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Dance in Cuba (
) von Gil Garcetti
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Playa
Ancón bei Trinidad, 26. Februar
Bei
einer leichten Brise und 24° C faulenzen wir
sorglos im Schatten einer Kokospalme. Vor uns
liegt ein blendend weißer Strand mit feinstem
Sand - der sich auch prompt in jede Ritze meiner
Fototasche einnistet. Zwanzig Meter weiter vorne
leuchtet ein azurblaues Meer, und neben uns verweilen
vereinzelte Touristen, reiben sich mit Sonnencreme
ein und lassen sich "well-done" braten.
Unser Fahrer ist der einzige Kubaner weit und
breit. Ihn scheint der schöne Strand nicht
besonders zu beeindrucken, das Wasser ist ihm
sowieso zu kalt, und er zieht es vor, auf seinem
Liegestuhl einzunicken. Ich selbst bemühe
mich, rigoros im Schatten zu bleiben, und gönne
mir, wie auch Roberto, nur eine kurze Abkühlung
im Meer.
Unsere Ruhe wird nur von einer britischen Familie
mit drei Kindern gestört, die manchmal in
voller Lautstärke einen ununterbrochenen
Wortschwall erzeugt, und ihn freundlicherweise
zu uns herüber trompetet. Rechts von uns
haben es sich zwei junge weißhäutigen
Holländerinnen in der prallen Sonne bequem
gemacht, noch nicht ahnend, dass sie heute Abend,
nun keine Schneewittchen mehr, von einem üblen
Sonnenbrand geplagt sein werden; weiter hinten
in der Nähe der palmenüberdachten Bar
sitzt eine Gruppe Italiener bei einem Drink.
Es ist, in anderen Worten, eine der reinen Touristen-Enklaven
in diesem Land, wo Kubaner sich zwar, von dem
mit Walkie-Talkies ausgerüsteten Sicherheitspersonal
streng bewacht, auf den Strand verirren dürfen
- "Melde Ankunft zweier Touristen mit einem
kubanischen Begleiter, bitte Überwachung
übernehmen, Roger" -, aber kaum eine
Erlaubnis bekommen, in den Hotels zu übernachten.
Das gelte für ganz Trinidad, wurde uns gleich
bei der Ankunft von meiner Gastgeberin kundgetan.
Was anderswo nur für die Hotels üblich
sei, beziehe sich hier auch auf die casas particolares.
Und keine chicas auf die Zimmer!
Allein
in Trinidad
Soeben
hat sich Omar, aus Cienfuegos zurück, wo
er Roberto abgesetzt hat, bei mir wieder gemeldet.
Denn Roberto war zwar gestern von Trinidad nicht
enttäuscht, gleichwohl hatte ihn das Künstliche
an diesem Ort ziemlich bald genervt. Und in Wahrheit
muss ich auch zugeben, dass sich die Stadt fast
wie ein Theater gibt, die Altstadt als Kulisse
und die Einheimischen als Statisten in einer Darstellung
für Touristen. Als ich gestern Abend eine
Kindergruppe beim Baseballspielen fotografieren
wollte, befanden sich an jeder Ecke des Platzes
weitere sonnengerötete Männer oder Frauen
in kurzen Hosen und mit umgehängter Kamera,
die sich gegenseitig nacheiferten und behinderten.
Dennoch genieße ich diese Stadt. Zierliche
weißgestrichene schmiedeeiserne Bänke
schmücken den kleinen Park inmitten der großzügig
geschnittenen Plaza Mayor, wo ich beim
letzten Licht noch versuche meine Eindrücke
niederzuschreiben. In dieser Abendstunde
sind sie bereits alle von Touristen belegt, ein
belgisches Paar um die fünfzig
rechts von mir, ein Neapolitaner mit weiblichem
Anhang aus Kuba zu meiner Linken. Er bestätigt
nur mein Vorurteil, dass die italienischen
Männer in diesem Land fast nur eines im Sinn
haben - chicas.
Es ist ein kollektiver Wahn, der nur mit dem Sextourismus
in Thailand verglichen werden kann. In den Diskotheken
in Cienfuegos, meinte jedenfalls Roberto, seien
sie in Scharen da gewesen, die Italiener,
sich gegenseitig auf die Füße tretend
und den jineteras-Markt verderbend.
In den wenigen Musiklokalen in Trinidad kommt
man sich vor wie im Club Mediterraneé.
Mittelmäßige Kapellen spielen auf der
Bühne und Massen deutscher, italienischer,
französischer und anderer Urlauber sitzen,
völlig unter sich, brav an ihren Tischen
und nippen an ihrem Mojito, "dem"
kubanischen Cocktail. Was für ein Unterschied
zur lebendigen, pulsierenden, "echten"
Szene von Havanna!
Und Roberto, dem die Schönheit dieses Ortes
nicht reichte, der keine Kamera bei sich hat,
mit der er sich wie ich auf das Erlebnis Architektur
und Menschen von der fotografischen Seite annähern
konnte, der viel mehr als ich auf das Erlebnis
"menschliche Kontakte" gesetzt hat,
fand diesen Ort bald langweilig. So beschloss
er kurzerhand, während ich doch etwas mehr
in Trinidad und seiner Umgebung verweilen wollte,
die nächsten zwei Tage in Cienfuegos zu verbringen.
Ich fühle mich, weil für zwei Tage allein,
ein wenig freier. Ich genieße in vollen
Zügen die meditativen Momente kurz vor dem
Dunkelwerden, die Lampions, die in der Dämmerung
in warmem Gelb leuchten, die laue Luft, die der
gestrigen, noch etwas kühlen Abendbrise gewichen
ist, und die Stille vor dem Sturm - denn bald
wird die Musik laut und penetrant aus allen Richtungen
auf mich einströmen.
Ich genieße diese oberflächlichen Kontakte
mit den Kubanern, auch
wenn sie mehr aus Blicken bestehen als aus wirklichem
Dialog - der Fotoapparat hilft mir dabei
-, und wenn auch manches Gespräch mit Dollar
oder monedas endet. So bin ich freudig
überrascht, wenn ich von einem würdevollen
alten Herr vom Fenster aus angesprochen werde,
und ich mühevoll ein paar Brocken Spanisch
zusammenkratze, um meine Dankbarkeit
zu äußern.
Wenn man nicht unter dem innerem Zwang, etwas
ganz Bestimmtes zu tun, steht, dann kann man weitaus
besser beobachten als sonst, die Spiele der Kinder
zum Beispiel, oder die Mimik der señoras
beim Nachmittagstratsch, die erwartungsvollen
oder die spontanen Lächeln, die Rituale der
Touristen oder das strenge Gehabe der Touristenpolizei
gegenüber den eigenen Leuten. Und man kann
sogar manch eine Äußerung eines Bettlers
("Tiene un sabon?"/Haben Sie
eine Seife?) einer philosophischen Betrachtung
unterziehen.
Am Abend wird der Einblick durch die rejas
in die Wohnungen besonders interessant. Die Räume,
dessen Kachelböden manchmal mit maurischen
Mustern versehen sind, sind relativ klein, aber
oft bis zu drei Meter hoch, und von der Zimmerdecke
hängen neben Lampen oder manchmal riesigen
Kronleuchtern immer
große Deckenventilatoren.
Man kann Schaukelstühle aus dunklem Holz
mit allerlei Schnörkeln sehen, schwere Vorhänge
als Trennwand zwischen den einzelnen
Zimmern, mannshohe dunkel eingerahmte
Spiegel, kitschige Gemälde und Reproduktionen
von Leonardos Mona Lisa an den Wänden, Porzellanfiguren
in allen Größen, Heiligenbilder, schlanke
Krüge voller Plastikblumen, riesige
Madonnenstatuen, bunt bedruckte Tücher
als Wandschmuck, alte Klaviere, Wanduhren
mit versilberten Säulen, Nippes und
ostentativ riesige Fernseher und Stereoanlagen.
Durch diese Gitterfenster kann man Furcht erregende
Schwarze mit dicken Schnurrbärten beobachten,
Männer, denen man in einer dunklen Gasse
nicht begegnen möchte, und die jetzt zahm
wie Lämmer auf ihren Schaukelstühlen
mit geflochtener Rückenlehne schaukeln und
wie hypnotisiert in die Flimmerkiste starren.
Classe
de danza
In einem ehemaligen Herrenhaus, einem prunkvollen
Palast mit riesengroßen, azur gestrichenen
Innenwänden, der jetzt als Casa de la
cultura fungiert, ist eine classe de danza
(Tanzschule) untergebracht, in der Kinder unter
Anleitung ihre ersten Tanzschritte lernen.
Durch die Fenstergitter kann man ihnen von der
Straße aus gut zuschauen.
Im großen Patio hingegen, von dem man die
Silhouette eines geisterhaft erscheinenden Baumes
sehen kann, der sich pechschwarz gegen den dunklen
Himmel abzeichnet, begleitet ein afrokubanisches
Ensemble mit Congas, Bongos, Maracas und Guiros,
Hände klatschend und singend eine Tänzergruppe.
Diese faszinierende Mischung der drei Elemente
Tanz, Gesang und Perkussion geht mir durch Mark
und Bein, übt einen fast erotischen Einfluss
auf mich aus und versetzt mich dabei nahezu in
Trance, während die goldene Scheibe des Vollmonds
die Szene noch unwirklicher erscheinen lässt,
und in meiner Fantasie Bilder von geheimnisvollen
afrikanischen Riten entstehen.
Eine hübsche, eher dümmlich aussehende
Schwarze mit hohen Korkabsätzen und eng anliegenden
knallblauen, rotgeblümten Leggings nähert
sich mir etwas verhalten und guckt, während
ich schreibe, wie ein Kind verzückt auf meinen
Handheld-Computer. Ihre Haare sind zu zahlreichen
kleinen Zöpfchen geflochten, ihre Haut ist
kohlrabenschwarz und riecht merkwürdig nach
einer Mischung von Gewürzen, Sägespänen
und ungewaschener Haut. Sie nimmt meine Hand,
um den Computer an sich zu ziehen und auszuprobieren,
kommt mir dabei sehr nahe und glotzt mit verwunderten
Kinderaugen auf das Gerät. "Internet?"
fragt sie.
Noch nie hatte ich eine derartige Nähe zum
Gesicht einer schwarzen Frau erlebt.
Diese Nähe hat kaum etwas Erotisches an sich,
sie ist aber dennoch auf einer merkwürdigen
Weise anregend, und ich brauche eine ganze Weile,
um zu verstehen, was an ihr so besonders ist.
Dann geht mir ein Licht auf: Diese an Hautkontakt
grenzende Nähe zu einer Fremden übt
eine starke Bewusstsein schärfende Wirkung
auf mich, weil sie ist so ungewohnt für mich
ist, dass ich deutlich spüre, wie selten
ich wirklich Neues erlebe.
Während ich so im Zuschauen und Hören
versunken bin, kommt eine "heißblutige"
Mulattin aus der Gruppe tanzend auf mich zu, nimmt
mich an der Hand und fordert mich mit einem Lächeln
zum Tanzen auf. Ich kann nicht entkommen. Meine
Mambo-Kenntnisse (oder was immer für ein
Rhythmus das sein mag) sind nicht gerade sehr
fortgeschritten, so hüpfe ich etwas unbeholfen
mit der schwarzen Schönheit auf der Piste
hin und her. Glücklicherweise gibt es, außer
einem Franzosen, der aber selbst das Opfer einer
Tanzentführung geworden ist, so gut wie keine
Zuschauer. Zum Schluss bleibe ich als einziger
Tourist im Raum; man hat keine Eintrittskarte
von mir verlangt, es gibt keine Bar und keine
Stuhlreihe für Zuschauer. So fange ich an
zu glauben, dies alles sei echt gewesen.
Als ich mich etwas später aus dem Patio entferne,
sehe ich nochmals die negrita von vorhin.
Sie sitzt in einem der Nebenräume und verfolgt
mit gelangweiltem Blick eine Telenovela im Fernsehen.
Aus dem vorderen Saal kommt die Kindergruppe der
Tanzlehrerin im Gänsemarsch tanzend
hinterher.
Exakt in dem Augenblick, als ich noch ganz verträumt
aus dem Gebäude trete, schaltet ein entferntes
Auto seine Scheinwerfer ein und beleuchtet das
Kopfsteinpflaster mit seinen geisterhaften gelben
Lichtstrahlen. Ich fühle mich einen Augenblick
wie elektrisiert und ein angenehmes Schaudern
läuft mir den Rücken hinunter.
Später, in meinem Zimmer, schwebe ich noch
lange in einem ungewohnt harmonischen Gemütszustand,
der sich zwischen Erregung, Ergriffenheit, Überschwang
und leichter Melancholie bewegt. Mein Bewusstsein
ist dabei wie geschärft, als ob ich hier
und heute zum ersten Mal wirklich dieses Land
erlebt hätte.