Liebe und Tod in Havanna
von Jerome Savary und Brigitte Lindecke
Auf das Bild klicken,
um zu bestellen
Havanna und Umgebung.
City Guide (Reise Know-How)
von Jens Sobisch
Auf das Bild klicken,
um zu bestellen
Unser Mann in Havanna
von Graham Greene
Auf das Bild klicken,
um zu bestellen
Die Frauen von Havanna.
14 außergewöhnliche Lebensberichte
von Cornelia von Schelling und
Ann-Christine Wöhrl
Auf das Bild klicken,
um zu bestellen
Havanna,
Freitag, 15. Februar
Erster
Besuch in Alt-Havanna
Zu
Fuß machen wir uns auf den Weg in die Altstadt.
Der Himmel ist blau, das Licht blendet, die Neugierde
treibt uns den Malecon (der Uferpromenade)
entlang und an Habana Centro vorbei in
Richtung Habana Vieja (Alt-Havanna).
Der Straßenbelag ist an vielen Stellen aufgerissen,
mancherorts ein einziges Loch. Salzwasser und
heftige Winterstürme haben die jahrhundertealte
Mauer zum Meer angefressen. Wellen schwappen auf
die Promenade über. Irgendwo auf der Mauer
sitzt ein alter Mann, klimpert auf einer noch
älter als er aussehenden Gitarre und starrt
aufs Meer.
Wir tauchen in die Nebenstraßen ein und
- ich finde mich im vor Leben und Farben
strotzenden Kuba meiner Imagination wieder. Es
nimmt mich augenblicklich und ganz für sich
ein.
Dieses Havanna packt mich unvermittelt und tief
in der Seele mit der unverwechselbaren
Physiognomie seiner Häuser, mit ihren Farben
- es überwiegen zarte Pastellfarben von hellblau
bis rosa, die auf dem abbröckelnden Putz
bizarrste
Muster erzeugen -, der Verzierungen ihrer Fassaden
und den Spuren, die die Zeit auf ihnen hinterlassen
hat.
Und zugleich sind es die Menschen, die vor
ihren Häusern sitzen, an ihren Autos
herumwerkeln, die in Schlangen
vor den Brotläden warten oder uns Fremde
ansprechen oder fröhlich anlächeln,
die mir dieses Stadt gleich nahe bringen.
Man begegnet Menschen in allen Farbschattierungen,
junge Frauen mit prallen, unter bunten
Miniröcken kaum verborgenen Hintern, die
vor Sinnlichkeit und selbstbewusster Zurschaustellung
nur so sprühen, alte schwarze Herren, die
die Würde eines Adeligen ausstrahlen, lärmende
Jugendliche und Paare, die Hand in Hand ihre Verliebtheit
demonstrieren. Und auf den Straßen ist es
ein Durcheinander der verschiedensten Verkehrsmittel:
Fahrräder, Fahrradrikschas, Motorräder
mit Beiwagen, klappernde Busse, uralte amerikanische
Straßenkreuzer, die hustend und brummend
um die Ecke kurven. Inzwischen
in der Nähe des Capitolio Nacional
- das übrigens eine fast exakte Kopie
des Kapitols in Washington ist - angekommen,
wird es Zeit für eine Erfrischung. Hier,
an diesem zentralen Treffpunkt der Touristen,
gibt es endlich so etwas wie ein Straßencafé.
Ein bocadillo (belegtes Brötchen)
und ein cafe con leche sind fällig.
Als sollten wir bloß nicht zur Ruhe kommen,
setzt sich ein junger Mulatte, der hier zu arbeiten
scheint, ungefragt an unseren Tisch. Er stellt
sich als Orlando vor und verwickelt uns in ein
Gespräch.
Eher zurückhaltend und wenig vertrauensselig
wie ich bin, schleicht sich bei mir sofort die
Vermutung ein, einem jener Schatten begegnet zu
sein, die ich aus dem Orient so gut kenne - und
nicht gerade liebe: hartnäckige Burschen,
die so lange auf dich einreden, bis du irgend
etwas gibst, kaufst, mietest oder besuchst.
Aber meine noch tief in den Gliedern sitzende
Müdigkeit nimmt diesen Bedenken rasch ihren
Ernst, verschafft mir die nötige Gelassenheit
und lässt mich in eine sanfte Gleichgültigkeit
gleiten. In dieser Verfassung kann ich dem Ganzen
unbekümmert wie einem kleinen Schauspiel
zusehen, wie einer harmlosen Theatervorstellung,
die leicht zu durchschauen ist.
Selbstverständlich könnten wir auf Orlando
zählen, wenn wir in einem paladar
(Privatrestaurant) zu Abend essen möchten
- wünschten wir mit vorzüglichen Hummer
zu speisen für sage und schreibe nur acht
Dollar? Oder suchten wir eine preiswerte casa
particular? Möchten
wir uns nicht gleich umsehen? Gleich hier um die
Ecke kenne er eine, also mitten im Geschehen und
nicht so abseits wie der Vedado. Und das für
nur 20 $ pro Zimmer! Wenn man da nicht gleich
zugreift! Selbstverständlich seien die
Inhaber absolut vertrauenswürdig.
Dafür bürge er. Es vergehen keine zehn
Minuten, da gesellt sich auch Rafael - Sänger,
Gitarrist, Herumlungerer -
zu uns, dessen Bruder, welch ein Zufall, in einer
Zigarrenfabrik arbeitet. Apropos, möchten
wir vielleicht Zigarren kaufen? Natürlich
echte, nicht die billigen Imitationen aus Bananenblättern,
die uns Betrüger (also die Konkurrenz) verkaufen
würden.
Wir
suchen einen Freund auf
Wir müssen weiter. Das Treffen mit Aldo ist
angesagt.
Aldo, den Roberto aus seiner
Studienzeit in Genua kennt, wohnt heute, nach
zahlreichen Versuchen, in den verschiedensten
Weltgegenden beruflich Fuß zu fassen,
mit seiner jungen kubanischen Frau (einer hübschen
Mulattin aus bürgerlicher Familie) im Herzen
von Alt-Havanna. Von seiner Wohnung an der
Calle Oficios aus hat man einen herrlichen
Blick auf die Plaza de San Francisco.
Das großzügig geschnittene 3-Zimmer-Appartement
ist für ihn Wohnstätte und Büro
zugleich. Von hier aus regelt er seine Geschäfte,
die sich in der Hauptsache auf den Import eines
Entkalkungsgeräts amerikanischer
Fabrikation beschränken. Den Schluss, dass
dieses Business recht einträglich
sein muss, kann man ziehen, wenn man Aldo nach
dem Mietpreis seiner Wohnung fragt. Er erreicht
den Standard der teuersten Städte in Deutschland.
Zu vermuten ist natürlich, dass es sich speziell
um Wohnungen für Devisen einbringende Ausländer
handelt, die sich in diesem herrlichen, teilweise
bereits prächtig mit UNESCO-Geldern restaurierten
Viertel etablieren wollen.
Da Aldo in den nächsten Tagen auf Urlaub
nach Europa fährt und es unser Hauptvorhaben
ist, per Auto den westlichen Teil Kubas näher
zu erkunden, konzentriert sich unser Gespräch
auf diesbezügliche Ratschläge und Hinweise.
Er empfiehlt uns Kuba-Neulingen wärmstens,
seinen Freund Omar als Chauffeur und Reiseführer
zu engagieren, einen jungen Kubaner, der lange
in der Tourismusbehörde gearbeitet hat. Für
20 US $ pro Tag würden wir mit ihm auch einen
zuverlässigen Fahrer bekommen. Ebenso organisiert
er für uns einen günstigen Mietwagen
bei einer zuverlässigen Verleihfirma.
Nachmittags,
im Vedado
Ob
die Autos im Privatsitz seien, fragen wir Aldo.
Er bejaht. Die uralten amerikanischen Straßenkreuzer
gehörten weiter ihren ursprünglichen
Besitzern und könnten auch veräußert
werden. Und obwohl die kubanische Regierung den
privaten Besitz nicht gern sehe, gebe es auch
mal Ausnahmen für Personen mit besonderen
Verdiensten. Die grünen Nummernschilder deuteten
auf Staatseigentum, die gelben kennzeichnen
das Gefährt als Privateigentum. Kennzeichen,
die mit HK beginnen, deuten auf ausländischen
Besitz, HM sei Kubanern vorbehalten. Die
schwarzen Nummernschilder sind Diplomaten vorbehalten,
auf blau hat allein Fidel Castro Anrecht.
Während Aldo uns etwas von seinem Lebenslauf
erzählt und viel Wissenswertes über
dieses Land berichtet, warten wir mehr als eine
Stunde lang gelangweilt auf Aldos Frau Julia,
die heute - endlich -, drei Jahre nach ihrer Verehelichung,
von der Behörde eine Auslandsaufenthaltserlaubnis
ausgehändigt bekommen soll.
Mit fortschreitendem Nachmittag wird die Luft
zunehmend wärmer, feuchter, und somit drückender.
Ein leichter Schleier legt sich, zunächst
unmerklich, dann immer sichtbarer, über die
Stadt. Der Himmel verdüstert sich in auffallender
Weise und lässt die Gegenstände dunkler
werden, so dass Farben und Konturen allmählich
verschwinden. Schließlich fängt es
zaghaft an zu tröpfeln.
Während wir mit knurrendem Magen auf Julia
warten, werden die Tropfen schließlich dichter,
verwandeln sich in einen Nieselregen, und bald
prasselt - völlig ungewöhnlich für
diese Jahreszeit - ein gewaltiger tropischer Regenguss
über uns herunter. Er verwandelt die Straßen
und Bürgersteige in wenigen Minuten in Sturzbäche
und zwingt uns, im Auto Schutz zu suchen, die
Fenster hochzukurbeln und die stickige Luft im
Wageninneren zu erdulden.
Es gießt in Strömen, und wird, trotz
manch kurz andauernder Abschwächung, den
ganzen Nachmittag nicht mehr aufhören.
Endlich - es ist bereits fünf Uhr - kommt
Julia überglücklich mit der lang ersehnten
Genehmigung in der Tasche zurück und wir
können uns auf die Suche nach einem Restaurant
machen. Quasi als Rechtfertigung dafür, dass
er ein italienisches Restaurant vorschlägt,
offenbart uns Aldo nach einigem Zögern seine
Meinung über die Qualität des Essens
in Kuba. Vorsichtig formuliert: Sie sei nicht
gerade überwältigend.
Wir
essen im Restaurant A "Prado y Neptuno"
am Paseo de Martí (Prado), der historischen
Flaniermeile, die das Centro Habana von der Altstadt
trennt.
Während alle anderen sich mit Pizza begnügen,
bestehe ich auf einem kubanischen Gericht, und
versuche es - die Auswahl ist nicht groß
- mit einem Teller cerdo. Das Schweinefleischgericht
entpuppt sich jedoch, als wollte es Aldos Meinung
über das kubanische Essen bestätigen,
als zäh und trocken.
Da hilft nur eines: es mit Bucanera, Bucanera
und nochmals Bucanera (das lokale, gar nicht so
üble Bier) hinunterspülen.
Zurück
in der casa particular
Diesmal
empfängt uns Lenin, ein großgewachsener,
etwas molliger Mann in den Vierzigern, der sofort
einen Wortschwall auf uns loslässt, den weder
Roberto (der überhaupt nicht Spanisch spricht),
noch ich (der zwei Semester am spanischen Institut
war) verstehen. Seiner S-verschluckenden, etwas
nuschelnden Aussprache bin ich nicht einmal in
Ansätzen gewachsen.
Auf den Schaukelstühlen der Veranda - zu
denen ich mich jedes Mal unwiderstehlich hingezogen
fühle - sitzen drei Amerikaner bei einem
Glas Rum und plaudern. Nach einer Weile löst
sich die Gesellschaft auf und macht die Schaukelstühle
frei. Nur einer der Drei, der sich als Barnie
Oldfield, Immobilienmakler aus Aspen, Colorado,
vorstellt, bleibt im Raum.
Er ist ein jovialer, großgewachsener Mann
mit rosa Teint, hellblonden Haaren und buschigen
Augenbrauen. Seinen dicken Bauch verbirgt er unter
einem bunten Hawaii-Hemd. Sein Aussehen erinnert
so unverkennbar an den "good guy" aus
der Provinz (er stammt aus Texas), der auf dem
College brav Football oder Baseball gespielt hat,
von der Welt außerhalb Amerika wenig Ahnung
hat und Dollars scheffeln als oberstes Lebensziel
hat, dass ich ein Schmunzeln nicht vermeiden kann.
Barnie strahlt etwas Verschmitztes aus und vereinnahmt
durch seine humorvolle Art zu erzählen. Er
ist, im Gegensatz zu seinen zwei Gefährten,
zum ersten Mal in Kuba und erzählt schmunzelnd,
wie ihn zunächst die Geräusche der chicas
im Zimmer der Freunde am Einschlafen hinderten
und am Morgen darauf der früh beginnende
Straßenlärm den kurzen Schlaf abrupt
beendete.
US-Bürger, die Kuba besuchen wollen, erzählt
er, sind gezwungen, die Reise über ein Drittland
(meistens Kanada, die Bahamas oder Mexiko) anzutreten
und dabei höllisch aufzupassen, dass sie
gesonderte Reservierungen und Flugtickets für
die beiden Teilstrecken bekommen. Denn bislang
drohen US-Bürgern, die ohne Sondergenehmigung
des Finanzministeriums nach Kuba reisen, Geld-
oder sogar Haftstrafen. Obwohl sich das US-Repräsentantenhaus
erst seit kurzem dafür ausgesprochen hat,
die Reisebeschränkungen für
US-Bürger aufzuheben, lehnt Präsident
Bush dies nach wie vor ab.