Auch
heute zeigt sich das Wetter - getragen von einem
starken Wind - von seiner klaren Seite. Wir frühstücken
in der Cafeteria gegenüber dem Hotel Nacional,
besichtigen letzteres, genießen das Ambiente
und kaufen ein paar Ansichtskarten. Um 10 Uhr
bringt uns der Autovermieter das reservierte Gefährt
und wir fahren sofort auf eine
erste Spritztour ins Viertel Miramar, wo
wir uns eine casa particular ansehen wollen, die
Roberto empfohlen wurde. Dort empfängt
uns Hector, ein sympathischer, Pferdeschwanz
und Ohrringe tragender junger Mann. Das Ambiente
ist Hemingway-like, es spricht uns beide
an. Nur schade, dass das Viertel etwas abseits
liegt. Ohne Auto ist es nur schwer erreichbar.
Wir fahren gleich wieder zurück, um
noch einmal in der Altstadt zu landen. Dort, in
der Bar Dos Hermanos, genehmigen wir uns
einen Lunch. Hier soll Hemingway beim Armdrücken
seine Machokomplexe abreagiert haben und auf diese
Theke wird er wohl die Hand des einen oder anderen
Habanero nach unten gedrückt haben - oder
auch nicht.
Jedenfalls ist das Ambiente bezaubernd und die
Musik der kleinen Kapelle hervorragend. Die Musiker
spielen sich die Seele aus dem Leib. Für
diesen Sound müsste man in jedem Jazzlokal
der Welt teuren Eintritt bezahlen. Eine Musik,
die die Menschen anlockt und die Herzen erwärmt.
Ich könnte Stundenlang die Atmosphäre
genießen.
Doch ich will wieder auf Fotostreifzug. Zuerst
wird Robertobeim
Friseur um die lächerliche Summe von sieben
Pesos erleichtert, dann zieht es uns wieder in
die Gassen von Habana Vieja. Der Zauber
des Lichtes erreicht in dieser Stunde seinen
Höhepunkt. Die Straßenzüge,
die geparkten Autos, die Fassaden - sie sehen
wie in Gold gebadet aus.
Diesmal essen wir in einem paladar (bei
Alejandro) unmittelbar in der Nähe
unserer Unterkunft.
Der cerdo especial (Schweinebraten spezial)
ist überzeugend aber nicht außergewöhnlich,
und die Beilagen sind nur eine Wiederholung der
gestrigen. Die Vielfalt der Gerichte scheint sich
in Grenzen zu halten.
Havanna,
19. Februar
Diesmal
haben wir ein echtes Café als Objekt unserer
Frühstücksbegierde gefunden, das Pain
de Paris. Endlich Süßgebäck!
Nur schade, dass es, nachdem man an der Kasse
bezahlt hat, so ewig lang dauert, bis man bedient
wird.
Das Gebäude, in dem wir wohnen, ist nicht
nur architektonisch sehr ansprechend (ich versuche
zu raten, Art Deco?), sondern auch eine
gute Gelegenheit zur Menschenbeobachtung. Wie
lange ist es her, dass es in Europa noch Liftboys
in Privathäusern gab? Oder gar Hausmeisterinnen,
die von ihrem Kabäuschen das Ein- und Ausgehen
der Bewohner beobachteten und alles über
alle wussten? Die vollschlanke schwarze Liftlady,
die auf ihrem Klappstühlchen im Aufzug sitzt
und keine andere Aufgabe hat, als die Gittertür
zu öffnen und auf den Knopf zu drücken,
scheint nicht mehr in unsere Zeit zu passen. Gestern
saß sie gemütlich da mit einem Reisteller
auf dem Schoß und grinste uns von einem
Ohr zum anderen an. Ein Hausbewohner, der mitfuhr,
sprach sie mit "que rico" (wie gut)
an, und lächelte dabei wie ein alter Freund.
Heute beschäftigt sie sich mit einem Kreuzworträtsel,
ein weiterer Hausbewohner umarmt sie, als er einsteigt.
Am Hauseingang stehen (oder sitzen) immer unterschiedliche
Pförtner. Freundlich fragen sie nach dem
Apartment, zu dem man will. Einer dieser Aufpasser
könnte der Zwillingsbruder von Ibrahim Ferrer
aus dem Film "Buena Vista Social Club"
sein, ein vornehmer alter, zartgliedriger schwarzer
Herr mit feinen Gesichtszügen und gelassener
Ausstrahlung, in einem hellen, fein gebügelten
Anzug. Bereits nach dem dritten Mal stellt er
keine Fragen mehr und wirft uns nur noch ein freundliches
Augenzwinkern zu.
Die
erste Spritztour
Es
beginnt für uns eine endlose Fahrt nach Osten
auf der Suche nach einem Badestrand. Wir fahren
und fahren, schauen sehnsüchtig aus dem Fenster,
um den Traumstrand zu sehen, den wir uns herbeisehnen,
aber die Landschaft will nicht ansprechend werden.
Und Omar scheint sich hier nicht besser auszukennen
als wir. Wir kommen an einem verlassenen Urlaubsclubgelände
vorbei, fahren weite Strecken durch trockene Landstriche,
dann durch eine palmenbestückte, attraktive
Landschaft, schließlich suchen wir den Weg
zu einer nicht näher definierten playa,
geraten dabei in eine Sackgasse, müssen über
Stock und Stein zurückfahren. Roberto und
ich schauen uns fragend und ungeduldig an. Omars
Ziellosigkeit ist recht merkwürdig. Für
einen Reiseführer scheint er die Gegend nicht
gerade gut zu kennen.
Nach zahlreichen, völlig umsonst gefahrenen
Kilometern zwingen wir ihn, die ganze Strecke
retour zu fahren. Beim Club Vente, ein eher leer
wirkendes Feriendorf, machen wir schließlich
eine Rast.
Der starke Wind, die klare Luft und ein leicht
bewegtes Meer sorgen plötzlich für eine
ausgezeichnete Stimmung bei mir. Mir gefällt
es. Auch oder gerade deshalb, weil der Strand
völlig leer ist. Nur ein einsamer Surfer
flitzt mit Hochgeschwindigkeit über die Wellen.
Wenn wir dachten, dass in den Tropen immer Badesaison
sei, dann haben wir uns geirrt. Durch den Wind
ist es eher kühl und das Wasser ist alles
andere als einladend. Nicht einmal Touristen zieht
es in die Fluten. Einheimische, so Omar, gehen
sowieso nicht vor Juni zum Baden.
Eine einsame Touristengruppe gibt es doch. Es
ist eine Clique von Italienern. Sie sitzen an
der Bar und singen, durch das Klimpern einer Gitarre
begleitet, ein Lied von Lucio Battisti - leider
völlig falsch!
Wegen der umsonst gefahrenen Kilometern - mit
der Verleihfirma haben wir eine Pauschale für
eine maximale Kilometerzahl ausgemacht - sprechen
wir Omar etwas verärgert an. "No
hay problema", grinst er. Er öffnet
die Motorhaube, ein paar Griffe - und ein mechanismo
ist ausgeschaltet. Jetzt läuft der Kilometerzähler
nicht mehr mit. Zu gegebener Zeit schaltet Omar
den mechanismo dann wieder ein.
Auf der Rückfahrt kommen wir endlich an einigen
Stränden vorbei. Omars Ziel ist Tarara.
In diesem kleinen Ort, dessen Kern eine Ferienkolonie
für strahlenerkrankte Kinder aus der ehemaligen
Sowjetunion ist, war er zehn Jahre lang Fremdenbetreuer.
Im "Hospital de Tarara" werden strahlengeschädigte
Kinder aus Tschernobyl und anderen Teilen der
Ukraine und Weißrusslands kostenlos medizinisch
behandelt. Viele von ihnen leiden an bösartigen
Tumoren.
Der Zusammenbruch der UdSSR und somit der speziellen
Beziehungen zwischen den beiden Ländern,
haben das Programm drastisch eingeschränkt.
Heute schicken, laut Omar, hauptsächlich
russische Mafiosi ihre Kinder hier in den Urlaub,
wenn sie sich von ihnen ein paar Monate lang entledigen
wollen.
Auch am Strand von Tararaweht
ein starker Wind. Für uns ist es kühl,
für Omar ausgesprochen kalt. Erst Ende Februar
hört dieses kühle Wetter auf, meint
er. Dann dreht auch der Wind, und es kommt die
Zeit, in der die Flüchtlinge auf die Boote
gehen, denn der Wind treibt sie dann genau in
Richtung Florida. Nur etwa die Hälfte von
ihnen erreicht ihr ersehntes Ziel. Die anderen
werden meistens von der Küstenwache
aufgegriffen.
Grundsätzlich steht es zwar jedem Kubaner
frei, Kuba auf legalem und sicheren Weg zu verlassen,
die Bedingung, die der kubanische
Staat allerdings stellt, ist der Besitz eines
gültigen Einreisevisums für das Zielland.
Von den USA werden zwar kaum Visa ausgestellt,
sie gewähren allerdings allen Kubanern, die
ihr Land illegal verlassen und es schaffen, US-Amerikanischen
Boden zu betreten, automatisch eine Aufenthaltsbewilligung.
Werden die Flüchtlinge aber auf See von der
Küstenwache erwischt, ist ihnen eine
Verfrachtung zurück nach Cuba sicher.
Während wir so diskutieren, sitzen wir in
einer kleinen Bar, die wie bei einem Pfahlbau
auf einer erhöhten Plattform errichtet ist.
Mein Blick kann zu den spärlichen Palmen,
dem weißen Sand und dem Meer wandern und
ich fühle mich wirklich wohl. Der Wind, die
klare Luft, das Bucanero Bier, die hübsche
Kellnerin - endlich erlebe ich wieder ein paar
entspannte Minuten.
"In provicia hay chicas fantasticas"
(in der Provinz gibt es fantastische Mädchen),
grinst Omar, dessen Hauptinteresse offensichtlich
das zarte Geschlecht ist. "Weil sie nicht
so geschäftstüchtig sind", fügt
er hinzu und aus dem Grinsen wird ein lautes Lachen.
Als wir weiter fahren wollen, bemerkt Omar am
Geräusch, dass etwas am vorderen Reifen nicht
in Ordnung sein kann. Und tatsächlich: Am
rechten, vorderen Reifen ist deutlich eine kleine
Wölbung zu sehen. Gut, dass der Autovermieter
seinen Sitz gerade in Tarara hat. So fahren wir
gleich hin, lassen den Reifen wechseln, werden
dazu noch von Herrn Ruiz, dem Inhaber zu einem
Kaffee eingeladen, und es kann weiter gehen.
Havanna,
20. Februar
"Un
caffè?", fragt mich Carolina ein
wenig später, als sich die Gruppe auf die
Zimmer verteilt hat, und ich fühle mich dabei
wie in einer Familie aufgehoben, oder wie bei
guten, langjährigen Freunden. Gestern Abend
zum Beispiel saß der 13-jährige Sohn
bei den Hausaugaben am großen Tisch im Wohnzimmer,
Papa Lenin hatte die Kamera auf ein Stativ gestellt,
um den Raum für seine Internetseite zu fotografieren,
und die Nachbarin war mit Carolina in der Küche
auf ein kleines Plauschchen. Eine sehr familiäre
Atmosphäre!