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Havanna, Freitag, 15. Februar
Erster Besuch in Alt-Havanna

Zu Fuß machen wir uns auf den Weg in die Altstadt. Der Himmel ist blau, das Licht blendet, die Neugierde treibt uns den Malecon (der Uferpromenade) entlang und an Habana Centro vorbei in Richtung Habana Vieja (Alt-Havanna).
Der Straßenbelag ist an vielen Stellen aufgerissen, mancherorts ein einziges Loch. Salzwasser und heftige Winterstürme haben die jahrhundertealte Mauer zum Meer angefressen. Wellen schwappen auf die Promenade über. Irgendwo auf der Mauer sitzt ein alter Mann, klimpert auf einer noch älter als er aussehenden Gitarre und starrt aufs Meer.
Wir tauchen in die Nebenstraßen ein und - ich finde mich im vor Leben und Far­ben strotzenden Kuba meiner Imagination wieder. Es nimmt mich augenblicklich und ganz für sich ein.
Dieses Havanna packt mich unvermittelt und tief in der Seele mit der un­ver­wech­selbaren Physiognomie seiner Häuser, mit ihren Farben - es überwiegen zarte Pastellfarben von hellblau bis rosa, die auf dem abbröckelnden Putz bi­zarr­ste Muster erzeugen -, der Verzierungen ihrer Fassaden und den Spuren, die die Zeit auf ihnen hinter­lassen hat.
Und zugleich sind es die Men­schen, die vor ihren Häusern sit­zen, an ihren Autos he­rum­wer­keln, die in Schlangen vor den Brotläden warten oder uns Fremde ansprechen oder fröh­lich anlächeln, die mir dieses Stadt gleich nahe bringen.
Man begegnet Menschen in allen Farbschattierungen, junge Fra­u­en mit prallen, unter bunten Miniröcken kaum verborgenen Hintern, die vor Sinnlichkeit und selbstbewusster Zurschaustellung nur so sprühen, alte schwarze Herren, die die Würde eines Adeligen ausstrahlen, lärmende Jugendliche und Paare, die Hand in Hand ihre Verliebtheit demonstrieren. Und auf den Straßen ist es ein Durcheinander der verschiedensten Verkehrsmittel: Fahrräder, Fahrradrikschas, Motorräder mit Beiwagen, klappernde Busse, uralte amerikanische Straßenkreuzer, die hustend und brummend um die Ecke kurven.
Inzwischen in der Nähe des Capitolio Nacional - das übri­gens eine fast exakte Kopie des Kapitols in Washington ist - an­ge­kommen, wird es Zeit für eine Erfrischung. Hier, an diesem zen­tra­len Treffpunkt der Tou­ris­ten, gibt es endlich so etwas wie ein Straßencafé. Ein boca­dillo (belegtes Brötchen) und ein cafe con leche sind fällig.
Als sollten wir bloß nicht zur Ruhe kommen, setzt sich ein junger Mulatte, der hier zu arbeiten scheint, ungefragt an unseren Tisch. Er stellt sich als Orlando vor und verwickelt uns in ein Gespräch.
Eher zurückhaltend und wenig vertrauensselig wie ich bin, schleicht sich bei mir sofort die Vermutung ein, einem jener Schatten begegnet zu sein, die ich aus dem Orient so gut kenne - und nicht gerade liebe: hartnäckige Burschen, die so lange auf dich einreden, bis du irgend etwas gibst, kaufst, mietest oder besuchst.
Aber meine noch tief in den Gliedern sitzende Müdigkeit nimmt diesen Bedenken rasch ihren Ernst, verschafft mir die nötige Gelassenheit und lässt mich in eine sanfte Gleichgültigkeit gleiten. In dieser Verfassung kann ich dem Ganzen unbekümmert wie einem kleinen Schauspiel zusehen, wie einer harmlosen Theatervorstellung, die leicht zu durchschauen ist.
Selbstverständlich könnten wir auf Orlando zählen, wenn wir in einem paladar (Privatrestaurant) zu Abend essen möchten - wünschten wir mit vorzüglichen Hummer zu speisen für sage und schreibe nur acht Dollar? Oder suchten wir eine preiswerte casa particular? Möchten wir uns nicht gleich umsehen? Gleich hier um die Ecke kenne er eine, also mitten im Geschehen und nicht so abseits wie der Vedado. Und das für nur 20 $ pro Zimmer! Wenn man da nicht gleich zugreift! Selbstverständlich sei­en die Inhaber absolut ver­trau­ens­würdig. Dafür bürge er. Es vergehen keine zehn Minuten, da gesellt sich auch Rafael - Sänger, Gitarrist, He­rum­lun­ge­rer - zu uns, dessen Bruder, welch ein Zufall, in einer Zigarrenfabrik arbeitet. Apropos, möchten wir vielleicht Zigarren kaufen? Natürlich echte, nicht die billigen Imitationen aus Bananenblättern, die uns Betrüger (also die Konkurrenz) verkaufen würden.

Wir suchen einen Freund auf

Wir müssen weiter. Das Treffen mit Aldo ist angesagt.
Aldo, den Roberto aus seiner Studienzeit in Genua kennt, wohnt heute, nach zahlreichen Versuchen, in den ver­schie­densten Weltgegenden beruflich Fuß zu fas­sen, mit seiner jungen kubanischen Frau (einer hübschen Mulattin aus bürgerlicher Familie) im Herzen von Alt-Havanna. Von seiner Wohnung an der Calle Oficios aus hat man einen herrlichen Blick auf die Plaza de San Francisco.
Das großzügig geschnittene 3-Zimmer-Appar­tement ist für ihn Wohnstätte und Büro zugleich. Von hier aus regelt er seine Geschäfte, die sich in der Hauptsache auf den Import eines Entkalkungsgeräts ame­ri­ka­nischer Fabrikation beschränken. Den Schluss, dass dieses Business recht ein­trä­glich sein muss, kann man ziehen, wenn man Aldo nach dem Mietpreis seiner Wohnung fragt. Er erreicht den Standard der teuersten Städte in Deutschland.
Zu vermuten ist natürlich, dass es sich speziell um Wohnungen für Devisen einbringende Ausländer handelt, die sich in diesem herrlichen, teilweise bereits prächtig mit UNESCO-Geldern restaurierten Viertel etablieren wollen.
Da Aldo in den nächsten Tagen auf Urlaub nach Europa fährt und es unser Hauptvorhaben ist, per Auto den westlichen Teil Kubas näher zu erkunden, konzentriert sich unser Gespräch auf diesbezügliche Ratschläge und Hinweise. Er empfiehlt uns Kuba-Neulingen wärmstens, seinen Freund Omar als Chauffeur und Reiseführer zu engagieren, einen jungen Kubaner, der lange in der Tourismusbehörde gearbeitet hat. Für 20 US $ pro Tag würden wir mit ihm auch einen zuverlässigen Fahrer bekommen. Ebenso organisiert er für uns einen günstigen Mietwagen bei einer zuverlässigen Verleihfirma.

Nachmittags, im Vedado

Ob die Autos im Privatsitz seien, fragen wir Aldo. Er bejaht. Die uralten amerikanischen Straßenkreuzer gehörten weiter ihren ursprünglichen Besitzern und könnten auch veräußert werden. Und obwohl die kubanische Regierung den privaten Besitz nicht gern sehe, gebe es auch mal Ausnahmen für Personen mit besonderen Verdiensten. Die grünen Nummernschilder deuteten auf Staats­eigentum, die gelben kennzeichnen das Gefährt als Privateigentum. Kenn­zeichen, die mit HK beginnen, deuten auf ausländischen Besitz, HM sei Kubanern vorbehalten. Die schwarzen Nummernschilder sind Diplomaten vorbehalten, auf blau hat allein Fidel Castro Anrecht.
Während Aldo uns etwas von seinem Lebenslauf erzählt und viel Wissenswertes über dieses Land berichtet, warten wir mehr als eine Stunde lang gelangweilt auf Aldos Frau Julia, die heute - endlich -, drei Jahre nach ihrer Verehelichung, von der Behörde eine Auslandsaufenthaltserlaubnis ausgehändigt bekommen soll.
Mit fortschreitendem Nachmittag wird die Luft zunehmend wärmer, feuchter, und somit drückender. Ein leichter Schleier legt sich, zunächst unmerklich, dann immer sichtbarer, über die Stadt. Der Himmel verdüstert sich in auffallender Weise und lässt die Gegenstände dunkler werden, so dass Farben und Konturen allmählich verschwinden. Schließlich fängt es zaghaft an zu tröpfeln.
Während wir mit knurrendem Magen auf Julia warten, werden die Tropfen schließlich dichter, verwandeln sich in einen Nieselregen, und bald prasselt - völlig ungewöhnlich für diese Jahreszeit - ein gewaltiger tropischer Regenguss über uns herunter. Er verwandelt die Straßen und Bürgersteige in wenigen Minuten in Sturzbäche und zwingt uns, im Auto Schutz zu suchen, die Fenster hochzukurbeln und die stickige Luft im Wageninneren zu erdulden.
Es gießt in Strömen, und wird, trotz manch kurz andauernder Abschwächung, den ganzen Nachmittag nicht mehr aufhören.
Endlich - es ist bereits fünf Uhr - kommt Julia überglücklich mit der lang ersehnten Genehmigung in der Tasche zurück und wir können uns auf die Suche nach einem Restaurant machen. Quasi als Rechtfertigung dafür, dass er ein italienisches Restaurant vorschlägt, offenbart uns Aldo nach einigem Zögern seine Meinung über die Qualität des Essens in Kuba. Vorsichtig formuliert: Sie sei nicht gerade überwältigend.

Abendessen im Prado

Wir essen im Restaurant A "Prado y Neptuno" am Paseo de Martí (Prado), der historischen Flaniermeile, die das Centro Habana von der Altstadt trennt.
Während alle anderen sich mit Pizza begnügen, bestehe ich auf einem kubanischen Gericht, und versuche es - die Auswahl ist nicht groß - mit einem Teller cerdo. Das Schweinefleischgericht entpuppt sich jedoch, als wollte es Aldos Meinung über das kubanische Essen bestätigen, als zäh und trocken.
Da hilft nur eines: es mit Bucanera, Bucanera und nochmals Bucanera (das lokale, gar nicht so üble Bier) hinunterspülen.

Zurück in der casa particular

Diesmal empfängt uns Lenin, ein großgewachsener, etwas molliger Mann in den Vierzigern, der sofort einen Wortschwall auf uns loslässt, den weder Roberto (der überhaupt nicht Spanisch spricht), noch ich (der zwei Semester am spanischen Institut war) verstehen. Seiner S-verschluckenden, etwas nuschelnden Aussprache bin ich nicht einmal in Ansätzen gewachsen.
Auf den Schaukelstühlen der Veranda - zu denen ich mich jedes Mal unwiderstehlich hingezogen fühle - sitzen drei Amerikaner bei einem Glas Rum und plaudern. Nach einer Weile löst sich die Gesellschaft auf und macht die Schaukelstühle frei. Nur einer der Drei, der sich als Barnie Oldfield, Immobilienmakler aus Aspen, Colorado, vorstellt, bleibt im Raum.
Er ist ein jovialer, großgewachsener Mann mit rosa Teint, hellblonden Haaren und buschigen Augenbrauen. Seinen dicken Bauch verbirgt er unter einem bunten Hawaii-Hemd. Sein Aussehen erinnert so unverkennbar an den "good guy" aus der Provinz (er stammt aus Texas), der auf dem College brav Football oder Baseball gespielt hat, von der Welt außerhalb Amerika wenig Ahnung hat und Dollars scheffeln als oberstes Lebensziel hat, dass ich ein Schmunzeln nicht vermeiden kann.
Barnie strahlt etwas Verschmitztes aus und vereinnahmt durch seine humorvolle Art zu erzählen. Er ist, im Gegensatz zu seinen zwei Gefährten, zum ersten Mal in Kuba und erzählt schmunzelnd, wie ihn zunächst die Geräusche der chicas im Zimmer der Freunde am Einschlafen hinderten und am Morgen darauf der früh beginnende Straßenlärm den kurzen Schlaf abrupt beendete.
US-Bürger, die Kuba besuchen wollen, erzählt er, sind gezwungen, die Reise über ein Drittland (meistens Kanada, die Bahamas oder Mexiko) anzutreten und dabei höllisch aufzupassen, dass sie gesonderte Reservierungen und Flugtickets für die beiden Teilstrecken bekommen. Denn bislang drohen US-Bürgern, die ohne Sondergenehmigung des Finanzministeriums nach Kuba reisen, Geld- oder sogar Haftstrafen. Obwohl sich das US-Repräsentantenhaus erst seit kurzem dafür ausgesprochen hat, die Reise­be­schrän­kungen für US-Bürger aufzuheben, lehnt Präsident Bush dies nach wie vor ab.