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National Geographic Traveler - Kuba
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Trinidad, 27. Februar
In die Sierra del Escambray

Ich wache mit einem sehr schweren Magen auf und fühle mich, am Rande einer Übelkeit, matt und lustlos. Beim Frühstück bringe ich kaum einen Bissen hinunter, und ich muss ständig überlegen, ob ich den geplanten Ausflug zu den Wasserfällen nicht sein lassen soll.
Als Omar auf die Minute pünktlich erscheint, spiele ich erst auf Zeit, bestelle ihn für elf Uhr wieder und lege mich anschließend noch einmal hin. Meine Übelkeit nimmt zu, dann glücklicherweise wieder ab. So reiße ich mich zusammen und beschließe, doch etwas zu unternehmen. Als Omar wieder kommt, fahren wir los. Tagesziel ist die Sierra del Escambray, bei der Topes de Collantes.
Entlang der holprigen Straße, die sich in zahlreichen engen, aber nicht allzu steilen Kurven den Berg hinauf schlängelt, flutscht die Landschaft an mir vorbei, ohne dass ich sie in meinem kraftlosen und benebelten Zustand wirklich wahrnehmen kann. Aber ist es nur meine Schlappheit, meine Unlust oder mein Zuviel-bereits-gesehen-haben, weshalb sie mich auch hier kaum vom Hocker reißt? Ich denke nicht. Denn es fehlt ihr tatsächlich an zerklüfteten Felsen, nuancierten Farbschattierungen, skurrilen Formen, an deutlich unter­schei­den­den Merkmalen.
Der Weg zum Wasserfall, dem Salto Vega Grande, als gefährlicher, besonders anstrengender Weg von Omar ange­kündigt, wird uns vor Ort als eine etwa fünfhundert Meter lange per Auto be­fahr­bare Strecke und ein anschließender eineinhalb Kilometer langer, steiler Fußpfad beschrieben. So schwinden meine letzten Be­den­ken, ich könnte in meinem geschwächten Zustand Pro­ble­me bekommen und wir mar­schie­ren los.
Kaum tauchen wir in den Wald ein, schon wird aus dem, was mir aus der Ferne nur als eintönige, grüne Struktur erschienen war, plötzlich eine faszinierende Wildnis. Streckenweise sind die Bergrücken ganz und gar mit Gestrüpp überzogen, einem stacheligen, undurchdringlichen Buschwerk, dann wiederum beeindrucken mich Zedern, Pinien und andere gewaltige Bäume, deren Stämme teilweise dicht mit Flechten und Kletterpflanzen bewachsen sind.
Der Weg, der uns zum besagten Wasserfall bringen soll, führt unentwegt und mit sanftem Gefälle bergab. Es marschiert sich also leicht. Nach etwa einer halben Stunde treffen wir auf einen Mann, der unter einem Felsvorsprung ein Tischchen aufgestellt hat und frischgepresste Fruchtsäfte verkauft. Es scheint mir strategisch eine gute Stelle zu sein und ich schätze deshalb, dass wir etwa die halbe Strecke hinter uns gebracht haben.
Dann geht es weiter abwärts, jetzt streckenweise etwas steiler im feuchten, dichten und dunklen Wald. Mücken stechen mich, der Schweiß rinnt mir den Rücken hinunter, und ich fühle, wie ich ganz und gar nicht auf der Höhe meiner Kräfte bin. Im Gegenteil: Beim Gedanken, den ganzen, langen, anstrengenden Weg wieder hinauf schnaufen zu müssen, werden meine Zweifel und meine Schlappheit nur noch größer. Dazu kommt, dass wir einem sich bereits auf dem Rückweg befindenden, eher korpulenten Briten begegnen, der uns, tief­rot im vor Schweiß glänzenden Gesicht und sichtlich schwer atmend, eindringlich vor dem Weitergehen warnt. Wir hätten noch einen 20-Minuten-Marsch vor uns bis zum Salto, sagt er, und wenn wir nicht wirklich "in good shape" seien, könnte der Aufstieg zum Alptraum werden.
Ich würde mir freilich ziemlich dumm vorkommen, wenn ich so mittendrin einfach kehrt machen würde, zumal ich in Normalzustand ausreichende Kondition besitze. So lasse ich mich nicht entmutigen, und wir marschieren tapfer weiter.
Nach etwa einer halben Stunde ist es soweit: Der Wasserfall kündigt sich mit einem Rauschen, dass bei jedem Schritt lauter und verlockender wird, endlich an. Meine Neugierde gibt mit Kraft, lässt meine Schritte schneller werden, und in wenigen Minuten sind wir da. Was sich mir aber zeigt, ist lediglich ein eher enttäuschendes Rinnsal. Von etwa 60 Meter Höhe fließt es über einen schrägen, nicht allzu steilen Felshang herunter. In der Regenzeit mögen hier ja beeindruckende Wassermassen herunterströmen, einen Wasserfall jedoch hatte ich mir anders vorgestellt. Während ich meine Enttäuschung und meine Müdigkeit mit Gleichgültigkeit ertrage und schnell zwei Fotos schieße, klettert Omar wie ein unternehmungslustiger Lausbub die Böschung hinauf, um sich dort oben, als winzigen Punkt neben dem herunterstürzenden Wasser, von mir ablichten zu lassen. Ich muss hoch und heilig versprechen, ihm das Foto zu schicken.
Frisch ausgeruht starte ich nun mit Omar zum Rückweg, einem unter den gegebenen Umständen sehr mühsamen Aufstieg. Und aus dem endlosen Hinunter des Hinwegs wird jetzt ein schweißtreibendes, noch endloseres Hinauf, ein Vorwärtstrotten im Schneckentempo auf zahllosen Treppen oder entlang steiler Pfaden, das kein Ende zu nehmen scheint.
Bald wünschte ich, ich hätte ganz am Anfang der Tour eines der Pferde gemietet, die für die Touristen parat stehen. Und während ich daran denke, kommen kurz darauf tatsächlich ein paar Reiter, ein Führer und zwei Reisende, in raschem Tempo den Berg hinauf. Meine Blicke verfolgen sie mit Neid. Zwei Liter Schweiß später - ich bin inzwischen noch langsamer als eine Schnecke geworden - werfe ich meinen Stolz über Bord und überreiche Omar meinen Rucksack. Und endlich, irgendwann nach Tausenden von mühsamen Schritten, hat die Plackerei dann tatsächlich ein Ende.
Zurück in Trinidad kann ich mich nur noch aufs Bett werfen und den Rest des Nachmittags kraftlos durchdösen - während mein Magen nur ganz langsam wieder zur Ruhe kommt.
Von Essen kann kaum die Rede sein, ich schaffe es gerade noch, an ein paar Keksen vorsichtig herumzuknabbern.
Mit letzter Kraft raffe ich mich gegen neun Uhr noch auf, begebe mich für kurze Zeit ins Internet-Büro, um (für zwei US $ die Viertelstunde) eine E-Mail nach Hause zu senden.

Trinidad, 28. Februar

Es geht mir schon wesentlich besser. Duschen, frühstücken, die Rechnung be­glei­chen, gleich kann es weiter gehen.

Abschied von Trinidad

Als Omar um Viertel vor zehn noch immer nicht erschienen ist, mache ich mich auf den Weg, ihn zu suchen. Es trifft sich gut, dass er mir gestern gezeigt hat, wo sein Übernachtungsquartier ist. Dort finde ich ihn auch in der Küche beim Kaffeetrinken, wo er völlig überdreht und mit einem breiten Grinsen im Gesicht unentwegt kichert und mit der Inhaberin, einer jovialen, molligen End­drei­ßigerin, auf sehr vertrauliche Art schäkert. Leider ist mein Spanisch nicht gut genug, um alles mitzubekommen.
Die Wände sind mit Graffiti von Gästen beschmiert, die ihren Aufenthalt hier verewigen wollten. "Venir en Triniad y no vivir aqui es como quitar el ron da el Mojito. Muchas gracias para todo" (Nach Trinidad zu kommen und nicht hier zu wohnen, ist wie den Rum beim Mojito wegzulassen. Vielen Dank für alles), heißt es auf einem von ihnen. Die Räumlichkeiten strahlen eine wirre Schlampigkeit (Unordnung, ungemachte Betten, herumstehendes Geschirr ...) aus, die in den offiziellen casas particulares für Touristen niemals aufzufinden wäre. Dafür zahlen Kubaner vermutlich in Pesos kaum mehr als das, was wir in $ bezahlen.
Hat Omar einen sitzen? Etwas verunsichert frage ich ihn danach. Ist er überhaupt noch in der Lage, Auto zu fahren? Aber ja, erwidert er lachend und versucht mich zu beruhigen. Seine Überdrehtheit sei nur auf die erfreuliche Tatsache zurückzuführen, dass er gestern Nacht endlich zwei (2!) Mädchen aufgerissen, und in die Herberge mitgenommen habe. Von übermäßigem Alkoholgenuss kann überdies nicht die Rede sein, es wäre ihm doch viel zu teuer gekommen. Fehle ihm lediglich etwas Schlaf.
Jedenfalls kommt mir sein darauf folgendes Fahrverhalten wie das einer wild gewordenen Sau vor. Ungeachtet des schlechten Zustands der Fahrbahn, der Schlaglöcher, der unübersichtlichen Kurven und des Gegenverkehrs, das erfreulicherweise eher spärlich ist, rast er mit über hundert km/h über die Landstraße. Ich muss ihn dauern einbremsen.
Entsprechend schnell sind wir wieder in Cienfuegos, wo Roberto in der casa particular des Señor O'Bourke, in der wir schon einmal waren, bereits auf uns wartet. Man erkennt mich, begrüßt mich und ist wieder überfreundlich. Die Alte, die für uns damals gekocht hatte, umarmt mich herzlichst beim Abschied. Inzwischen weiß ich ja, dass man zuerst die rechte Wange reicht. Und schon brettern wir weiter in Richtung Santa Clara, der Stadt, in der die Überreste von Che Guevara bestattet sind.
Zuckerrohrland. Landschaft, die sich wieder unscheinbar und trocken präsentiert. Diesig bis grau der Himmel. Die Palmen, die wie Zahnstocher einzeln oder in kleinen Hainen die Langeweile etwas mildern, schaffen es kaum, meine Fantasie zu beflügeln. Schon eher können es die guajiros, die zu Pferd vereinzelt am Rande der Straße vorbei ziehen, oder die unzähligen kleinen Szenen, die alle unsere Fahrten begleiten, und die Menschen, die an jeder Straßenabzweigung mit manchmal grimmigen oder aggressiven, öfter traurigen, müden, gelassenen, hoffnungsvollen, resignierten, frechen oder schüchternen Blicken nur eines im Sinn haben: ihr schon stundenlang anhaltendes Warten auf eine Mitfahrtgelegenheit endlich zu beenden. Manche von ihnen winken auch mit einem Geldschein in der Hand.
Bei Omar mach sich die Müdigkeit jetzt verstärkt bemerkbar, er verfehlt Straßen, statt auf eine Ausfahrt gerät er auf die Gegenfahrbahn, er wirkt wortkarg und ernst.