven, öfter
traurigen, müden, gelassenen, hoffnungsvollen,
resignierten, frechen oder schüchternen Blicken
nur eines im Sinn haben: ihr schon stundenlang
anhaltendes Warten auf eine Mitfahrtgelegenheit
endlich zu beenden. Manche von ihnen winken auch
mit einem Geldschein in der Hand.
Bei Omar mach sich die Müdigkeit jetzt verstärkt
bemerkbar, er verfehlt Straßen, statt auf
eine Ausfahrt gerät er auf die Gegenfahrbahn,
er wirkt wortkarg und ernst.